Kapitel 6.

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„Kommen wir nun zu den unwichtigeren Dingen!", meinte die Spielleiterin und löste ihre Hände voneinander, nur um sie danach wieder ineinander zu verschränken. Ihre Finger waren knochig und lang, an dem kleinen Finger ihrer rechten Hand prangte ein hübscher Ring aus angelaufenem Silber.

Noctana hielt immer noch die Karte in der Hand und versuchte sich selbst zu erklären, wie gefährlich das hier werden würde.

Aber sie konnte es nicht ändern: Dieses Spiel faszinierte sie.
Diese Karte faszinierte sie.

Und genau das machte Noctana Angst: Was, wenn sie Anfing wirklich Spaß an der Sache zu haben?
Spaß an Todesfällen?

„Noctana.", sagte die Spielleiterin scharf. „Ich weiß, wie wundervoll das Spiel ist. Aber konzentriere dich bitte."

Noctana nickte und wollte die Karte in ihre Hosentasche stecken, aber die Spielleiterin verengte die Augen: „Warte kurz." Sie griff nach dem silbernen Etui und holte etwas heraus.

Noctana konnte nicht genau erkennen, was es war. Vielleicht eine Art Schablone? Auf jeden Fall schien es aus Metall geformt zu sein.

Sie zuckte zusammen, als die Spielleiterin das Etui scheinbar achtlos vor ihr auf den Tisch fallen ließ: „Leg deine Karte dort hinein. Wir wollen doch nicht, dass sie zerknickt."

Noctana nickte und tat, was ihr gesagt wurde. Das Etui war schwer und kühl, sie hatte Angst, dass es ihr aus ihren verschwitzten Händen gleiten und auf den Boden fallen würde.

„Dein Zimmer ist im ersten Stock. Hier bei uns teilen sich jeweils zwei Kinder ein Zimmer. Der Waschraum ist am Ende des Flures, genau wie die Toiletten. Es hängen Schilder daran, wenn du Lesen kannst, findest du dich hier ohne Probleme zurecht.

Du teilst dir Zimmer 17 mit Ophelia. Ich hoffe doch du hast dazu keine Fragen! Also: Hast du soweit alles verstanden?". Noctana nickte und die Spielleiterin fuhr freudlos lächelnd fort: „Gut. Hast du Fragen zu dem sonstigen, belanglosen Leben, das wir hier führen?"

„Ähm ... was ist mit der Schule? Also, ich meine ...", fing Noctana an und versuchte unauffällig ihre verschwitzen Hände an ihrer blauen Hose abzuwischen.

„Wie dir hoffentlich nicht entgangen ist, sind momentan Ferien in Millers Hollow."

„Ja, aber danach!". Die Spielleiterin lachte und Noctana sah sie verwirrt an. Während die Mundwinkel der Frau nach oben zuckten bewegten sich ihre Augen kein bisschen, sondern sahen weiterhin kalt nach vorne, bohrten sich in ihre wie Nägel in eine Holzplatte.

„Bist du dir so sicher, dass du hier überlebst, dass du schon deine Zukunft planen möchtest?", fragte sie dann schneidend.

„Nein, nein. Ich dachte nur ...", versuchte Noctana sich zu verteidigen, aber sie war eingeschüchtert und ihre Stimme zeigte das. Sie war zu lesen wie ein offenes Buch.

„Wie auch immer.", unterbrach die Spielleiterin sie. „Ich möchte dir noch die Regeln erklären, denn sie sind wichtig. Sehr wichtig. Also unterbrich mich nicht.

Alle elektronischen Geräte werden mir ausgehändigt. Und damit meine ich alles: Von diesen nervigen elektronischen Uhren mit den kleinen hässlichen Bildschirmen-"

„Sie meinen SmartWatches.", fiel ihr Noctana ins Wort. Die Spielleiterin erhob sich ruckartig und knallte ihre Ellenbogen auf die Tischplatte: „Ich habe dir gesagt, dass du mich NICHT unterbrechen sollst!"

Noctana zuckte heftig zusammen und guckte die Frau ängstlich an. Das musste doch weh getan haben, oder? Hatte diese Frau denn gar keine Gefühle?

„Fahren wir fort.", meinte die Spielleiterin dann, wischte ein wenig Staub von ihrer sonst makellosen Bluse und setzte sich wieder hinter den Tisch. „Es ist verboten, das Gelände zu verlassen. Wenn du das Bedürfnis nach frischer Luft hast, kannst du nach draußen gehen – aber nur bis zum Zaun. Gehst du weiter ... nun, du möchtest nicht wissen, was dann passiert. Es sei denn du bist eine Sadistin. Aber du siehst nicht so aus, als wärst du eine.

Nach zehn Uhr Abends und bis sieben Uhr morgens ist es mehr als strengstens verboten das Haus zu verlassen.

Kontakt mit der Außenwelt, wie geschmuggelte Briefe oder ähnliches ist nicht erlaubt.

Frühstück gibt es um sieben Uhr, Mittagessen um eins, Abendessen um sieben.

Vor dem Abendessen ist die Versammlung, über den Tag verteilt gebe ich Unterricht. Spezialunterricht.

Der Zeitpunkt davon variiert, ich werde dir die Informationen rechtzeitig zukommen lassen.

Zwischen sieben Uhr morgens und zehn Uhr Abends ist es dir in deiner Freizeit gestattet, Zeit an der frischen Luft zu verbringen. Alternativ kannst du lesen, dich mit anderen Kindern unterhalten oder ein Brettspiel spielen. Wir haben mehrere davon im Versammlungssaal. Der Versammlungssaal ist der Raum, den du eben durchquert hast um in dieses Büro zu kommen.

Wenn du Fragen hast, wende dich an Ophelia. Es sei denn, du traust dich nicht. Beziehungsweise, traust ihr nicht."

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Dieses Kapitel beinhaltet zwei Spoiler (oder eher Hinweise), die die Handlung der Geschichte extrem beeinflussen werden.

Beide sind eher versteckt, eine Sache fällt nur den Leuten von euch auf, die sich mit alten Theaterstücken ein bisschen auskennen ...

Habt ihr eine Idee, was es sein könnte? :-)

Werwolf - das BlinzelmädchenKde žijí příběhy. Začni objevovat