#1 Wir sind wachsam.

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Etwas verspätet hetzte Trevor vom Parkplatz auf das Schulgelände.
Mit seinen inzwischen 21 Jahren war er kurz vor seinem Abschluss auf der Reichskursantenschule¹ in Keizerstad.

Schon von weitem hörte er die Schüler der Stufen zehn bis zwölf die sich zum morgendlichen Fahnenappell versammelt hatten und eines der üblichen Propagandalieder sangen die sich inhaltlich meist gegen das Imperium von Sore richteten.

"Lasst Euch nicht erzählen,
Dass Schutz nicht nötig sei.
Sie werden uns bestehlen
Wo unsre Waffen fehlen -
Sie waren schon dabei.
Wir sind wachsam,
Weil es uns um Glück und Frieden geht.
Wir sind wachsam,
Wissen, wo der Gegner steht" schallte es aus den Mündern der jungen Männer die sich um die Flagge von Nordens Reike am Mast vor dem Schulgebäude versammelt hatten.
Natürlich nur junge Männer, denn Frauen waren im Militär von Nordenland nicht erwünscht und zu solcher Art Ausbildung auch nicht zugelassen.

"Paßt vor allen Dingen
Auf die Kinäden auf.
Sie werden zu uns dringen,
Wenn wir sie nicht bezwingen.
Sie warten schon darauf.
Wir sind wachsam,
Weil es uns um Glück und Frieden geht.
Wir sind wachsam,
Wissen, wo der Gegner steht.
Geht mit den Gewehren,
Und haltet gute Wacht.
Wenn wir nicht kräftig wären,
Dann kämen sie mit Heeren,
Gebt auf die Grenzen acht.
Wir sind wachsam,
Weil es uns um Glück und Frieden geht.
Wir sind wachsam,
Wissen, wo der Gegner steht."

Während seine Augen nach Isador suchten und sich ein Lächeln auf sein Gesicht stahl, als er den blonden Achtzehnjährigen endlich entdeckte, fiel ihm auf, wie widersprüchlich diese Propagandalieder doch eigentlich sind. Wenn die Soreaner so schwach und verweichlicht und dekadent sind, dass wir die problemlos niederwerfen werden, warum sollen wir deren Heere fürchten die doch angeblich nicht existieren?

Langsam begab sich Trevor in seinen Klassenraum. Trotzdem er zu spät war musste er keinen Ärger befürchten. Er war Trevor vaf Somien und sein Vater war niemand geringeres als Randor vaf Somien. Zur der Zeit als Nordens Reike noch eine Monarchie war und in Keizerstad auch tatsächlich noch ein Kaiser regierte, waren die vaf Somien Großherzöge von Somien gewesen, nun aber, da Nordens Reike ein Freistaat war, war Randor nichts weniger als der Storledar² des Reiches.
Allerdings, trotz des Bennung als Frijestaat war in diesem Staat eigentlich so gar nichts frei. Zu Trevors Verwunderung sah das aber keiner so - oder es traute sich ihm gegenüber keiner auszusprechen weil er halt der Sohn des großen Führers war und es jetzt schon unausgesprochen klar war, dass er diesem irgendwann nachfolgen würde.
Das Trevor große Zweifel am System, an seinem Vater und dessen Zielen hatte konnte außer Isador auch niemand wissen, denn er behielt diese Zweifel stets für sich.

So sagte sein Lehrer auch nichts als er den Raum betrat und sich grußlos zu seinem Platz begab.
Als Mitglied der Familie würde er sich auch blöd vorkommen wenn er jemand anderes mit "Häls ant Somiens"³ grüßen würde.
So vermied er das wann immer es ihm möglich war.
Dummor Sakenmann, welcher den Platz neben ihm einnahm warf ihm einem mißbilligendem Blick zu worauf Trevor nur genervt die Augen rollte.
Die Sakenmanns waren Emporkömmlinge die es an die Macht zog. Nicht das man ihnen zutraute, dass sie Trevors Vater stürzen würden, aber es war ein offenes Geheimnis, dass nicht nur Dummors Vater Dummor für einen besseren Nachfolger als Trevor hielt.
Als wenn ich so scharf darauf bin als Tyrann über 160 Millionen Menschen zu herrschen dachte Trevor bei seinem Anblick nur. Aber würde er das zugeben, dann würde das seinen Vater erheblich schwächen und so blieb ihm nur, sich auf den Nachmittag zu freuen wo er seine erste Flugstunde auf der neuesten Errungenschaft der Luchtvapen⁴ haben würde, dem neuen Fernstrahlbomber Plog 555.

Fliegen war seine Leidenschaft und da er der Sohn seines Vaters war, durfte er auch so ziemlich alles fliegen was die Luftwaffe von Nordenland parat hatte. Seine Wünsche diesbezüglich traute sich niemand abzulehnen.
Es war auch sein Wunsch zur Luftwaffe zu kommen, denn er hatte weder den Wunsch wie Dummor mit einem Stridsvogen⁵ durch den Schlamm zu wühlen, noch wollte er in einem Blechsarg durch die Fluten der Meere tauchen.
Sicherlich, die Zeemachten⁶ seiner Heimat hatte auch Überwasserschiffe, aber nicht wirklich viele, seit dem Frieden mit Angevinien, das so stolz auf seine Flotte war, hielt man sich mit dem Bau großer Kriegsschiffe zurück um keinen neuen Konflikt mit Angevinien zu forcieren welches sich selbst gerne als 'Ruler of the Seas' stilisierte.

Eine Karriere außerhalb des Militärs war für jemanden wie Trevor undenkbar.
Nach den Flugstunden würde er Isador abholen und mit ihm bei sich zu Abendessen gehen.
Und vielleicht den Kuss von vorvorgestern wiederholen.
Trevor war klar, dass er vorsichtig sein musste, dass diese Art von Begehren und Liebe in seinem Land nicht geduldet wurde.
Er wäre nicht der Sohn seines Vaters wenn er nicht genau wüsste was denen widerfährt die der Perversion von Sore frönen.
Aber Isador hatte sich nicht widersetzt, ihn mit leuchtenden Augen angesehen und obwohl er wusste, dass es falsch, verboten und gefährlich ist, hatte es sich so gut und richtig angefühlt.
Sie müssten einfach nur vorsichtig sein.

"Ostarien!" riß in die Stimme seines Dozenten aus seinen Gedanken, "was wissen sie über Ostarien, Herr vaf Somien?"
"Ostarien. Ehemaliger Staat zwischen Nordens Reike, Sore und Megyarien, hat im Jahre 1115 das Reich von Sore angegriffen, der Angriff scheiterte weil unglücklicherweise die Hauptstadt von Ostarien, Beksach, einem Großbrand zum Opfer fiel, dem das ganze Kaiserhaus und die gesamte Führung zum Opfer fielen" rattert Trevor los. "Infolge zerfiel die Staatsgewalt in Ostarien, so dass unser Land in 1116 die Jarltem Morawien und Raurien besetzen und annektieren konnte. Megyarien machte dasselbe in 1117 mit Wegwidien und Sore nahm sich Padonen. Ein Rest von Ostarien im Großen Südgebirge liegt seitdem weitgehend unbewohnt als neutrale Zone zwischen Nordenland und Sore, dort befinden sich auch die Ruinen der Hauptstadt."
"Und was lernen wir daraus?" bohrt der Dozent weiter.
"Dass man eine gute Feuerwehr haben und den Herd abstellen sollte bevor man in Sore einmarschiert" erwidert Trevor mit spöttischer Stimme und hat zumindest die Lacher unter seinen Mitschülern auf seiner Seite.
"Ich merke schon, Ihnen ist der Ernst der Lage nicht bewusst!" mault der Dozent nun.
Das hätte er besser nicht tun sollen, denn nun kommt Trevor in Fahrt: "Ernst der Lage? Wollen Sie etwa andeuten, das dekadente Reich der warmen Möchtegern-Götter sei in irgendeiner Weise eine Gefahr für unsere Stridsmachten⁷?"
Verunsichert rudert der Dozent nun zurück, denn die offizielle Propagandalinie ist natürlich, dass Nordenland diesem Imperium der Perversion im nu' das Licht ausbläst oder wie Dummor jetzt so kundtut: "Die ficken wir doch in den Arsch!"

Zu dieser Steilvorlage kann Trevor nun aber leider einfach nicht nein sagen und so wendet er sich grinsend zu Dummor und fragt ihn mit süffisanter Stimme: "Hast du keine Angst, dass denen das gefallen würde?"
Der völlig verdatterte Gesichtsausdruck von diesem und dann die Wut die ihn erfasst erfüllt Trevor mit einem Gefühl großer Befriedigung, während höhnisches Gelächter den Raum erfüllt.
"Hast du mich gerade als Arschficker hingestellt?" zischt Dummor wütend zu ihm herüber.
Entschuldigend hebt Trevor seine Hände und erwidert: "Du hast doch gesagt, dass du die ficken willst..."
Der sagt nun nichts mehr, kocht aber vor Wut während Trevor sich denkt: Irgendwann ich den umbringen müssen bevor er mich umbringt...






¹Stellt euch das als eine Mischung aus Gymnasium und Kadettenschule/Offiziersausbildung vor die von der 6. bis zur 15. Stufe geht.
²Storledar = Großführer, oberster Anführer. Faktisch der Diktator.
³Heil dir von Somien.
⁴Luftwaffe
⁵Panzer
⁶Marine
⁷Militärmacht

Das Land jenseits der Berge.Where stories live. Discover now