Kapitel 77.

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Die Spielleiterin ging in den Keller, Ophelia folgte ihr so langsam wie es möglich war, ohne zu weit zurückzufallen.

„Geh bitte vor.", sagte die Spielleiterin, ohne das "bitte" in ihrem Tonfall wider zu spiegeln. Ophelia atmete tief durch und ging dann langsam an der Spielleiterin vorbei, ohne ihr in die Augen zu sehen, bis sie ziemlich genau vor ihr stand.

„Du hast ein Messer.", stellte die Spielleiterin fest und zog eine Augenbraue hoch. „Gib es mir. Nicht, dass du dich noch schneidest."

Ophelia zog das Messer aus ihrer Hosentasche und hielt es hinter sich, sodass die Spielleiterin danach greifen konnte.
Die Klinke war noch nicht wieder eingeschnappt.
Die Spielleiterin nahm es sich, nicht ohne die Klinge noch einmal an Ophelias Handgelenk entlang streifen zu lassen.

„Das hier ist das echte Leben. Vergiss das nicht, Ophelia. Ich bin die, die das Messer hat. Immer."

Ophelia schloss die Augen und versuchte, nicht zu heftig zusammen zu zucken, während das Messer leicht auf ihrer Haut drückte.
Es hinterließ keine Spur. Zumindest keine sichtbare.
Und Ophelia rührte sich nicht einmal ein winziges bisschen, sie musste das hier überleben, sie durfte jetzt einfach nicht erstochen werden oder was auch immer die Spielleiterin genau mit ihr vor hatte.

„Du fragst dich bestimmt, was das hier gerade soll, nicht wahr? Ich könnte dich so einfach töten ... aber da gibt es etwas, dass du bestimmt sehen möchtest.", meinte die Spielleiterin leise. „Geh voran. Weißt du, wo der Rau mit der Glasscheibe ist?"

„Was?", fragte Ophelia verwirrt.

„Es gibt einen Raum im Keller, der in der Mitte durch eine Glaswand zerteilt wird. Er hat zwei Eingänge. Du wirst in einen dieser kleinen Räume gehen. So weit alles klar?"

„Natürlich.", antwortete Ophelia. „Was ist auf der anderen Glasseite?"

„Das wirst du sehen. Übrigens könntest du den Wunsch verspüren, die Glasscheibe einzuschlagen - aber das wird für dich nur bewaffnet möglich sein. Und, oh nein - ich habe dein Messer!
Ich schlage außerdem vor, dass wir auf dem Weg dorthin ein kleines Vertrauensspiel spielen."

Die Spielleiterin hielt Ophelia eine schwarze Augenbinde vors Gesicht, zog sie unsanft nach hinten und knotete sie unnötig heftig fest.

Ophelias Atem ging schneller, ihre Fingernägel gruben sich tief in ihre Handflächen. Sie konzentrierte sich zitternd auf den Schmerz und versuchte, ihre furchtbare Angst dadurch zu vergessen.
Es funktionierte nicht.

Vor allem nicht, als sie die kalte Klinge ihres eigenen Messers an ihrem Hals spürte.
Wieder drückte die Spielleiterin nicht wirklich zu: Sie hielt das Messer einfach nur so, dass Ophelia seine Existenz sicher bemerken konnte.

„Ich halte aktuell eine Klinge an deinen Hals, aber ich werde nicht zudrücken: Zumindest nicht, wenn du mir keinen Grund dazu lieferst. Also mach jetzt besser keine Fehler. Geh einfach vorran."

Vorsichtig setzte Ophelia einen Schritt vor den anderen, die Klinge ruckte leicht zur Seite.
Ihre Augen hielt sie geschlossen. Es war zu deprimierend, direkt vor sich den Grund zu sehen, weshalb sie nichts sehen konnte, also öffnete sie die Augen gar nicht erst.
Es brachte doch sowieso nichts.
Es ist okay, sagte sie sich gleichzeitig in Gedanken. Es ist nur ein Messer. Das kennst du. Du -

„Was ist eigentlich mit deinem Arm passiert?", fragte die Spielleiterin auf ihre liebenswürdige und genau deshalb so gruselige Art.

„Der Messerraum. Ich habe mich geschnitten.", antwortete Ophelia, ohne stehen zu bleiben.

Werwolf - das BlinzelmädchenWhere stories live. Discover now