Kapitel 19.

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Der Wecker von Ophelia war auf fünf nach sieben gestellt.

Noctana und sie wachten beide um sechs Uhr Morgens auf.

Der Wecker hatte nicht verfrüht geklingelt. Niemand war zu ihnen gekommen und hatte sie wachgerüttelt.

Sie waren einfach aufgewacht.

Gleichzeitig.

Und sie hatten zwei Sekunden – zwei Sekunden um zu realisieren, dass sie wach waren. Dann ertönten die Schreie.

Es fing mit dem ersten Kreischen an, ohrenbetäubend, schrill. Unverständlich.

Aus der Ferne ertönte ein gedämpftes Brüllen.

Schreien.

Angstvoll, schockiert. Ophelia und Noctana sprangen auf und liefen auf den Flur, überall öffneten sich Türen.

Vor ihnen lag Carter. Noctana hatte ihn nicht unbedingt vergessen – aber in der Dunkelheit der Nacht hatte sie nicht immer gesehen, dass er die ganze Zeit hier lag.

Jetzt sah sie ihn wieder.

Einen zusammengekrümmten Jungen mit einem Messer im Bauch.

Ein Mädchen würgte – Tabea.

Ein anderes Mädchen, dessen Name Noctana nicht kannte deutete zitternd auf die geschlossene Zimmertür hinter ihr: „Da ist ... Lena ist tot!"

„Lena?", fragte Manare ungläubig. „Wer würde denn bitte LENA töten?!"

Noctana schluckte heftig, sie spürte wie ihre linke Hand anfing zu zittern.

Und Ophelia bemerkte es ebenfalls.

„Erin ist auch tot!", sagte ein weiteres Mädchen. „Sie ... sie liegt da so."

„Habt ihr Carter ges- oh.". Wyatt rannte in den Flur der Mädchen, auf der Suche nach seinem Freund.

Und dann sah er ihn.

Beziehungsweise, dann sah er Carters Leiche. Seine Beine gaben unter ihm nach. Ophelia lief zu ihm und kniete sich neben ihn. Soweit Noctana das erkennen konnte, sagte sie zunächst nichts.

Sie berührte den Jungen nicht, sie redete nicht mit ihm.

Einige Minuten verstrichen, dann hob Wyatt den Kopf: „Wo ist Lena?"

„Sie ist tot.", sagte Ophelia leise. Wyatt stand ruckartig auf: „Was ...?"

Ophelia erhob sich ebenfalls wieder: „Wyatt: Carter und Lena sind tot. Beide."

„Nein.", wisperte Wyatt. James kam jetzt ebenfalls angelaufen: „Wyatt! Christopher und Thomas sind tot, aber Christopher ist in Thomas Zimmer. Und Ethan ist auch tot. Und -"

Jetzt sah auch er Carter.

Er sank nicht zu Boden, aber alle Farbe wich aus seinem Gesicht.

„Lena ist auch tot.", erzählte Ophelia ihm so leise, dass Noctana es nicht gehört hätte, würde sie nicht so nah an der kleinen Gruppe dranstehen.

Manare lief ebenfalls dazu. Sie waren eine Freundesgruppe gewesen.

Carter, Lena, James, Wyatt, Manare und Ophelia – eine Freundesgruppe.

Sie hätten sich nie so genannt, aber jetzt spürten sie zum ersten Mal, dass sie sehr wohl ein Bündnis gebildet hatten. Irgendwie.

Denn jetzt waren zwei von ihnen tot.

„Wo ist Anne?", fragte Sophie plötzlich verwirrt.

„Oh, sie schläft noch!", meinte Tabea und zeigte auf die geöffnete Zimmertür. Alle Blicke richteten sich auf sie.

„Was ist?"

„Vielleicht solltest du prüfen ob sie noch atmet?", schlug Manare vor.

Tabea sah sie mit großen Augen an, nickte, und verschwand in ihrem Zimmer.

Kurz darauf schrie sie auf.

„Warum sind das so viele?", wisperte Ophelia. Noctana sah, dass James nach ihrer Hand griff.

„Hey, warum seid ihr alle hier?", rief irgendeiner der Jungs.

„Carter.", brüllte Wyatt unnötig laut zurück. Manare legte ihm einen Arm um die Schulter.

„Ich würde vielleicht keine so engen Bindungen eingehen. Wer weiß, wen es als nächstes erwischt!", meinte Sophie mit hochgezogenen Augenbrauen. „Hat euer Team nicht schon zwei Leute verloren?"

„Nolan hat seine DREI besten Freunde verloren.", sagte Ophelia. „Gerade jetzt sollten wir mehr als zuvor in Teams unterwegs sein."

„Damit ihr noch stärker trauert?"

„Nein, damit wir Leute haben, die uns aus dieser Trauer wieder rausholen.", entgegnete Ophelia.

„Lief bei Nolan wohl schief, oder?!", fragte Sophie hämisch.

„Findest du das ernsthaft lustig?!"

Alle wandten sich um. Es war nicht schwierig zu erraten, wer dort stand. Wer gesprochen hatte.

Nolan.

„Ich habe meine drei besten Freunde verloren.", sagte er mit zitternder Stimme und ging auf Sophie zu. „Und du machst Witze darüber?!"

„Wie heißt es doch: keine Bindungen eingehen.", sagt sie. „Anscheinend wollte die Spielleiterin uns nur vor uns selbst schützen."


Werwolf - das BlinzelmädchenWhere stories live. Discover now