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Jimin

Sofort wischte ich mir mit meinem schneekalten Mantel über das Gesicht und sah dann mit großen und wahrscheinlich blutunterlaufenen Augen zu dem Jungen vor mir. „Hey...", erwiderte ich, doch meine Stimme war so brüchig, dass man sie kaum verstand. Yoongi löste sich aus seiner temporären Starre und setzte sich zu mir auf das kalte Holz, sah mir forschend ins Gesicht und musterte die Tränenspuren, die anscheinend trotz der Dunkelheit zu erkennen waren.

„Was ist los?", fragte er fürsorglich und legte mir zaghaft seinen Arm um die Schultern. Von der plötzlichen Berührung überrascht, spannte ich mich unwillkürlich an, doch als mich die Wärme erreichte, die von seinem Körper ausging, ließ ich einfach all meine Anspannung fallen und lehnte mich geschafft ein wenig gegen seine Schulter. Dabei fanden wieder ein paar einzelne Tränen ihren Weg an die Oberfläche, was Yoongi mit vor Sorge gerunzelter Stirn beobachtete.

„Hey, ich weiß wir kennen uns noch nicht lange Jimin, aber ich möchte, dass du weißt, dass du jederzeit mit mir reden kannst.", seine Stimme war wie zuvor warm und voller Fürsorge, was mich zum ersten Mal an diesem Tag besser fühlen ließ. Da ich meiner eigenen Stimme jedoch nicht zutraute einen geraden Satz herauszubringen, nickte ich einfach nur still.

Eine ganze Weile lang saßen wir so da, schweigend, sahen den kleinen Schneekristallen dabei zu, wie sie langsam und bedächtig zu Boden rieselten, um der Welt allmählich einen neuen Glanz zu geben. Die Kälte breitete sich immer weiter in meinen Gliedern aus und brachte meine Zähne zum Klappern. Um mich ein wenig abzulenken, malte ich mit meinen Fingern kleine Kreise auf dem klammen Stoff meiner Jeans, wurde jedoch von Yoongis Hand gestoppt. 

Kaum hatten seine Finger meine Haut berührt, zog er sie blitzartig wieder zurück und starrte mich mit vor Schreck geweiteten Augen an. „Oh mein Gott Jimin, deine Haut ist eiskalt!", rief er bestürzt und nahm meine Hände diesmal vollständig in seine. „Wie lange sitzt du denn bitte schon hier?!" Ich zuckte ratlos mit den Schultern, ignorierte das Ziehen meiner steifen Muskeln. Ich wusste nicht, wie lange ich schon hier draußen war, nur durch seine Berührung wurde mir bewusst, wie unglaublich kalt mir war.

Yoongi stand in einer fließenden Bewegung auf und zog mich ebenfalls auf die Beine. Ich schwankte ein wenig, da ich kaum noch Gefühl in meinen Füßen hatte und torkelte Yoongi hinterher, der mich unbeirrbar davonzog. „W-was... w-wo...", ich stotterte, was wohl meinen klappernden Zähnen zu verdanken war, doch er verstand mich auch so. „Erstmal ins Auto, du musst dringend ins Warme!" Ich protestierte erst gar nicht, da die Aussicht auf ein bisschen Wärme im Moment sehr verlockend erschien, dabei war es mir egal, dass ich Yoongi erst seit ungefähr fünf Tagen kannte.

Wir verließen den Park durch einen kleinen Nebenausgang und er führte mich schnurstracks zu dem mir bereits bekannten Wagen von heute Nachmittag. Klackend sprangen die Blinker an, als er das Auto entriegelte und dann die Beifahrertür für mich öffnete. Ich schlüpfte an ihm vorbei und ließ mich leise ächzend auf dem Sitz nieder. Yoongi schloss hinter mir die Tür und setzte sich dann neben mich. Er startete den Motor und stellte sofort die Heizung auf die höchste Stufe, bevor er ausparkte und losfuhr.

Ich lehnte meinen Kopf erschöpft gegen die kühle Scheibe, versuchte krampfhaft meine Zähne davon abzuhalten, unkontrolliert vor sich hin zu klappern. Die Frage wohin wir eigentlich grade fuhren, ploppte in meinem Kopf auf, doch es schien mir momentan irgendwie nebensächlich. Kaum hatte ich das gedacht, störte mich diese Tatsache. Seit wann war es mir bitteschön egal, wohin ich fuhr, wenn ich mit einem Fremden unterwegs war?! Yoongi war zwar nicht wirklich ein Fremder, dennoch wusste ich bis jetzt noch nicht viel über ihn. Eine gewisse Unruhe überfiel mich und ich stellte ihm die Frage, die mir vor ein paar Sekunden noch als total unwichtig erschien. 

„Wohin fahren wir eigentlich?", meine Stimme klang ruhig, obwohl in meinem Inneren immer noch ein Sturm tobte. Yoongi warf mir kurz einen prüfenden Blick zu, bevor er sich wieder auf die dunkle Straße konzentrierte und mir antwortete. „Zu meiner Wohnung. Es ist nicht mehr weit." Eigentlich wollte ich protestieren, doch die Kälte hielt mich fest in ihrem Griff und so blieb ich einfach still.

Ich merkte, wie es im Auto allmählich etwas wärmer wurde, doch bevor ich die Chance hatte auch nur etwas davon aufzunehmen, wurde Yoongi bereits langsamer und hielt schließlich an. Er ließ den Motor ersterben und damit auch die wohltuende Wärmezufuhr. Er stieg aus und bibbernd tat ich es ihm gleich, schlang gleich darauf meine Arme schützend um mich, als ich wieder dem schneedurchpflückten Wind ausgesetzt war. Yoongi nahm schnell einer meiner Hände und führte mich in das schlicht aussehende Mehrfamilienhaus, in dem seine Wohnung zu liegen schien.

Wir stiegen ein paar Treppen hoch, die ich mehr schlecht als recht hoch krakelte und stand dann ein paar Minuten später in einem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer. Yoongi befreite mich aus meinem komplett durchnässten Mantel und Schal und führte mich dann durch einen kleinen Flur in das Badezimmer. Er wies mich an kurz auf dem Toilettendeckel Platz zu nehmen, was ich einfach ohne zu murren tat, da meine Beine mich eh nicht mehr lange halten könnten.

„Ich werd dir ein Bad einlassen, damit du dich richtig aufwärmen kannst, die Heizung im Auto hat da ja nicht wirklich viel gebracht." Ich nickte ihm müde, aber auch dankbar zu und hörte bald darauf das leise Plätschern als das Wasser in die Badewanne lief. Er checkte schnell die Temperatur und sah mich dann mit einem weichen Glänzen in den Augen an. „Lass dir einfach so viel Zeit, wie du brauchst, ich werde dir in der Zeit einen Tee kochen." Er wandte sich der Tür zu, doch bevor er verschwinden konnte, hielt ich ihn auf. „Warte...", wie von mir gewünscht, drehte er sich wieder mir zu. „Danke.", gab ich aufrichtig von mir und versuchte mich an einem kleinen Lächeln. „Du musst mir nicht danken, Jimin. Ich mache es einfach, weil es das Richtige ist." Diesmal kehrte er mir endgültig den Rücken zu und verließ das Badezimmer.

Da das Wasser mittlerweile genügte, erhob ich mich mit schweren Knochen und schälte mich aus meinen ebenfalls durchweichten Sachen, bevor ich mich langsam in die Badewanne gleiten ließ. Sofort umfing mich das heiße Wasser und ließ meine tauben Hände und Füße unangenehm kribbeln. Ich lehnte mich halbwegs entspannt zurück und seufzte. So hatte ich mir diesen Tag eigentlich nicht vorgestellt, aber ändern konnte ich sowieso nichts daran. Also schloss ich einfach meine Augen und spürte, wie mein Körper die dargebotene Wärme praktisch aufsaugte. 

𝑀𝑖𝑟𝑟𝑜𝑟 | 𝑌𝑜𝑜𝑛𝑚𝑖𝑛 |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt