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Jimin

Mit ruhigem Herzschlag und gleichmäßigem Atem, der immer wieder kleine, flauschige Wölkchen vor unseren Gesichtern entstehen ließ und die gerötete Haut sanft liebkoste, führten wir unseren kurzen und doch so wahnsinnig gefühlsintensiven Spaziergang fort.

Jedoch unterschied sich etwas ganz gewaltig...

Es war die entspannte Stimmung zwischen uns, die bestehende Wärme unserer Hände, die sich seit diesem sagenhaft überraschenden Kuss nicht mehr voneinander zu lösen schienen, einfach der schweigende Austausch jeglicher, auch nur im Keim aufkommender Gefühlsregungen.

Es schien als wäre alles wieder wie zuvor, als wäre es endlich wieder gut...

Erst jetzt bemerkte ich, dass die letzten vierundzwanzig Stunden mich so sehr mitgenommen hatten und die Luft wieder frei und völlig unbeschwert ihren natürlichen Weg in meine Lunge finden konnte. Der Druck auf meine Brust hatte sich gelöst...

Und obwohl Yoongi so gut wie nichts zu mir gesagt hatte, könnte ich nun nicht zufriedener, nicht befreiter sein können. Manchmal benötigte es eben keine großen Reden, keine umfassenden Erklärungen, auch wenn ich mir noch wenige Minuten zuvor genau das gewünscht hatte. Ich wollte einfach nur nicht wieder diese unsichtbare Barriere zwischen uns spüren, wollte nur, dass er sich mir anvertraute...

Aber der Kuss, das Versprechen war genug gewesen. Ich hatte ihm wohl einfach nur erzählen müssen, dass es mir mit der Situation nicht gut ging, dass er mich mit seinem Verhalten indirekt und wahrscheinlich auch total ungewollt verletzte.

Genau das schien er hören zu müssen, um endlich aus der grauen Tristheit seiner Gedankenwelt zu entkommen.

Umso schöner war es jetzt die gemeinsame Nähe wieder genießen zu können. Entspannt und mit verschränkten Fingern suchten wir uns einen Weg durch die winterliche Landschaft und beobachteten den langsam orange glühenden Ball der Sonne, der sich nun allmählich wieder dem Boden entgegen neigte.

Und trotz, dass die Sonnenstrahlen ihre Kraft und Wärme langsam verloren, so zitterte oder fror ich nicht. Yoongi strahlte ebenfalls diese Dinge aus, ließ ihn für mich in meinen Augen leuchten wie meine persönliche Sonne, die kurzzeitig ihre Energie verloren und erloschen war. Aber er war wieder da, strotzte nun wieder vor Sicherheit, gab mir damit den gewissen Halt, den ich schon seit unserer ersten richtigen Begegnung bei ihm spüren konnte.

Es war eben genau das, was ich derzeit brauchte, war genau das, was meine eigene Unsicherheit überging, meine Kraft stählte und die Dunkelheit auch nur für den Bruchteil von Sekunden hinter neuen Mauern einschloss- diesmal so viel stärkere Mauern, erbaut aus der Willensstärke seines Wesens und meinem letzten bisschen Mut einfach nur durchzuhalten bis sich eine Lösung für mich ergab.

Denn auch an mir waren die letzten Tage nicht spurlos vorbeigegangen...

Schon lange verspürte ich nicht mehr den Drang aktiv etwas an meinem Leben zu ändern, zumindest nach Möglichkeiten zu suchen. Yoongi hatte gemeint ich hätte aufgegeben und auch wenn ich es nicht gerne zugab, musste ich es mir doch irgendwo eingestehen.

An sich kam ich damit zurecht... ich wollte diese andauernden Enttäuschungen einfach nicht immer wieder erfahren müssen, aber ich hatte auch gesehen, wie sehr diese Schwäche Yoongi verletzt hatte. Nur deshalb hatte er geweint, hatte so fürchterlich in meinen Armen gebebt vor durchdringenden Schluchzern. Dieses Bild mit all den Empfindungen hatte sich regelrecht in mein Herz gebrannt, hatte dort ein Mal hinterlassen, was mich nun ständig daran erinnerte wenigstens etwas Mut und Stärke aufzubringen...

Ein sanftes Ziehen an meinem Arm riss mich dann schließlich wieder aus meinen Gedanken. Etwas verloren blinzelte ich in den warm orange leuchtenden Schnee zu meinen Füßen und bemerkte erst dann, dass Yoongi stehen geblieben war.

Fasziniert und anscheinend völlig gefesselt hatte er seinen Blick auf etwas leicht links von uns befindendes gerichtet. Neugierig folgte ich seinen Augen und hielt unwillkürlich den Atem an. Noch nie zuvor hatte ich etwas so schönes erblickt, etwas so vielfältiges.

Denn vor uns lag ein breiter, mit einer dicken Eisschicht überzogener See. Kinder allen möglichen Alters und Größen fuhren mit ihren Schlittschuhen über das glänzende Eis, spielten und tollten, lachten völlig hemmungslos und unbekümmert.

Allein dieser Anblick brachte mein Herz zum Springen, zum Singen und Tanzen. In all der geglaubten Einsamkeit, in all der Dunkelheit der Nachtstunden der letzten Tage war das fröhliche Rufen der Kinder wie ein Weckruf, ein Kontrast zu der Tristheit in meinem Inneren.

Es erinnerte mich an mich selbst, auch wenn dieses Bild zurzeit so weit von mir entfernt schien. Aber auch ich hatte als Kind solch eine Freude empfunden, hatte gedankenlos mit Freunden gespielt und die Zeit genossen, die ich hatte, um dem nachzugehen, wonach mir der Sinn stand.

Der kleine Jimin und der kleine Tae hatten immer ihre Zeit genutzt, hatten jeglichen Unfug angestellt und egal wie es für die beiden ausging, so hatten sie im Endeffekt immer darüber gelacht.

Wehmütig beobachtete ich die Kinder, die auf der glatten Fläche herumrutschten und einfach Spaß hatten. Karges Schilf ragte am Ufer auf, spendete im Sommer bestimmt kleine Nischen der Ruhe, in denen man völlig unbeobachtet das Zusammenspiel aus Luft und Hitze genießen konnte. Jetzt jedoch ließen die dünnen Halme die letzten Strahlen der Sonne hindurch auf das Eis. Das Orange schien wie gefangen unter der Oberfläche, führte einen Kampf um die Freiheit und ließ einfach alles in wunderschön warmen Tönen erstrahlen.

„Es ist wunderschön, nicht?", fragte Yoongi dann schließlich leise, beinahe schon andächtig.

Ich nickte zustimmend, fühlte mich nicht in der Lage all das in Worte zu fassen, was mir nur in wenigen Sekunden durch den Kopf gegangen war.

Langsam und mit dem immer begleitenden Knirschen des Schnees überbrückte ich den letzten Meter zu Yoongi und kuschelte mich mit einem entspannten Seufzen vorsichtig an seine Seite. Wie automatisch löste Yoongi unsere bis eben noch verschränkten Hände, doch auch schon in dem Moment, in dem ich deswegen leise aufbegehren wollte, spürte ich wie sein Arm sich um meine Taille schlang und mich fest an sich drückte.

Eine ganze Weile standen wir einfach nur stillschweigend am Rand des schmalen Weges, den wir genommen hatten und beobachteten das rege Treiben auf der Eisfläche.

Es war wiedermal ein Augenblick, der keine Worte benötigte, wo es einfach ausreichte den anderen dicht neben sich zu spüren und damit mit absoluter Gewissheit spüren zu können, dass er da war, dass man diesen Moment gemeinsam erlebte.

Ich wusste nicht ganz wie ich es beschreiben sollte, aber jetzt, genau hier, war das vorige Chaos meines Lebens vollständig zum Erliegen gekommen. Keine Mauern, keine Abgründe, keine Dunkelheit oder Verzweiflung..... nur ich und Yoongi, wie wir zusammen das stetige Wandern der Sonne Richtung Horizont verfolgten. Es hätte nicht idyllischer sein können.

Doch auch diese Ruhe fand ein jähes Ende, als Yoongi seinen Arm wieder von mir löste und stattdessen erneut nach meiner Hand griff, an der er mich einfach mit sich zog. Noch während ich ihm etwas überrumpelt hinterher stolperte, warf er mir ein freudiges Grinsen zu.

„Lass uns ein wenig Spaß haben!"

Und damit hielten wir unablässig auf den gefrorenen See zu.

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Merkt man eigentlich, dass ich den Anfang des Kapitels im Chemieunterricht geschrieben habe? XD
Für mich ist das immer total offensichtlich, wenn ich die paar Zeilen aus dem Unterricht dann zu Hause abtippe... das wirkt für mich immer so plump und unkonzentriert, aber vermutlich ist das mal wieder nur meine Wahrnehmung 😂

𝑀𝑖𝑟𝑟𝑜𝑟 | 𝑌𝑜𝑜𝑛𝑚𝑖𝑛 |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt