Kapitel 27.

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Noctana hatte Angst davor, sich hinzulegen.

Sie wusste, dass sie fast sofort einschlafen würde.

Und sie wusste auch, dass sie in dieser Nacht wieder Sachen sehen würde. Sachen, die sie nicht sehen wollte.

Vielleicht könnte sie liegen bleiben, wenn sie wach wurde?

Aber wollte sie das? Wach liegen, die Schmerzensschreie hören und versuchen die Augen zu verschließen?
Die Spielleiterin kontrollierte ihren Schlaf, das hatte sie sich bereits zusammengereimt. Und die Leiterin würde sie garantiert nicht wieder einschlafen lassen, damit sie die Todesschreie besser ignorieren konnte. Im Gegenteil!

Sie würde aufstehen.

Sie würde aufstehen müssen.

Noctana zog langsam die Decke auseinander und legte sich hin.

„Ich denke nicht, dass es so schlimm wird wie letzte Nacht."

„Was?", fragte sie überrascht und sah zu Ophelia.

„Es wird weniger Tote geben."

„Woher weißt du das?"

„Ich finde es logisch, ehrlich gesagt.", meinte Ophelia und drehte sich auf den Rücken, um das aufkeimende Gespräch sofort zu beenden. „Ich finde es unpassend, „Gute Nacht" zu sagen. Genieß die wenigen Stunden ruhigen Schlaf. Der Morgen wird kommen. Es sei denn, du stirbst."

Noctana wollte noch etwas erwidern, aber ihre Augen fielen bereits zu, ihre Muskeln wurden schlaff.

Sie schlief ein.

Es war dunkel, es musste Neumond sein. Der Himmel war ein einziger schwarzer Vorhang.

Noctana sah graue Wolken wie Rauch vor sich aufsteigen. Sie brauchte einige Sekunden um zu begreifen, dass es ihr Atem war.

Es musste wirklich kalt sein ... dann explodierte etwas.

Jemand schrie auf. War sie es selbst?

Noctana wusste es nicht.

Das Feuer flammte auf und riss das halbe Dach weg, verbrannte das Geschoss darunter, fraß sich gierig weiter durch das Haus.

Warum hast du Benzin verschüttet?", fragte jemand, Noctana fuhr herum. Es war eines der Mädchen aus ihrem alten Waisenhaus, doch sie konnte sich nicht an ihren Namen erinnern.

Du bist Schuld an dem Brand!"

Sie hat meine Katze vergiftet.", heulte jemand anderes. Dieses Kind war eine seltsame Mischung aus mehreren Gesichtern, die Noctana sehr bekannt vorkamen, aber wieder konnte sie sich nicht daran erinnern, wie sie alle hießen.

Was war nur mit ihr los?

Fahren wir los?"

Plötzlich war dort Mr Reginald, aber eine verzerrte Version von ihm, mit langem blondem Haar und einem Lächeln wie purer Sonnenschein ... war das Lena?

Dann saß sie in einem Auto, lehnte den Kopf gegen die Scheibe. Das Radio war kaputt. Aber wo kam dann diese Musik her?

Na los, lauf schon!"

Warum bin ich hier?". Ihre Stimme klang so ... anders.

Was war hier überhaupt los?

Das ist der Zaun. Er erzählt eine Geschichte."

Wie sollte der Zaun etwas erzählen, wenn er nicht reden konnte?, fragte sich Noctana. Sie sah sich die Symbole an. War es ein Muster?

Endete es mit demgleichen Symbol wie es angefangen hatte?

Der Zaun fing an zu reden und Noctana sah überrascht auf-

In dem Moment begriff sie, dass sie träumte.

Zwei große Werwölfe tauchten auf, knurrten sie an. Die Zähne glänzten, blut tropfte von ihnen herab-

Sie musste aufwachen! Sie musste aufwachen!

Mit aller Macht versuchte sie, dafür zu sorgen. Sie versuchte, ihren Körper wieder zu spüren, die Augen aufzuschlagen, die Muskeln anzuspannen.

Aber etwas – der seltsame Schlafzauber – hielt sie davon ab.

Weinte sie deshalb? Weinte sie, weil sie nicht mal mehr aus freiem Willen aufwachen konnte? Noctana wusste es nicht.

Vielleicht war auch das Weinen nur Einbildung.


Werwolf - das BlinzelmädchenWhere stories live. Discover now