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Jimin

So leise, wie es mir mit zitternden Fingern möglich war, kramte ich nach meinem Schlüssel und öffnete vorsichtig die Tür. Nur auf Zehenspitzen betrat ich den Eingangsbereich und schälte mich aus meinem nassen Mantel. Nachdem ich mir dann auch die Schuhe von den Füßen gestreift hatte, machte ich mich langsam auf den Weg zu meinem Zimmer. 

Doch leider kam ich dort jetzt erstmal nicht mehr so schnell hin, denn wie ich mit Schrecken feststellen musste, brannte in der Küche Licht. Sofort bildete sich ein ziehender Knoten der Nervosität in meinem Magen, während ich dem Licht entgegen ging. Kaum hatte ich die Küche betreten, erwartete mich auch schon das, wovor ich mich bereits bei Yoongi gefürchtet hatte.

„Wo warst du?", drang die harsche Stimme meiner Mutter zu mir durch, woraufhin ich schuldbewusst meine Schultern nach oben zog und mich dadurch kleiner machte, wie als würde mich deswegen weniger Ärger erwarten. Natürlich brachte das überhaupt gar nichts und so durchbohrte mich der wütende Blick meiner Mutter fast bis auf die kleinste Nervenzelle.

„I-ich...", unsicher sah ich zwischen Mom und dem Boden hin und her. Ein penetrantes Gefühl des schlechten Gewissens nagte an mir, als ich die müden Augen und ihre vor Sorge in Falten gelegte Stirn bemerkte. Sie hatte sicherlich ein paar Stunden früher Schluss gemacht und anstatt dann einfach beruhigt schlafen zu gehen, hatte sie mitbekommen, dass ihr einziger Sohn nicht zu Hause war und niemand wusste, wo er war. Sie musste sich fürchterliche Sorgen gemacht haben und das tat mir wahnsinnig leid. 

„Tut mir leid, Mom.", resignierte ich und senkte erneut den Blick. „Du hast meine Frage nicht beantwortet, Jimin. Wo warst du? Ich habe deinen Vater gefragt, aber der wusste es auch nicht und deine Freunde hatten auch keine Idee." Ich sah die Wut in ihren Augen, aber auch noch etwas anderes. Enttäuschung. Ein fieses Stechen ging durch meine Magengegend als ich das erkannte. Doch konnte ich ihr die Wahrheit sagen? Dass ich bei jemanden geschlafen hatte, den ich erst seit wenigen Tagen kannte und für den mein Herz anscheinend unbeabsichtigt schneller als normal schlug?

Mom seufzte resigniert und ließ sich dann schwer auf einen der Küchenstühle fallen, ihre Augen müde und leicht geschwollen. „Hör mal Jimin, ich will doch einfach nur wissen, wo du warst. Du hättest ja wenigstens eine Nachricht schreiben können oder deinem Vater Bescheid geben können. Aber es gab kein Lebenszeichen von dir, weswegen ich mir Sorgen gemacht habe. Denkst du nicht, du bist mir da eine Antwort schuldig?" Mein schlechtes Gewissen nagte weiter an mir und so gab ich den Kampf dagegen auf und setzte mich auf den Stuhl ihr gegenüber.

„Ich war bei einem Freund, oder naja ich weiß nicht, ob wir Freunde sind. Er geht seit Anfang der Woche in meine Klasse und vorhin sind wir uns über den Weg gelaufen." Kaum hatte ich meine Worte ausgesprochen, bereute ich es sofort wieder ihr die Wahrheit erzählt zu haben. Sie hob skeptisch eine ihrer mit feinen grauen Härchen durchzogenen Augenbrauen und ich wusste, dass sie versuchte zu ergründen, wie ich zu diesem "Freund" stand.

„Du hegst doch nicht etwa Gefühle für ihn?", kam auch prompt die Frage, die ich doch so gerne vermieden hätte. Denn das Problem bei der ganzen Sache war: ich wusste es nicht. Wie gerne hätte ich Mom doch jetzt nein gesagt, hätte es in die Welt hinausgeschrien, doch etwas hinderte mich daran und das bereitete mir Bauchschmerzen. Es würde mir so viel Ärger ersparen jetzt einfach zu widersprechen, alles abzuwehren, doch zu meinem eigenen Schrecken musste ich erkennen, dass ein klares Nein nicht die richtige Antwort auf ihre Frage war. 

Prompt schweiften meine Gedanken zu dem Moment in Yoongis Wohnzimmer zurück. Wie er sich um mich gekümmert hatte, wie er mir helfen wollte, obwohl er nicht die geringste Ahnung von meinem Leben hatte, wie er mich in die Arme genommen hatte und ich mich dabei so gut gefühlt hatte, so gut wie seit Jahren nicht mehr, seit ich meine kindliche Naivität ablegen musste und erkannte, dass die Welt manchmal ein grausamer und unfairer Ort war. Diese Erkenntnis erschreckte mich zutiefst und unwillkürlich hielt ich den Atem an.

„Jimin?", fragte meine Mutter, weshalb ich automatisch den Kopf hob und sie ansah. Sie musste die Panik und Unsicherheit in meinen Augen gesehen haben, denn ich musste ihr nicht mal antworten, um weitere Enttäuschung und Schock zu sehen. „Du solltest dir das am besten so schnell wie möglich aus dem Kopf schlagen. Du weißt wie dein Vater darüber denkt und ich habe wirklich keine Lust immer zwischen den Fronten zu stehen." Ein messerscharfer Stich der Enttäuschung schnitt durch mein Herz und betäubte mich. Ich fühlte mich leer und hintergangen und das von meinen eigenen Eltern. Ich wusste, dass meine Mom nicht wirklich so dachte, sie nur an Dad hing und sich deshalb gegen mich stellte. Es tat weh zu wissen, dass sie "solche Gefühle" verachtete, nur weil mein Vater es tat.

„Hast du mich gehört?", fragte sie eindringlich, weswegen ich einfach nickte, immer noch mit gesenktem Kopf, damit sie auch ja nicht sah, wie die Tränen in meinen Augen glitzerten. Damit hatte sich das Thema für Mom wohl erledigt, denn sie stand mit einem schweren Seufzen wieder auf. Doch bevor sie endgültig ging, um sich den nötigen Schlaf zu holen, drehte sie sich nochmal zu mir um.

„Achja noch was. Ist es nicht möglich, dass dein Vater und du euch auch nur ein Mal vertragen könnt, wenn ich nicht da bin? Ich weiß nicht, was eurer Problem ist, aber es nervt mich, dass ich mir dann immer das Gejammere anhören muss, wenn ich nach Hause komme. Könntest du dich also bitte zusammenreißen?" Genau jetzt, in diesem Moment, hätte ich schreien können, laut damit mich die gesamte Welt hören konnte. Es machte mich schier verrückt, dass meine Mutter anscheinend verdrängte, dass nicht ich das Problem hier war.

Mein Vater konsumierte schon seit Jahren Alkohol, es machte ihn krank, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Es veränderte ihn und ab einem gewissen Punkt konnte ich das nicht mehr tolerieren. Vielleicht hatte er Probleme, ja, aber war Alkohol da gleich die Lösung? War es ein Allheilmittel, nur weil es dich für ein paar Stunden vergessen ließ, im Endeffekt aber dein ganzes Leben zerstörte?

Genau das war mein Problem, mein Problem mit meinem Vater und im Gegensatz zu Mom nahm ich es nicht einfach hin, dass er trank und dann die verschiedensten Dinge anstellte. Ich hatte mittlerweile aufgehört zu zählen, wie oft er mich grundlos beleidigt hatte, ungeachtet dessen, dass ich Gefühle besaß, die man verletzen konnte, wusste nicht mehr, wie oft er schon zusammenhanglose Diskussionen geführt hatte und wie er, wenn es Stress gegeben hatte einfach ins Bett abgehauen war.

Da ich aber niemandem diese Dinge anvertrauen konnte, nickte ich einfach nur wie in Trance und merkte noch wie meine Mutter den Raum verließ, bevor auch schon die erste verzweifelte Träne über meine Wange kullerte.

𝑀𝑖𝑟𝑟𝑜𝑟 | 𝑌𝑜𝑜𝑛𝑚𝑖𝑛 |Where stories live. Discover now