Kapitel 15.

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Es war dunkel, als Noctana erwachte.

Als sie ihre Augen ein wenig öffnete, konnte sie nicht einmal die Konturen ihres Bettgestells erkennen.

Sie hörte Ophelia leise und undeutlich im Schlaf reden, das Ticken des Weckers ihrer Mitbewohnerin erschien ihr unnatürlich laut.

Nach mehreren Minuten, in denen ihre Augen sich langsam an die Dunkelheit der Nacht gewöhnten, hörte sie Schritte auf dem Flur.
Sie waren leise, vorsichtig – Noctana vermutete, dass sie von zwei Personen stammten.

Mittlerweile konnte sie immerhin wieder die Umrisse ihrer eigenen Hände erkennen, also stand Noctana auf. 

Das Spiel.
Das Spiel musste begonnen haben.

Sie sah auf Ophelias Wecker, konnte die Zeiger aber nicht erkennen.
Leise fluchend suchte sie nach der Taschenlampe, die sie auf den Nachttisch gestellt hatte. Nachdem sie versehentlich fast den Wecker hinuntergestoßen hatte fand Noctana sie, knipste die Lampe an und richtete den schwachen Lichtstrahl auf den Wecker: Laut ihm war es kurz nach Mitternacht.

Der Lichtstrahl fing auch das leichte Glänzen von Ophelias Etui ein. 

Kurz sah sie unschlüssig auf das Etui, dann stand Noctana entschlossen auf.

Sie musste einfach wissen, was die Rolle ihrer Zimmermitbewohnerin war; also griff sie nach dem Etui – es ließ sich nicht öffnen.

Es sah genauso aus wie das ihre, nur die Initialen waren anders. Statt NT stand hier OL.

Noctana versuchte weiterhin, die zwei Hälften des kleinen Kästchens auseinander zu ziehen, aber es bewegte sich nichts.

"Komm schon!", zischte sie, ihre Finger zitterten vor Anstrengung. Dann ließ sie das Etui versehentlich fallen.

Erschrocken versuchte sie, es zu fangen, aber es war, als würde es ihren Händen ausweichen, kam schließlich klappernd auf dem Boden auf. 

Ängstlich sah sie zu Ophelia. 

Doch die zuckte nicht einmal mit der Wimper.
Also atmete Noctana tief durch, hob das Etui auf, legte es wieder zurück und entschied sich dafür, sich ein wenig auf dem Flur umzusehen.

Leise schlich sie zur Tür und öffnete sie.
Zu ihrer Überraschung knarzte das Holz nicht, also zog sie sie noch ein wenig weiter auf, um besser sehen zu können, was dort draußen vor sich ging. 

Noctana blinzelte, erkannte schließlich ein Mädchen mit kurzen, hellen Haaren, das hinter einer der Zimmertüren verschwand.

Wer war das?

Ein zweites Mädchen, mit hüftlangen schwarzen Haaren, schloss fast zur gleichen Zeit eine andere Zimmertür.

Das konnten nicht die Werwölfe sein. Aber wer war es dann?

Die Minuten verstrichen und nichts passierte.
Noctana lehnte sich gegen den Türrahmen; das Holz drückte unangenehm gegen ihre Schulter.

Dann öffneten sich nacheinander zwei Türen. Noctana zog erschrocken ihre Zimmertür ein wenig zurück, sodass sie nur noch einen kleinen Teil des Flures sehen konnte.

Zwei Mädchen, wieder aus unterschiedlichen Zimmern, schlichen über den Flur. Erkennen konnte sie aber nur ihre Umrisse.

Also gab Noctana sich einen Ruck und schlüpfte aus Zimmer siebzehn. 

Sie presste sich eng gegen die Wand und hob nur den Kopf: Die zwei Mädchen trafen sich vor Raum Null mit einem Jungen. 

Die drei redeten nicht, sie nickten sich nur irritiert zu. Dann verschwanden sie wieder.

So langsam verstand Noctana gar nichts mehr.

Was sollte das alles? Wo blieben die Werwölfe?

Dann hörte sie, wie sich im Flur der Jungs wieder leise eine Tür öffnete und sie schlich in die Richtung des Flures, versteckte sich hinter dem Treppengeländer vor Raum Null.

Ein Junge schlich aus seinem Zimmer in ein anderes, in seiner Hand lag eine Art Ampulle. War er vielleicht ein Werwolf?

Aber wo blieben dann die Schmerzensschreie? Wieder schien niemand zu sterben.

Etwa zwanzig Minuten lang passierte nichts, Noctana beschloss, wieder in ihr Zimmer zurückzukehren, sie war müde, sie wollte wieder schlafen.

Also stand sie auf, lief über den Flur, schob ihre Zimmertür auf – und erstarrte. Ophelia war verschwunden.

Eilig lief Noctana zurück auf den Flur, so langsam fühlte sie sich sicherer dabei, auch wenn sie nicht wusste, ob das besonders klug war.

Und dann stieß sie mit jemandem zusammen.

Noctana war kurz davor laut aufzuschreien, aber sie hielt sich rechtzeitig den Mund zu. Nur ein leises Keuchen konnte sie nicht unterdrücken.

Ein Mädchen mit leeren Augen lief an ihr vorbei, die Arme leicht vor sich ausgestreckt. Das war Tabea!

Und sie schien zu schlafen.

Mit klopfendem Herzen wandte sich Noctana von ihr ab und sah Ophelia aus einem anderen Zimmer zurück auf den Flur treten.

Schnell schloss Noctana die Zimertür hinter sich und zog sich die Decke bis zum Kinn, tat so, als würde sie schlafen. 

Kurz darauf kehrte auch Ophelia zurück, legte sich hin.

Mittlerweile zeigte der große Zeiger des Weckers auf die Eins.

Ophelias Atem wurde wieder regelmäßiger, dieses Mal redete sie nicht, als sie einschlief. 

Auf dem Flur schliff etwas irgendwo entlang, es klang wie Metall auf Holz.
Schlagartig war Noctana wieder hellwach und schob die dünne Decke zur Seite bevor sie ungeschickt aufsprang. 

Was passierte jetzt? Aufgeregt lief sie zu der Tür und lehnte sich gegen sie, griff nach der Klinke.

Sie wollte sie schon hinunterdrücken, auf den Flur laufen - als dieses Etwas auch an ihrer Tür entlangstreifte. 

Noctana zuckte zusammen und trat zitternd zurück.

Wartete, bis die Schritte sich wieder entfernten. 

Dann erst schob sie vorsichtig die Tür auf.

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Wer glaubt ihr wird die Nacht nicht überleben?

Der nächste Teil der Nacht wird in wenigen Minuten ebenfalls veröffentlicht ...


Werwolf - das BlinzelmädchenWhere stories live. Discover now