Kapitel 12.

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Um halb eins schoben alle zusammen die Stühle im Versammlungssaal zu Reihen um und holten Tische aus einer der Ecken des Saals.

Es war Zeit für das gemeinsame Mittagessen.

Noctana wunderte sich darüber, dass die Spielleiterin ihnen das Essen anscheinend selbst brachte und setzte sich wieder zwischen Ophelia und Lena.
An den Tischen saßen unterschiedlich viele Leute, bei ihnen waren es insgesamt acht.
Noctana warf den anderen Mädchen an ihrem Tisch einen kurzen Blick zu. 

Niemand schenkte ihr besonders stark Aufmerksamkeit. Auch Gespräche gab es keine. Zumindest noch nicht.

Auf einmal ertönte ein lautes Klappern und eine eher pummelige und eine ziemlich dürre Frau, beide mit zusammengebundenen grauen Haaren, brachten Teller voller Essen herein.

Ihre Hände und Gesichter waren übersäht mit kleinen Narben, die Mundwinkel der beiden hingen tief hinunter.

Sie liefen mehrere Male zurück in den Keller und kamen mit neuen Tellern zurück, bis alle dreißig Kinder ihr Mittagessen vor sich stehen hatten.

„Ich wünsche euch einen guten Appetit!", rief die Spielleiterin, drehte sich auf den Fersen um und ging in ihr Büro. Erst als die Tür zuschlug fingen die meisten an, sich zu unterhalten.

„Wer war das?", fragte Noctana neugierig.

„Wir nennen sie die Geister. Es sind die Köchinnen hier.", sagte das Mädchen gegenüber von Noctana. „Du weißt was Köchinnen sind, oder?"

„Klar.", sagte Noctana. „Aber ... was wenn sie jemandem erzählen, was sie hier sehen?"

„Keine Chance. Sie verlassen das Waisenhaus nie und sie haben auch keine Familien oder Leute die sie sonst kennen. Sie wohnen hier. Selbst wenn sie ins Dorf gingen – die Spielleiterin hat ihnen die Zungen rausgeschnitten, sie können also gar nichts erzählen.", meinte das Mädchen. „Ich bin übrigens Sophie. Falls es dich interessieren sollte."

„Noctana.", sagte Noctana.

„Soll ich einfach mal alle vorstellen?", fragte Sophie leise Ophelia, die mit den Schultern zuckte. „Okay. Das ist Lena, das bist du, das ist Ophelia, Manare, Tabea, Carla, das bin ich und das ist Luise."

Noctana nickte, leicht überfordert. Sophie grinste: „Merkt man sich mit der Zeit alles. Aber das Mittagessen ist, oder war bisher, immer eine unserer wenigen Chancen zu reden. Die Spielleiterin ist da nämlich nie dabei. Hat sie dir gesagt, dass das Mittagessen eine regelmäßige Mahlzeit ist? Ja, oder? Lüge. Frühstück und Abendessen gibt es immer, aber Mittagessen eigentlich nur, wenn es angekündigt wird."

„Und warum konntet ihr sonst nicht miteinander reden? Ich meine-"

„Wir hatten immer zu anderen Zeiten Spezialunterricht.", sagte Manare, die bisher nur stumm ihre Suppe gegessen hatte. „Übrigens: Cooler Name. Endlich bin ich nicht mehr die einzige mit so einem!"

Noctana lächelte. Vielleicht war es doch nicht so schlimm hier?

„Also sind Freunschaften hier erlaubt?", vergewisserte sie sich.

„Jepp, aber auch nicht mehr.", sagte Sophie und verdrehte die Augen.

„Was meinst du ...?"

„Sie und Andrew waren inoffiziell gesehen zusammen. Aber „zusammen sein" ist hier nicht erlaubt.", erklärte Lena. „Was dumm ist. Inoffiziell ist doch dasselbe wie offiziell!"

„Oh.", machte Noctana überrascht. 

„Iss was.", sagte Lena aufmunternd. „Das Mittagessen ist, zumindest wenn es stattfindet, die größte Mahlzeit!"

Noctana sah, wie Tabea ihren Teller ein paar Zentimeter von sich wegschob.

Sie erinnerte sich an das, was Ophelia ihr erzählt hatte. Viele hier hatten angeblich eine Essstörung.

Noctana hob ihren Löffel und tauchte ihn in die Suppe. Es war Linsensuppe, gräulich grün. Aber sie schmeckte einigermaßen.

„Sie will uns nicht verhungern lassen.", sagte Sophie augenrollend. „Wir sollen uns anscheinend lieber bei dummen Spielen massakrieren."

„Echt so! Ist fast schon lusti-", fing Tabea an, aber Ophelia ließ ruckartig ihren Löffel in ihre Suppe fallen: „Lustig?! Ist das dein Ernst?! Wir sollen uns gegenseitig UMBRINGEN! Das ist kein Scherz! Wenn deine beste Freundin stirbt, kommt sie nicht mehr zurück. Nie wieder!"

„Ich hab wahrscheinlich einfach keine Tanatophobie!", sagte Sophie. Manare zuckte heftig zusammen.

„Sind hier Geschwister?!". Es wurde still, alle Blicke richteten sich auf Noctana.

„Was?"

„Sind hier ... Geschwister?", wiederholte Noctana.

„Oh, Themenwechsel.", murmelte Ophelia und senkte den Blick wieder auf ihre Suppe. Sophia sah sie kurz wütend an und wandte dann ebenfalls den Blick ab.

„Wyatt ist mein Bruder.", sagte Lena. „Aber wir haben nicht viel miteinander zu tun. Wir sind nicht so die „Seelenverwandten Geschwister". Aber wir hassen uns auch nicht. Er ist halt einfach ... da. Es ist einfacher, wenn du jemanden hast, der einfach immer da ist. Eine Person, bei der du weißt, dass du ihr vertrauen kannst und dass sie da sein wird, wenn du sie brauchst. Jeder bräuchte so etwas eigentlich."

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Das sind also einige neue Charaktere :-)

Ich hab zuerst die erste Nacht geplant und dann das Kapitel geschrieben. Jetzt ... tja. Wie auch immer:

Was haltet ihr von den Mädchen, die ihr kennengelernt habt?

Habt ihr Theorien, was für Rollen sie bekommen haben?


Werwolf - das BlinzelmädchenWhere stories live. Discover now