✾52✾

156 16 10
                                    

Taehyung

Mit einem endgültigen Klacken fiel die Toilettentür hinter meinem besten Freund in das Schloss. Das Geräusch hallte in mir wider; erst in den Ohren, dann in den Muskeln meines gesamten Körpers, bis es schließlich mein Herz erreichte und sich dort verankerte wie ein widerwärtiges Blutegel, welches nicht loslassen würde, bis es seinen Schaden angerichtet hatte. Es schmerzte. Der Gedanke, dass mein Freund mir grade wissentlich ins Gesicht gelogen hatte, wo wir nun schon für eine so lange Zeit füreinander die wichtigsten Personen gewesen waren. Wir hatten seit Kindertagen alles miteinander geteilt, egal ob es Spielzeuge, Freuden, Gedanken oder Geheimnisse gewesen waren. Sie alle waren uns gegenseitig vertraut, zumindest hatte ich das angenommen. Ich wusste, dass mein bester Freund grade eine schwierige Zeit durchmachte, dass er augenscheinlich mit sich selbst zu kämpfen hatte, was allein schon ein hohles Gefühl in mir verursachte. Ich wollte ihn nicht leiden sehen, wollte allgemein nur das beste für ihn, weswegen es mich so fertig machte unwissend zu sein. Doch Jimin hatte sich von mir abgeschottet, vielleicht nicht wirklich absichtlich, dennoch bohrte sich ein fieser Schmerz in meine Brust, als diese Erkenntnis sich allmählich in meinem Kopf verankerte.

Doch dann kam mir noch ein weiterer Gedanke....... Was ist, wenn er sich einfach nur aus Hilflosigkeit von mir abgewandt hatte? Wenn seine Probleme ihn wie ein mächtiger Wasserstrudel in seinen reißenden Strömen gefangen hielten, die ihn immer weiter, Stück für Stück unter sich begruben und es für ihn schwer machten überhaupt den Mund zu öffnen? Auf diese Weise hatte ich bisher noch nie wirklich nachgedacht, doch es bewegte mich dazu meine Starre aufzulösen und meinem besten Freund aus den Toiletten zu folgen. In meinem Kopf herrschte das reine Chaos, ein Gedankengang folgte dem nächsten, sie überlappten sich oder hakten sich komplett ineinander. Ich hatte keine Chance auch nur einen Hauch von Ordnung darin zu bringen, dennoch stach eine Überlegung glasklar aus den anderen heraus. „Jimin! Bitte warte auf mich!", rief ich durch den leeren und irgendwie einsam wirkenden Flur, wo ich die Gestalt meines besten Freundes ein paar Meter vor mir ausmachen konnte. Seine Figur war völlig in Schatten getaucht, es schien als wolle die Dunkelheit nach ihm greifen und ihn mit ihren giftigen Krallen verzehren. Sie haftete an ihm, klebte an seinem schmalen Körper, wie schmieriger Harz, nicht gewillt ihn jemals wieder loszulassen. Im Gegensatz zu seiner sonstigen Statur wirkte er wie ein jämmerliches Häufchen Elend. Seine Schultern waren gesunken, der Rücken gebeugt, die Arme hingen schlaff an seinen Seiten hinunter und schienen nicht die Kraft zu haben auch nur eine Feder zu heben. In diesem Moment erinnerte mich nichts mehr an den stolzen Tänzer an ihm, den ich schon so unzählige Male beobachtet und den ich bestaunt hatte. Seine Anmut und Grazie schienen wie verflogen, nichts mehr davon übrig, nur unendliche Trauer. Es tat mir in der Seele weh ihn so zu sehen, weshalb ich seinen Namen nochmals durch den endlosen Gang rief und mich nicht darum scherte, dass ich damit in einigen Klassenzimmern zu hören war. Jedoch war Jimin nun meine Priorität, weshalb ich mich nicht mehr um den Unterricht scherte und mit großen Schritten zu ihm aufholte.

Es schien mir als würde sich mit jedem meiner Schritte die Dunkelheit um ihn herum verflüchtigen, verstecken vor meiner Aura, die grade nichts weiter ausstrahlte, als pure Willensstärke. Ich wollte meinen Freund nicht so sehen, gebeugt, erdrückt von seiner seelischen Last. Ich wollte seine Stärke sehen, seine atemberaubende Anmut, mit dem er jedes Wesen auf dieser Erde innerhalb weniger Minuten in seinen Bann ziehen konnte. Mir gefiel der Gedanke, dass ich dafür verantwortlich sein könnte, dass die Schatten um ihn herum verschwanden, dass ich sie für immer verscheuchen konnte, auch wenn mir ganz tief im Inneren bewusst war, dass ich diesen Zustand nur temporär hervorrufen könnte.

Trotz meiner mehrmaligen Rufe, blieb Jimin jedoch nicht stehen. Er setzte einen Schritt vor den anderen, den Kopf gesenkt und achtete nicht auf seine Umgebung. Wir hatten bereits die Tür unseres Chemieraumes passiert, als ich ihn endlich einholte und ihn mit einer Hand auf der Schulter in seinen Bewegungen stoppte. Rasend wie ein gleißender Blitz fuhr er zu mir herum und schlug meine Hand von seinem Körper. Irritiert und vielleicht genauso verletzt starrte ich auf meine jetzt in der Luft schwebenden Finger, die nun ein leichte Röte zierten und deren Brennen durch die Nervenbahnen meiner Haut direkt in mein Herz geleitet wurde. Ich konnte nicht anders als meinem besten Freund schockiert und mit geweiteten Augen entgegenzublicken. Ich hatte nicht mit dieser abweisenden Haltung gerechnet, besonders nicht bei Jimin, dessen Sanftmut und Selbstlosigkeit sonst auf den ersten Blick zu erkennen war. Jedoch war davon im Moment nichts zu sehen. Dennoch beruhigte es mich ein wenig, dass sich der Schock auch auf seinem Gesicht spiegelte und er mir angsterfüllt entgegenblickte. „E-es tut mir leid.", hauchte er entsetzt, Tränen glitzerten in seinen großen Augen und ich wusste, dass er es nicht mit Absicht getan hatte. Das würde er nie, nicht wissentlich. Auch wurde mir genau in diesem Augenblick bewusst, dass ich ihm gar nicht böse war. Es hatte mich im ersten Moment vielleicht überrascht und verletzt, trotzdem wusste ich, dass dieses Verhalten nicht mit seinem normalem übereinstimmte. Diese Dokumentation hatte anscheinend so viel mehr mit seinen Gefühlen angestellt, als ich bisher vermutet hatte, auch wenn sich mir die Zusammenhänge noch immer nicht erschließen wollten.

Da ich ihm absolut nicht böse war, löste ich meine Finger aus deren schwebenden Starre und legte sie behutsam auf seinen Unterarm, den er bereits entschuldigend nach mir ausgestreckt hatte. Meine Finger trafen auf den dicken Stoff seines Hoodies, erspürten die leichte Feuchte, die das Wasser dort hinterlassen hatte. Kühl spürte ich es unter den empfindlichen Fingerkuppen und drückte ein wenig zu, um ihm zu symbolisieren, dass es wirklich in Ordnung war. „Alles gut, Jimin.", ich versuchte meine Stimme ruhig zu halten, nicht monoton aber eher bestimmt und einfühlsam. Ich wollte, dass er mir glaubte, dass er mir vertraute und mich nicht von sich stieß wegen eines solchen dummen Fehlers, den er von der ersten Sekunde an bereut hatte. „Aber bitte rede mit mir.", flehte ich ihn an, verstärkte ein wenig den Druck um sein Handgelenk, da ich bereits spürte wie sich seine Muskeln unter meinem Griff anspannten. Ich wusste, ich sollte ihm Zeit lassen, warten bis er von sich aus zu mir kommen würde. Ich hatte es mir ganz fest vorgenommen ihn niemals auch nur zu irgendwas zu drängen und doch konnte ich grade nicht anders als seinen Arm zu umklammern und ihm flehend entgegenzublicken. „Bitte verschließ dich nicht vor mir..... Wir sind beste Freunde Jimin, wir kennen uns bereits seit so vielen Jahren, fast alle Erinnerungen teile ich mit dir. Wir waren immer unzertrennlich und es zerreißt mir das Herz, dass du scheinbar kein Vertrauen mehr in mich hast, um mir von deinen Problemen zu erzählen...", flüsterte ich atemlos, erstickte beinahe an der Bedeutung dieser Worte, die einen ekelerregenden Geschmack in meinem Mund zurückließen. Wie fahle Asche kamen sie mir über die Lippen, bereits tot und verbrannt, fast genauso wie unsere Freundschaft; so kam es mir zumindest in diesem Moment vor. Doch als ich den Schmerz in Jimins Augen sah, verblasste dieser Gedanke sofort wieder, kehrte zurück in die dunkle Ecke meiner Seele, die mich nur in seltenen Augenblicken vereinnahmte.

Dicke Tropfen heißen Schmerzes glänzten in seinen Augen, sangen ein teuflisches Lied über seine Leiden und die Verzweiflung, dessen unharmonische Klänge sich bissen und weiteren Schmerz in ihm verursachten. Sofort wollte ich meine Worte wieder zurücknehmen, ihm nicht den Anschein geben, dass ich unsere Freundschaft bereits aufgab, nur weil es mich enttäuschte, dass er nicht zu mir kam um zu reden. Ich hatte es gesagt ohne wirklich darüber nachzudenken und nun zu wissen, dass ich ihm damit die Tränen in die wunderhübschen Augen getrieben und ihm weh getan hatte, ließ bittere Reue in mir aufsteigen. Schnell löste ich meinen Griff um sein Handgelenk wieder, versuchte seinen Schmerz für ein paar Sekunden auszublenden und legte stattdessen meine Arme um seinen schmalen Körper, womit ich ihn fest an mich zog.

Fast sofort vergrub ich meinen Kopf in seiner nach einem süßen Parfüm duftenden Halsbeuge und unterdrückte nicht länger die Gefühle, die sich in mir angestaut hatten. Bebend ließ ich auch meinen Tränen freien Lauf, spürte wie Jimin es mir gleich tat. Heiß und kalt rannen sie an meiner Haut entlang, verewigten sich in dem Stoff meines Pullovers, welcher sie einsaugte, wie ein uralter Schwamm, der seit Jahren kein Wasser mehr gesehen hatte. „Es tut mir so leid.", schluchzte ich, vergrub meine Finger in seinem Hoodie und drückte ihn somit noch näher an mich ran. „Es tut mir so leid Jimin, bitte vergiss was ich grade gesagt habe. Ich bin dein bester Freund und sollte niemals solche Zweifel haben. Ich habe mich einen Moment von meinen Gefühlen mitreißen lassen und nicht darauf geachtet, dass sie dich verletzen könnten. Bitte, sei dir bewusst, dass du immer zu mir kommen kannst. Ich will dich nicht drängen, auch wenn ich dir unbedingt helfen will. Du kannst kommen, wann immer du bereit dazu bist und wenn es dann soweit ist, werde ich dir zuhören und alles tun, was in meiner Macht steht, um dir zu helfen.", sprach ich unter Tränen, konnte einfach nicht glauben, was ich so unüberlegt über meine Lippen hatte kommen lassen. Jimin wartete in Ruhe, bis meine Worte verklungen waren, bevor er sich zögerlich von mir löste und mir aus großen Augen entgegenblickte, in denen nach wie vor salzige Tropfen glitzerten. „Danke Tae...... a-aber woher weißt du davon?"

---------------

Vielen Dank nochmal, dass ihr das letzte Kapitel so gut aufgenommen habt 🙏🏻💜 Ich hatte mir echt ne Weile lang ziemliche Sorgen darüber gemacht, dass es zu unrealistisch wirkt, aber eure Kommentare haben mich ein Glück wieder beruhigt. Also vielen Dank, dass ihr meine Geschichte überhaupt bis hierhin gelesen habt und auch noch so liebe Kommentare hinterlasst, wirklich DANKE 💜

𝑀𝑖𝑟𝑟𝑜𝑟 | 𝑌𝑜𝑜𝑛𝑚𝑖𝑛 |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt