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Jimin

Aufmunternd drückte ich die Hand meiner Mom, mit der ich nun vor den großen Glastüren des Krankenhauses stand. Wir beiden hatten die ganze restliche Nacht kein Auge mehr zu getan, was auch nicht weiter verwunderlich war. „Ich bin bei dir Mom, wir schaffen das.", versuchte ich sie zu beruhigen, obwohl mein Inneres selbst dem puren Chaos glich. Sie nickte wie in Trance und setzte dann vorsichtig einen Schritt vor den anderen, wobei ich ihr zögerlich folgte.

In einen Kokon aus Schweigen gehüllt, durchquerten wir das riesige Gebäude, bis wir schließlich vor einer weiteren gläsernen Flügeltür standen, auf der in großen Lettern "Intensivstation" stand. Ich atmete noch ein Mal tief durch, bevor ich den Türöffner betätigte und uns ein Schwall aus Desinfektionsmittel begrüßte. Wir schritten durch den sterilen Gang und blieben dann am Tresen stehen, wo uns bereits ein in weiß gekleideter junger Mann empfing. „Mrs und Mr Park?", fragte er mit einer angenehm ruhigen Stimme, woraufhin ich nur kurz nickte. „Wie ist sein Zustand?", meine Mom blickte unsicher hin und her, in der Erwartung ein vertrautes Gesicht zu sehen, was derzeitig ein Glück nicht der Fall war. 

„Er ist mittlerweile wieder bei Bewusstsein. Er wurde gestern stark alkoholisiert bei uns eingeliefert und wurde aggressiv, als wir mit der Behandlung beginnen wollten. Notgedrungen mussten wir ihn dann fixieren und haben die Riemen erst heute morgen wieder gelöst, als er sich kooperativ zeigte." Ich sah wie diese Informationen sie schockten, doch sie riss sich zusammen und straffte ihre Schultern. „Wissen Sie den Alkoholgehalt?" „3,6 Promille." Völlig geschockt starrte ich zu dem Arzt. Was?! 3,6 Promille.... Fassungslosigkeit stieg in mir, vernebelte jeden einzelnen Gedanken, außer dass es 3,6 Promille waren.

„Er kann sich auch an nichts erinnern. Heute morgen haben wir ein psychologisches Gutachten erstellen lassen, woraufhin der Psychologe ihn als entscheidungsfähig eingestuft hat. Ihr Mann wurde bereits über alles aufgeklärt und ihm wurde empfohlen bis zur vollständigen Ausnüchterung zur Beobachtung hier zu bleiben, doch er bestand darauf nach Hause zu gehen. Die Papiere wurden bereits unterschrieben." Mom nickte wie in Trance und auch ich war zu keiner weiteren Erwiderung fähig. Diese Situation fühlte sich einfach so surreal an, wie ein absurder Alptraum und doch konnte ich ganz genau das Stechen des Desinfektionsmittels in meiner Nase spüren, konnte spüren wie all das hier echt war.

„Wo ist er?" Der junge Mann deutete auf eine Tür am Ende des Ganges und langsam gingen wir darauf zu. Der Anblick, der mich dort erwartete, war beinahe noch erschreckender als der Anruf von gestern und die Situation an sich. Dort saß er. Noch immer hingen die Fixierungen an den Seiten des Bettes herab und Übelkeit stieg in mir auf, als ich mir vorstellte, wie sie ihm umgelegt werden mussten, um ihn ruhig zu stellen. Er saß da, zusammengesunken und mit hängenden Schultern, seine Augen glänzten vor Müdigkeit und Restalkohol. 

Sein Blick fiel auf mich und Mom, wobei er bei mir länger hängenblieb. „Was macht er hier?", richtete er sich an Mom, als stünde ich nicht direkt vor ihm. Ich ignorierte den mehr als nur schmerzhaften Stich in meinem Herzen bei seiner abwesenden Reaktion und sah stumm dabei zu, wie er seine wenigen Sachen zusammensuchte. „Ich geh mal kurz ins Bad.", meinte Mom mit erstickter Stimme und verschwand schnell in dem angrenzenden Raum, wodurch ich mit ihm alleine war.

„Warum?", hauchte ich leise und unterdrückte mit aller Kraft den Tränenstrom, der sich in meinem Inneren anbahnte. Doch mein Vater blieb still, vermied es in meine Richtung zu sehen und starrte stur auf den hellen Boden, der sich vor ihm ausbreitete. „Warum?", fragte ich nochmals, doch wieder bekam ich keine Antwort.









Laute Stimmen drangen von unten zu mir herauf und langsam hielt ich es nicht mehr aus. Seit mein Vater wieder zu Hause war, herrschte entweder eine bedrückende Stille oder aber höllischer Lärm. „IST DIR ÜBERHAUPT BEWUSST, WAS DU DAMIT ANGERICHTET HAST?!", schrie meine Mutter in vollster Lautstärke und auch wenn ich eine Etage über ihnen war, konnte ich jedes Wort verstehen. „NICHT NUR, DASS DU HÄTTEST STERBEN KÖNNEN... NEIN, DU MUSSTEST MICH NATÜRLICH AUCH NOCH BLAMIEREN!" Ich hörte Moms unterdrückte Emotionen und selbst spürte ich, wie sich alles in mir verkrampfte. „NA UND?", schrie mein Vater zurück und ein Kloß bildete sich in meinem Hals als ich realisierte, wie ich hautnah miterlebte, wie meine Familie am Alkohol zerbrach. 

Das gab mir den Rest und all die unterdrückten Tränen verlangten schlagartig nach Freiheit. Schluchzend brachen sie aus mir hervor und ich verfluchte mein Leben, wie schon unzählige Male zuvor. Wieso musste mir immer sowas passieren? Wieso musste ich so gestraft sein und das alles ertragen?! Wieso ich?!

Wut flaute in mir auf, brannte heiß und dunkel in meinen Adern. WIESO?! Ich sprang von meinem Bett auf, auf dem ich bis eben noch gelegen hatte und ballte wütend meine Hände zu Fäusten. Ich hasste mein Leben, hasste das Gefühl niemals irgendwo willkommen zu sein, hasste es niemals ich selbst sein zu dürfen, hasste es unter den grausamen Fingern des Alkohols zu leben, der praktisch mein gesamtes Leben mit einem Fingerschnipsen in die Hölle auf Erden verwandelte. 

„ARRRGH!" Ich schrie meinen Frust in die Welt hinaus und versenkte flammend meine Faust in der Wand. Mit einem ekligen Glitschen rutschte sie an den rauen Fasern ab und hinterließ einen blutigen Abdruck. Schmerz feuerte durch meinen Körper, befähigte die Wut auf eine neue Ebene, so dass ich erneut zuschlug. Das Brennen klärte meine Gedanken, ließ mich rationaler denken, doch es hatte genau den gegenteiligen Effekt, als ich es mir erhofft hatte, denn so wurde mir meine aussichtslose Lage nur noch bewusster.

Mit einem Schlag verrauchte die Wut in meinem Inneren als wäre sie nie da gewesen, stattdessen blieb eine eisige Leere der Verzweiflung zurück. Schluchzend sank ich zu Boden, raufte mir die Haare und weinte, weinte mir die nicht vorhandene Seele aus dem Leib. 

Erst das Piepsen meines Handys riss mich aus diesem allesverschluckenden Strudel an Emotionen und blinzelnd griff ich nach dem kleinen Teil. Tränen verschleierten mir noch immer die Sicht und so brauchte ich eine Weile, um den richtigen Code einzugeben. Yoongi hatte mir eine kleine Nachricht geschrieben und bei den Gedanken an ihn, verkrampfte sich alles in mir, während mein Herz verlangend nach ihm schrie. Er war der einzig sichere Hafen in diesem höllischen Sturm und so überwand ich zum allerersten Mal in meinem Leben meinen meterhohen Schatten und drückte auf seinen Kontakt.

„Jimin?", erklang seine weiche Stimme durch den Hörer und augenblicklich schüttelte mich ein harter Schluchzer. „Jimin, was ist los?", fragte er alarmiert, doch ich brauchte ein paar Sekunden, um meine Gedanken zu ordnen. „Y-yoongi. H-hast du etwas Zeit für mich?", brachte ich bebend hervor und fürchtete mich insgeheim vor seiner Antwort. „Für dich immer. Was kann ich für dich tun?" „K-können wir uns sehen?" Ich starrte auf meine zitternden Hände, auf das rote Blut, dass meine rechte Faust seltsam verunstaltet aussehen ließ. „Natürlich, für dich immer.", meinte er mit fester Stimme und ich hörte die Selbstverständlichkeit darin, was mein Herz ein klein wenig erwärmte. „B-bist du Zuhause?" „Ja." „Bitte warte da auf mich.", schniefte ich leise und legte schließlich auf. 

𝑀𝑖𝑟𝑟𝑜𝑟 | 𝑌𝑜𝑜𝑛𝑚𝑖𝑛 |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt