Kapitel 89.

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Noctana schlief.

Es war noch relativ früh am Abend, aber Ophelia hatte ihr dringend empfohlen, wenigstens für ein paar kurze Stunden die Augen zu schließen.

Also schlief sie.

Sie hatte geglaubt, dass sie nur wach auf dem Rücken liegen und an die Decke starren würde, aber die aufgestaute Müdigkeit überfiel sie überraschend schnell, zog sie sanft herunter in das taube Unbewusstsein.

Irgenwann, als der Himmel draußen schon schwarz wie Tinte war, wurde sie unsanft von Ophelia geweckt.

„Was ist?", nuschelte sie und wischte sich verschlafen über die Augen. Ihr Kopf pochte unangenehm.

„Du musst uns alle wecken."

„Was?"

„Das Spiel wird uns viel zu spät wecken, und alle zu unterschiedlichen Zeiten, das können wir uns nicht leisten.
Aber ich habe nachgedacht: Du hast die Chance, uns aufzuwecken."

„Warte kurz ... ähm ...", Noctana blinzelte kurz. "... wie? Das Spiel lässt euch doch weiterschlafen ... Moment mal: Dann funktioniert der ganze Plan ja überhaupt nicht!", bemerkte Noctana entsetzt. „Was-"

„Warte ab: Doch, der Plan wird funktionieren.
Du wirst ja schließlich aufwachen -"

„Aber wie soll ich euch denn aufwecken?!"

„Ganz einfach: Indem du uns dem Tod näher bringst."

Noctana verschluckte sich an ihrer eigenen Spucke und richtete sich hustend auf.

„Man wacht nur auf, wenn man kurz davor ist zu sterben. Eine perfide Idee des Spieles: Die letzten qualvollen Momente seines Lebens muss man noch miterleben.
Aber jetzt kommt uns das eigentlich zugute: Du musst uns einfach nur in Lebensgefahr bringen.

Wenn du aufwachst, versuchst du, mich zu ersticken, und dann -"

„Vergiss es! Ich werde dich auf keinen Fall ersticken!", rief Noctana schrill.

„Du sollst mich ja auch nicht wirklich ersticken! Du sollst nur versuchen, mich zu ersticken. So lange, bis ich aufwache. Dann wecken wir die nächsten, und immer so weiter ... bis am Ende alle wach sind. Wir treffen uns auf dem Flur, und verteilen die endgültigen Aufgaben.

Wenn alles glatt läuft, werden wir das Waisenhaus nach dieser Nacht nie wieder auch nur ansehen müssen."

„Aber -"

„Kein Aber. In ein paar Minuten werden wir alle schlafen. Das Spiel wird dich um Mitternacht aufwecken.

Und dann versuchst du, mich umzubringen."

„Wissen die anderen davon?"

Ophelia zögerte: „Ein paar von ihnen. Sophie zum Beispiel. Die ganz Ahnungslosen haben ja immer noch keine Ahnung davon, dass es nach dieser Nacht überhaupt kein Spiel mehr geben wird."

Noctana nickte langsam, obwohl sie eigentlich widersprechen wollte. Doch das konnte sie nicht.

Nicht mehr.

Dafür war sie einfach ... sie war einfach zu müde.

Sie spürte noch, wie sie sich langsam zurücklehnte, ihr Kopf auf dem dünnen Kissen landete ... und dann schlief sie wieder ein.

Als sie aufwachte, war es noch dunkler geworden.

Ophelia redete leise im Schlaf, aber die Worte verflossen so ineinander, dass Noctana sie nicht mehr richtig verstehen konnte.

Es dauerte ein paar Minuten, bis ihr ihre Aufgabe wieder einfiel. Sie sah auf ihr Kissen und erschauderte bei dem Gedanken daran, was sie jetzt laut Ophelia machen sollte.

Werwolf - das BlinzelmädchenWhere stories live. Discover now