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Jimin

„Oh Gott, Jimin!", rief meine Mutter völlig entsetzt aus, trat hinter meinem erstarrten Vater hervor und lief über den mit unzähligen Scherben gespickten Boden zu mir herüber, ließ sich direkt neben mir fallen und wollte schon mit zitternden Fingern an den mittlerweile rot gefärbten Rändern meines Pullis zupfen, doch ich ließ sie nicht. Völlig verängstigt starrte ich zu meinem Vater, kroch unbewusst immer weiter zurück als er sich mir langsam nähern wollte.

„...J-jimin....i-ich.... w-was..." Noch einen weiteren Schritt setzte er in meine Richtung, doch da hatte ich mich schon mit meinem unverletzten Arm aufgestützt und kam zittrig auf die Beine. Ich verschwendete nicht mal mehr einen einzigen Blick als ich mich, das Schluchzen kräftig unterdrückend, abwandte und direkt schwankend zur Treppe rannte, an der ich mich kraftlos hochzog.

Erst als meine Zimmertür hinter mir ins Schloss gefallen war und der Schlüssel darin gedreht, erlaubte ich meinen Beinen endlich das, was sie schon den ganzen Weg bis hierher hatten tun wollen- sie sackten unter mir zusammen. Nun konnte ich auch das Schluchzen nicht mehr zurückhalten, das mir meine Kehle zugeschnürt hatte. Ich weinte, ich weinte bitterlich. Und das nicht nur wegen des unerbittlichen Schmerzes, der sich von meinem linken Unterarm und über meine gesamte Brust erstreckte, sondern auch wegen meines Herzen, das in diesem Moment einfach zerbrach. Genauso wie meine über Jahre hinweg errichtete Mauer.... Sie brach zusammen, gab dem schwarzen Ozean in mir endlich das, was er schon immer gewollt hatte- er verzehrte mich.

Schluchzend kauerte ich mich zusammen, die Knie an die brennende Brust gedrückt und die Arme fest darum geschlungen, auch wenn es furchtbar wehtat. Aber so... so konnte ich all das über mich ergehen lassen, konnte weinen und schreien, fluchen und jammern. All das wurde begleitet durch die lauten Stimmen von unten, das Gezeter und den Tumult. Auch das ließ ich mit zitterndem Körper über mich ergehen, wagte es allerdings nicht zu genau hinzuhören. Ich wollte sie nicht hören, ich wollte ganz bestimmt ihn nicht hören.

Eine Welle der Angst überkam mich bei dem Gedanken an seine hochaufragende Gestalt, wie ein Nachbeben erschütterte es mich und meine Grundfesten. Ich sah es wieder vor mir- wie er dort über mir stand, die Finger zittrig vor Ungläubigkeit und doch war es mein Blut gewesen, das sich tropfend von dem zackigen braunen Glas gelöst hatte, das wie ein sanftes Schlaflied auf das Holz traf.

Tropf, tropf...

Tropf, tropf....

Tropf, tropf....

„Jimin?", die leise Stimme meiner Mutter holte mich allmählich aus meinem Wahn. Erst jetzt vernahm ich das zarte Klopfen, mit dem sie versuchte Eintritt zu erlangen.

„Jimin? Bitte sag doch was, ich mache mir Sorgen..."

Mit tränenverschleierten Augen sah ich hinauf, dorthin wo ich die bebende Gestalt meiner Mutter vermutete.

Immer wieder drang ihre Stimme gedämpft zu mir durch, bat mich ihr aufzumachen.

„Jimin, bitte... bitte mach mir auf. Die Wunden müssen wir dringend versorgen... bitte."

Blinzelnd nahm ich meinen Kopf wieder herunter, senkte meinen Blick auf den ehemals strahlend weißen Pullover, den nun zwei riesige Risse zierten durch die selbst ich in der Dunkelheit meines Zimmers meine zerklüftete Haut sehen konnte.

Mom hatte recht, die Wunden mussten wohl dringend versorgt werden, insbesondere da das Blut noch immer in kleinen Perlen aus den Rändern trat und den Stoff durchweichte.

Doch selbst wenn ich gewollt hätte, dass sie hereinkam und für mich sorgte, mir die Schmerzen nahm, auch wenn nur die physischen, so war ich wie erstarrt.

Also harrte ich aus, lauschte einfach nur weiterhin der mit der Zeit immer drängenderen Stimme meiner Mutter, bis sie schließlich nur noch ein verzweifeltes Hauchen war.

Und selbst dann bewegte mein Körper sich keinen Millimeter, blieb einfach dort auf dem kühlen Boden umringt von Finsternis, ausgelaugt, blutend, verloren.

Da war nichts mehr- absolut gar nichts. Meine Gedanken verschluckt von der elendigen Schwärze, meine Gefühle waren wie..... wie gedämpft, als hätte die Unvorstellbarkeit dieser Situation eine Art Tür geschaffen und sie darin eingesperrt.

Ich ließ es so, kämpfte nicht dagegen an, denn ich erfuhr grade am eigenen Leib wie es sich anfühlte zu kämpfen, mit welchen Konsequenzen ich leben musste, wenn ich für das kämpfen wollte, was mir am meisten bedeutete.

Ich litt- nicht nur das.... ich.... ich erfuhr die schlimmsten Schmerzen, die ich jemals erlebt hatte und ich..... fühlte mich einfach nur leer- leer und einsam, verlassen, betrogen, hintergangen. All das und noch vieles mehr tummelte sich hinter der verschlossenen Tür.

Und als dann meine Mutter mit einem resigniertem Seufzen durch den Flur schlurfte- ihre Füße so wahnsinnig schwer und träge, dass jeder Schritt einer wahren Herausforderung gleichen musste- war es als würde meine innere Tür aus den Angeln gerissen.

Die Angst jagte durch meine Glieder und ließ sie beben, die Verzweiflung lähmte mich und meinen Kopf, die Hilflosigkeit verzehrte sich an mir, dass ich glaubte mich bald einfach aufzulösen. Denn da war nichts mehr..... nichts wofür ich noch denken wollte, nichts wofür ich fühlen wollte, nichts...... wofür ich jemals wieder kämpfen wollte.

Denn das Kämpfen war Ursache allen Übels, war Grund für diese tiefe Finsternis, die mein Sein ergriffen hatte, war Anlass für das zähe Blut, das meinen Körper nun bedeckte, anstatt ihn voller Energie aufleben zu lassen.

Kraftlos ließ ich meinen Oberkörper zu Boden sinken, umklammerte verzweifelt nach Halt suchend meine Knie, drückte sie dadurch unweigerlich gegen meinen schmerzenden Brustkorb. Ein weiteres Schluchzen entrang sich meiner kratzenden Kehle, dann noch eins und noch eins, während ich den wankenden Schritten meiner Mutter auf der Treppe lauschte.

Sie verließ mich, sie ließ mich allein wie sie es schon immer getan hatte. Sie ging fort, hinunter, weit weg von mir, hin zu dem lauernden Höllenmonster, welches mich zerstört hatte- endgültig.

Lange hatte ich es nicht akzeptieren wollen, habe wie sonst auch naiv kämpfen und an meinen Vorstellungen festhalten wollen. Doch im Endeffekt hatte ich noch viel mehr verloren als eigentlich auf dem Spiel stand.

„Hilfe....", hauchte ich in die dunkle Luft meines Zimmers hinein, spürte regelrecht wie das Schwarz sich von diesem einem Wort nährte.

Ich wollte nicht mehr, ich wollte das alles einfach nicht mehr. Es fühlte sich an wie ein schrecklicher Alptraum, ein Horrorszenario aus einem grottigen Film und doch.... doch bewies mir das stetig brennende Pochen meines Körpers, dass es nicht nur Imagination war, dass ich nicht nur noch ein klein wenig länger ausharren musste, damit Yoongi mich weckte und mich in seine warmen, schützenden Arme nahm.

In diesem Moment stellte ich es mir gerne vor- wie Yoongi genau jetzt einfach da wäre, wie er mich mit all seiner Kraft vom Boden heben und ich seine nie versiegende Wärme spüren würde, kaum hätten sich seine schlanken Arme vorsichtig um meinen bebenden Körper gelegt.

Für einen Augenblick versank ich in dieser Vorstellung und dann.... als meine Lider immer schwerer wurden, meine Kraft mich verließ....... da nahm ich Abschied.

„Es tut mir so leid, Yoongi." Eine winzige Träne zog ihre verblassende Spur über meine blasse, klamme Haut, kämpfte sich ihren Weg bis sie schließlich einfach.......... versiegte. Genauso wie mein Mut, mein Wille und meine Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Zusammen, zusammen mit ihm.

Ich verabschiedete mich schweigend, ließ den Schmerz übernehmen und Yoongi........





.........Yoongi ließ ich bitterlich weinend gehen.

𝑀𝑖𝑟𝑟𝑜𝑟 | 𝑌𝑜𝑜𝑛𝑚𝑖𝑛 |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt