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Jimin

Müde blinzelnd schreckte ich aus meinem leichten Schlaf auf. Ein komisches Gefühl breitete sich in meinem Magen aus und verwirrt sah ich zu dem Wecker auf meinem Nachttisch, der mir sagte, dass es bereits kurz nach 1 Uhr morgens war.

Ich muss wohl eingenickt sein...

Ich ließ mich mit schweren Gliedern wieder auf meine Kissen sinken und legte das Buch, worin ich bis kurz vor dem Einschlafen wohl noch gelesen haben musste, vorsichtig beiseite. Ich sah mich etwas verwirrt in dem nur von meinem kleinen Nachtlicht erhellten Zimmer um, doch der Grund für mein unterschwelliges Unwohlsein wurde dadurch kein bisschen klarer. Meine Gedanken schweiften ein wenig ab, doch noch bevor ich auch nur einen davon greifen konnte, schallte der verspielte Klingelton unseres Festnetzes durch die untere Etage. Es ging beinahe unter durch die große Entfernung, doch meine feinen Ohren nahmen selbst dieses leise Geräusch wahr.

Ich wunderte mich direkt darüber, wer bitteschön um diese Uhrzeit noch etwas von uns wollte und beeilte mich unter meiner Bettdecke hervorzuschlüpfen und die Treppe eher runter zu springen, um den Anruf nicht zu verpassen. Schnell griff ich nach dem klobigen Teil, warf aber nur einen flüchtigen Blick auf die Nummer, die mir absolut nichts sagte. „Hallo?", meldete ich mich unsicher und räusperte mich kurz, da sich der Schlaf auf meine Stimmbänder gelegt hatte und meine Stimme dadurch etwas kratzig klang.

„Schönen guten Abend, Chang mein Name. Sind Sie der Sohn von Park Yejun?" Verwundert runzelte ich die Stirn, während mein Kopf wieder mal vor Gedanken nur so explodierte. „Ja, das bin ich." „Ich bin von der Polizei und rufe Sie an, weil wir von Passanten gerufen wurden, die sich über Ihren Vater beschwert haben. Wir haben ihn dann stark alkoholisiert unter der Yochung-Brücke aufgefunden. Jedoch wurde er uns gegenüber aggressiv, als die Rettungskräfte sich um ihn kümmern wollten, weshalb wir ihn fixieren mussten. Er wird nun in das nahegelegene Krankenhaus gebracht, wo er sich wahrscheinlich erstmal ausnüchtern muss. Der Arzt kann Ihnen morgen früh sicherlich genaueres sagen."

Wie in Trance starrte ich auf den nachtdunklen Boden unseres Flurs. Die Zeit schien für einen Moment stillzustehen, nur meine Gedanken rasten und waren doch nicht dazu in der Lage die Worte des Polizisten zu verstehen. Mein Vater sollte was gemacht haben? Stark alkoholisiert... unter der Yochung-Brücke? „Sind Sie noch dran?", fragte der Polizist und riss mich damit aus meiner Trance. Ich schluckte schwer und spürte wie sich ein Knoten der Übelkeit in meinem Magen festsetzte. „Ja. Vielen Dank für die Info.", zwang ich mich zu sagen, es fühlte sich an als würde ich über jedes einzelne Wort stolpern, so schwer hingen sie in meinem Mund. „Das ist meine Pflicht. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend." Ich nickte abgehackt, doch da ertönte bereits wieder das Freizeichen. 

Zurück blieb ich in der endlosen Stille dieses Hauses. Noch vor wenigen Stunden hatte ich so etwas wie Glück empfunden, hatte mich gefreut, dass mein Vater endlich mal wieder ein wenig Interesse an mir zeigte. Und jetzt? Jetzt fühlte ich nur noch eine bodenlose Leere. Diese Stunden schienen wie ausgelöscht, überschattet von dem, was er jetzt schon wieder getan hatte. Diesmal hatte er mich zwar nicht selbst verletzt, egal ob mit Worten oder Taten, aber das änderte nichts daran, dass diese Situation mich mit Wucht auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte.

Die Polizei....

Die Polizei hatte meinen Vater sturzbetrunken unter einer Brücke gefunden, mitten in der Nacht, aggressiv und nicht kooperativ...

Wie zähflüssiger Honig sickerten diese Informationen in meinen Verstand, ließen mich realisieren, wie tief gesunken mein Vater eigentlich schon war. Nun war mir das unterschwellige Bauchgefühl kein Rätsel mehr, doch es wäre mir lieber gewesen, wäre es eine Unbekannte für mich geblieben. Stark alkoholisiert, fixiert, unter der Brücke... Wie ein bösartiges Mantra setzten sich diese Worte in meinem Kopf fest, versperrten mir den Weg zu anderen Gedanken und ließen meinen Körper zittern. Mit bebenden Muskeln legte ich das Telefon wieder an seinen ursprünglichen Platz, so als hätte es dieses Gespräch niemals gegeben. Doch das hatte es und prüfend ging mein Blick Richtung Treppe. 

Da. Dort oben lag das Schlafzimmer meiner Eltern. Dort schlief meine Mom grade seelenruhig und wusste noch nichts von dem Unheil, das Dad wieder über uns gebracht hatte. Meine Gedanken schossen hin und her. Sollte ich sie jetzt wecken und sie um ihren wertvollen Schlaf berauben oder lieber nur selbst den Schlaf aufgeben und es ihr erst morgen erzählen? Doch dann würde der Schock noch viel größer sein und ich war mir gewiss über den Vorwurf, der dann folgen würde, wenn ich es ihr nicht sagen würde.

Dennoch schmerzte mein Herz, wenn ich daran dachte meiner Mom auf diese Weise aus ihren Träumen zu reißen und wie mich in die grausame Hölle der Realität zu schmeißen. Jedoch hatte ich keine andere Wahl und so nahm ich einen zittrigen Atemzug und stieg langsam die Treppe nach oben. Stufe für Stufe nahm der Druck in meinem Inneren zu, belastete mich und führte zu dem irrationalen Wunsch niemals an das Telefon gegangen zu sein. Doch nun gab es kein zurück mehr und so stand ich nur wenige Sekunden später vor der hölzernen Tür, hinter der sie schlief.

Kleine Tränen der Verzweiflung bedeckten meine Sicht und meine Hand zuckte zu dem Türgriff, erfasste ihn jedoch nicht, wie als würde ich bei der Berührung einen todbringenden Stromschlag erwarten. Doch es half alles nichts und so riss ich mich zusammen, wischte mir die verräterischen Spuren aus dem Gesicht und öffnete vorsichtig die Tür.

„Mom?", fragte ich leise in den stockfinsteren Raum und traute mich kaum zwei Schritte hineinzugehen. Es raschelte kurz, bevor das helle Licht ihrer Nachttischlampe mir kurzzeitig die Sicht nahm. „Jimin? Was ist los?", ihre kratzige Stimme hallte durch den Raum, echote in meinen Ohren und brachte den übelkeiterregenden Knoten in meinem Magen zurück. „D-die Polizei hat grade angerufen... es geht um Dad." Sie riss erschrocken ihre müden Augen auf und setzte sich ruckartig auf. „WAS?!", fragte sie entsetzt und schon jetzt setzte das schlechte Gewissen bei mir ein. „Sie haben ihn sturzbetrunken unter der Yochung-Brücke gefunden.", flüsterte ich leise und mit gesenktem Kopf. „Passanten haben es der Polizei gemeldet und als die den Rettungsdienst alarmiert haben, wurde er aggressiv. Er wurde ins Krankenhaus gebracht. Der Polizist meinte der Arzt könnte uns morgen mehr sagen...", endete ich meinen widerlichen Bericht und sah vorsichtig in das Gesicht meiner Mom, worin sich wie zu erwarten Schock und Sorge einen erbitterten Kampf leisteten. „D-d-das..." Sie war eindeutig sprachlos und ich konnte es ihr nicht verübeln.

„Welches Krankenhaus?", fragte sie dann nach sekundenlanger Stille mit bebender Lippe. „Sie meinten das nächstgelegene, also..." „Also wahrscheinlich dort, wo ich arbeite.", stellte sie fest und ein undefinierbarer Ausdruck beherrschte ihr Gesicht. Mit Entsetzen musste ich feststellen, dass Tränen in ihren Augen glitzerten und ihre Hände unkontrolliert zitterten. „Weißt du, was das bedeutet? ... Jeder in diesem Krankenhaus, der mich kennt und auf deinen Vater stößt, könnte dadurch erfahren, was dein Vater getan hat... Er hat mir grade mein Arbeitsleben ruiniert."

𝑀𝑖𝑟𝑟𝑜𝑟 | 𝑌𝑜𝑜𝑛𝑚𝑖𝑛 |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt