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Jimin

Deprimiert, grübelnd und mit gedrückter Stimmung ging ich eine ganze Weile vor mich hin, bis ich einen kleinen Park erreichte. Ich sah mich etwas um, konnte aber keine Menschenseele erkennen, nichts ungewöhnliches, da das Wetter jetzt auch noch meinte einen drauf setzen zu müssen und nun große Schneeflocken vom Himmel regneten. Ich seufzte ein Mal schwer und wickelte mir den dicken Schal fest um den Hals, während ich durch die dunkle Gegend spazierte.

Bald kam ich an einer kleinen Baumgruppe an, in deren Nähe eine hölzerne Bank stand. Ich hielt darauf zu und setzte mich dann einfach auf das harte Holz, ignorierte die beißende Kälte. Eigentlich war es feige von mir abzuhauen, jedes Mal, wenn es Probleme zu Hause gab, doch ich konnte einfach nicht anders. Wenn mein Vater getrunken hatte, war er unberechenbar und unausstehlich, weswegen ich es dann meist nicht lange aushielt und verschwand. 

Wäre Mom dagewesen, hätte ich es mir vielleicht nochmal anders überlegt, aber da sie auf Arbeit war, war ich einfach gegangen. Mein Vater und ich hatten schon immer einige Probleme gehabt, doch es hatte mich Jahre gekostet zu verstehen, dass das am Alkohol lag. Ich wusste nicht genau, warum er immer wieder trank, nur dass es ihn zu einem anderen Menschen machte. Schon oft hatte es brenzlige Situationen gegeben, wo jeder normaler Mensch gegangen wäre, doch meine Mom brachte es nicht übers Herz ihn zu verlassen, sie hing an ihm. Schon oft hatte ich erwogen mir einen Job neben der Schule zu suchen, um sie zu unterstützen, doch ich musste einsehen, dass das an der gesamten Situation auch nichts änderte.

Also lebte ich einfach nur vor mich hin, spielte auf glückliche Familie, obwohl ich eigentlich nur schreien wollte. Manchmal fragte ich mich, warum ausgerechnet ich das alles durchmachen musste. Warum konnte meine Familie nicht einfach ganz normal sein? Es war anstrengend und nicht selten wünschte ich mir das alles hinter mir zu lassen, doch ich musste stark sein, da Mom es nicht sein konnte. Dennoch war es jedes Mal, wenn ich bei meinen Freunden war und ich sah, wie ihre Familien miteinander umgingen, wie ein Schlag ins Gesicht. An besonders schlimmen Tagen, raubte es mir sogar den Atem, da mir klar wurde, dass meine Familie nie so sein könnte. Wir waren kaputt und doch wusste das niemand.

Keiner von meinen Freunden wusste etwas von meinen Problemen, für sie war ich ein ganz normaler 18-jähriger Schüler, der immer nett, aufgeschlossen und gutmütig war, dabei sah mein Inneres so völlig anders aus. Ich fraß diese ganzen Probleme regelrecht in mich hinein, nicht in der Lage meine tägliche Maske fallen zu lassen und meine Ängste jemandem mitzuteilen. Bis jetzt hatte es auch ganz gut funktioniert, doch in letzter Zeit hatte ich immer mehr das Gefühl an meinen Gedanken zu ersticken.

Leichte Tränen der Verzweiflung stiegen in mir auf, doch ich hielt sie mit aller Macht zurück. Wenn ich jetzt meinen Gefühlen freien Lauf lassen würde, gäbe es kein Halt mehr und das konnte ich grade einfach nicht riskieren.

Mein Handy gab einen vibrierenden Ton von sich und erleichtert über diese Art der Ablenkung von meinem Gefühlschaos zog ich es mit steifen Fingern aus meiner Hosentasche. Tae hatte mir eine Sprachnachricht geschickt und leise vor mich hin seufzend drückte ich auf Play. Das erste, was ich hören konnte, war Musik und das so laut und mit hämmernden Bässen, dass das Handy nur verstört brummte. Das nächste war Gegröle, augenscheinlich von meinen Freunden. Dann endlich hörte ich die Stimme meines besten Freundes, kaum zu verstehen bei dem ganzen Lärm um ihn herum.

„Hey Jimin, du oller Spielverderber! Und wie ist so gaaaanz allein rumzuhängen, während hier die beste Party läuft?", ich hörte die anderen zustimmend johlen und konnte nicht verhindern, dass ein Stich durch mein Herz fuhr. Er hatte recht, ich war allein und dass machte mir grade sehr zu schaffen, auch ohne seine Nachricht. „Du verpasst wirklich was Jimin, aber selbst Schuld... Die Musik hier ist wiiiirklich erste Klasse und du müsstest mal sehen, wie Namjin es fast vor hundert Leuten treibt.", anzügliche Kommentare und lautes Pfeiffen drang aus den kleinen Lautsprechern in meiner Hand. „Aber naja... ich wollte dir nur mitteilen, dass du was verpasst, vielleicht kommst du ja dann nächstes Mal mit.", damit brach die Sprachnachricht ab und ließ ein bleiernes Gefühl der Leere in mir zurück.

Ich hatte wirklich gehört, wie viel Spaß sie hatten und allein, dass sie grade so unbeschwert feierten und ich hier grübelnd, allein und frierend auf einer Parkbank irgendwo im Nirgendwo saß, verursachte ein fieses Stechen in meiner Herzgegend. Meine Freunde wussten nicht, mit was ich zu kämpfen hatte, weswegen ich Tae im Moment für diese Nachricht auch nicht verurteilte, dennoch konnte ich nicht verhindern, dass sich leise Eifersucht in mir ausbreitete. Wie dunkle Finger schloss sie sich um mein Herz und vergiftete meine Gedanken.

Wie gern ich jetzt Tae, Kookie, Jin, Namjoon oder auch Hobi wäre. Sie alle gingen mit solch einer Unbeschwertheit durchs Leben, ihre einzigen Sorgen waren gute Noten oder wo die nächste Party stattfand. Sie mussten nie darüber nachdenken, ob ihr Vater heute wohl betrunken war oder nicht, mit seinen Launen umgehen und keine Schwäche zeigen, wenn er unbedacht mit Worten um sich warf. Ich wünschte mir so sehr auch nur ein Mal in meinem Leben sorglos zu sein, nicht so tun zu müssen, als wäre alles in bester Ordnung, als wäre ich glücklich, denn das war ich nicht und ich wusste auch nicht, ob ich es jemals sein würde.

Das Gefühl der Einsamkeit erstickte mich fast, ließ mich verzweifelt röcheln und keuchen. Diesmal war der Ansturm an Tränen zu stark, sodass ich einfach nachgab und bald darauf die erste heiße Träne auf den hell erleuchteten Bildschirm meines Handys tropfte. Ich schniefte leise, hatte zum ersten Mal seit Jahren das Bedürfnis mich jemandem anzuvertrauen, doch ich konnte nicht.  Ich konnte nicht darüber reden, egal wie sehr ich es auch wollte. Und auch wenn, niemand war hier, ich war allein, gefangen in meiner Einsamkeit und Verzweiflung. Ich schluchzte unterdrückt auf, heulte über diese ausweglose Situation, mit der ich schon seit Jahren kämpfen musste. Bis jetzt hatte ich immer meinen Frieden damit gemacht, hatte es verdrängt, doch heute...

Schritte näherten sich mir, doch ich kümmerte mich nicht weiter darum, es war vermutlich eh nur ein Spaziergänger, der mit seinem Hund eine letzte Runde Gassi ging. Doch zu meiner Überraschung kamen die Schritte vor mir zum Stillstand und eine warme Stimme drang zu mir, vertrieb die Schatten meiner dunkelsten Abgründe, auch wenn nur für einen kurzen Augenblick. 

„Jimin?"

𝑀𝑖𝑟𝑟𝑜𝑟 | 𝑌𝑜𝑜𝑛𝑚𝑖𝑛 |Where stories live. Discover now