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Jimin

Es war wiedermal der Wecker, der mich aus meinem leichten und ziemlich unruhigen Schlaf riss. Ich seufzte gequält auf, suchte träge mit meinen Fingerspitzen nach der Schlummertaste und sehnte mich insgeheim nach einer Welt, in der ich diese elende Tortur nicht fast jeden Tag ertragen musste. Dennoch schlug ich langsam meine Augen auf, spürte wie sie schmerzten durch den gestrigen Abend. Ich war mir sicher mein Gesicht würden nun wieder wundervolle Schatten zieren, die auch jedem gleich vermitteln würden wie abgrundtief dreckig es mir ging. Dabei waren es nicht dieselben Empfindungen wie gestern, die nun in mir herrschten; es glich mehr einem einzigen Chaos, aus dem ich nur einen winzigen Eindruck vermittelt bekam. Die Wut, Verzweiflung, Trauer..... sie waren weg, jedoch nicht für immer. Nur grade vermischten sie sich, es entstand etwas, das ich nicht benennen konnte. Das einzige, was ich ganz klar wahrnahm, war das Gefühl des Verlustes, wie als wäre ich ein kleiner hilfloser Welpe und wäre von meinem treuen Besitzer ausgesetzt worden. Es schmerzte, wie immer, doch ich kniff die Zähne zusammen und stieg schlussendlich aus meinem Bett.

Schlaftrunken und ziemlich übermüdet schnappte ich mir den großen Bademantel, der an einem Haken an meiner Tür befestigt war und schlüpfte mit einem kleinen zufriedenen Laut in den flauschigen Stoff. Wenigstens etwas, das sich nicht verändert...

Danach begann wie fast jeden Tag meine übliche Morgenroutine, nur diesmal mit deutlich schlechterer Laune. Ich hatte wahrlich keine Lust irgendwas zu tun; weder duschen, anziehen, essen oder erst Schule. Meine Motivation hatte mich endgültig verlassen, doch auch das war mir nicht ganz unbekannt. Es gab halt immer wieder solche Tage, meist nach einem miesen Streit oder auch nur Diskussionen, in denen ich wie immer den kürzeren zog. Es deprimierte mich, es verletzte mich..... aber änderte je einer etwas daran? Ganz klar: nein.

Seufzend tat ich dann schließlich doch all diese Sachen. Ich duschte in der Hoffnung dadurch ein paar meiner Lebensgeister zu wecken, ich zog mich an, ich aß ein wenig. Dennoch fühlte ich mich grausig. Resigniert entwich die heiße Luft durch meine rauen Lippen, während ich mir den dicken Mantel schnappte und ihn mir überzog. Ich hatte nun nur noch ein paar Minuten, bis ich das Haus verlassen müsste und dann auch nur noch einige Augenblicke für mich allein im Bus, bevor Tae dazu steigen würde.

Na das kann ja lustig werden~


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„Hey, Chim!", begrüßte Tae mich wie immer mit seiner guten Laune, wobei es mir jedes Mal ein Rätsel war, woher er diese haben könnte. Dennoch erinnerte ich mich an meine jetzige Aufgabe, verzog meine Lippen zu einem lächerlichen Abklatsch eines Lächelns und drehte mein Gesicht unauffällig so, dass meine Augen im Schatten lagen. So würde es Tae nicht sofort auffallen, dass es etwas nicht stimmte und ich konnte in Ruhe meinen trüben Gedanken nachgehen.

Trotz meiner kläglichen Bemühungen ihm eine ähnliche Begrüßung entgegenzubringen, sah ich bereits an seiner in fragende Falten gelegten Stirn, dass er mir misstraute. Ich konnte es ihm keinesfalls verübeln, schließlich war es heute offensichtlicher als sonst jemals, dennoch hoffte ich im Stillen weiter, dass er kein Wort darüber verlieren würde. Und das tat er auch nicht. Ich rechnete es ihm hoch an, dass er trotz dieser komischen Situation versuchte meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Ich wusste nicht, ob er es unabsichtlich oder intentional tat, trotzdem war ich mehr als froh darüber. Zwar war unser Gespräch ziemlich einseitig und eher nicht von Belang, aber ich spürte bereits wie die drückende Enge auf meiner Brust nachließ und mein Lächeln weniger erzwungen wirkte. Ich war Tae dankbar; für all diese kleinen Sachen, die er für mich tat und von denen er wohl gar nicht wusste, wie sehr sie dazu beitrugen, dass es mir besser ging. Am liebsten würde ich es ihm mal wirklich sagen; aussprechen, wie viel mir unsere Freundschaft bedeutete, aber ich blieb still.

So verging auch die restliche Busfahrt recht ereignislos und als wir ausstiegen, begrüßte ich die eiskalte Dezemberluft mit ausgestreckten Armen. Auch wenn ich mitten im Weg stand und mich laufend andere Schüler anrempelten, blieb ich stehen wie ich war und schloss für einen winzigen Moment die Augen. Ich spürte wie mich die eiskalten Böen umgaben, mich umwogten und mich nur für Sekundenbruchteile vergessen ließen, was alles so dermaßen schief ging. Ich vergaß die wirren Gefühle in meinem Inneren, die Erinnerungen an den gestrigen Abend und allgemein alle Schwierigkeiten, die ich wegen meiner Familie durchleben musste. Für diesen einen, klitzekleinen Moment war ich nicht mehr Park Jimin, ich war auch kein Schüler mit riesigen Problemen mehr...... dafür war ich einfach ......... nichts; unbedeutend und frei.

Stechend raste mir die Luft in die Lunge, hinterließ dort mit ihren eisigen Fingern ein unangenehmes Brennen, das sich durch meinen gesamten Körper bis in die Zehenspitzen zog. Normalerweise würde ich nun das Gesicht verziehen und versuchen so schnell wie möglich ins Innere des Schulgebäudes zu gelangen, doch heute war es wiedermal anders. Es war unangenehm ja, aber keinesfalls schmerzhaft genug und so akzeptierte ich es einfach nur. Ich hatte in den letzten Tagen gelernt, dass ich vor dem Schmerz nicht fliehen konnte, dass er für immer ein Teil von mir war und mich auch nie wieder loslassen würde. Also traf ich die klügere Entscheidung, akzeptierte das alles und lebte mit diesen Gefühlen, suchte sie eventuell sogar, damit es jedes Mal ein klein wenig leichter werden könnte.

Es waren dann Taes lange Finger, die mich aus meiner Starre rissen. Blinzelnd öffnete ich meine Augen und begegnete seinem eindringlichen Blick. Jetzt wusste er mit Bestimmtheit, dass mich etwas belastete, aber da ich keine Lust auf nervige Fragen hatte, löste ich mich schnell aus seinem Griff und floh regelrecht Richtung Schulgebäude. Er folgte mir, wie nicht anders zu erwarten. Nach nur wenigen Schritten hatte er mich bereits eingeholt und umklammerte diesmal meine Oberarme, sodass ich ihm gezwungenermaßen entgegensah. Sorge spiegelte sich in seinen schönen warmen Augen, was mich sofort schlecht fühlen ließ und ich meine kindische Reaktion bereute.

Vorsichtig strichen seine Finger über den dicken Stoff meines Mantels, verursachten eine kleine Gänsehaut und ließen meine angespannten Muskeln erschlaffen. Geschafft lehnte ich mich ein Stück zu ihm und genoss kurz die beruhigende Wärme, die er ausstrahlte und wartete nur noch auf die eine Frage, die auch nicht lange auf sich warten ließ.

„Jimin...", fing mein bester Freund vorsichtig an. „Chim....", betonte er extra nochmal meinen Spitznamen, den ich damals im Kindergarten von ihm bekommen hatte, da er meinen Namen als zu lang und öde empfand. Heute besaß er einen großen Wert für mich, einfach weil er mich an diese Zeit erinnerte und an die Langlebigkeit unserer Freundschaft, die ich gefühlt mit jeder meiner Taten in den Rücken trat. Grade jetzt benutzte er diesen Namen; ein Beweis für mich, dass ich noch nicht alles kaputt gemacht hatte; ein weiterer Grund, warum ich nun ruhig blieb, obwohl ich wusste, dass ich meinen besten Freund in wenigen Sekunden wieder anlügen würde. Denn die Wahrheit war unbegreiflich.......

„Geht es dir gut? Bitte sag mir, wenn etwas nicht stimmt, okay? Ich möchte für dich da sein und dir helfen, ich bin mir aber nicht sicher, wie ich das anstellen soll....", er ließ seine Schultern geknickt hängen, was mir einen bösen Stich im Herzen versetzte. Und trotzdem wich ich nicht von meinen Überzeugungen ab, schenkte ihm einen Hauch eines Lächelns und brachte ihm die alltägliche Lüge entgegen. „Alles gut, Tae. Mach dir keine so großen Sorgen, ich hab nur fürchterlich geschlafen.", mit diesen Worten strich ich ihm beruhigend über den Arm und wandte mich dann endlich der Eingangstür zu. Mittlerweile war auch schon der Großteil der anderen Schüler im Gebäude verschwunden, weswegen ich es ihnen gleich tat, auch wenn meine Gedanken bei Tae hingen blieben....


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Guten Abend ihr Lieben!

Ich würd wieder mal gerne ein paar Worte loswerden. Und zwar weiß ich, dass diese Story grade sehr düster und deprimierend wirkt. Ich hoffe einfach, dass es für euch nicht zu übertrieben rüberkommt, denn das ist eigentlich das, was ich immer vermeiden wollte- dass der Ernst verloren geht, wenn das "Drama" zu viel und damit zu unrealistisch wird. Jedoch kann ich euch versichern, dass das hier ein Tiefpunkt der Story ist. Es ist nicht wirklich der letzte, aber das Leben ist auch nicht nur eine Talfahrt. Es wird Licht geben und das ganz bald <3

𝑀𝑖𝑟𝑟𝑜𝑟 | 𝑌𝑜𝑜𝑛𝑚𝑖𝑛 |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt