Kapitel 65.

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Ophelia stieß die Türen zu jedem einzelnen Zimmer auf, fand viele verschiedene ihrer Mitbewohnerinnen und Mitbewohner, aber unter ihnen waren weder Noctana noch Manare.

„Glaubst du echt, dass du auf die Art Essen findest?", rief ihr Sophie spöttisch hinterher, die Wyatts Zimmer durchsuchte.

„Gleiche Frage an dich. Was erhoffst du dir unter dem Teppich von Wyatt zu finden?", meinte Ophelia belustigt. „Selbst wenn da etwas ist, wird es vermutlich so flach sein wie eine Oblate. Andererseits: Esspapier könnte es vielleicht auch sein, wenn du sehr viel Glück hast!"

„Warum musst du dich eigentlich immer in alles einmischen?", zischte Sophie und ließ den dünnen grauen Teppich wieder zu Boden gleiten.

„Keine Ahnung. Hab ich mir wohl mit der Zeit angewöhnt.", antwortete Ophelia. „Willst du noch unter dem Teppich in James Zimmer nachsehen?"

Sie zog schnell die Tür hinter sich zu, als Sophie wutentbrannt nach irgendetwas in ihrer Nähe griff um es nach Ophelia zu werfen.


Wyatt fand ebenfalls keine der Gesuchten.

Stattdessen fiel ihm eine Dose Erbsensuppe in die Hände. Überrascht, aber glücklich, zerriss er die Spinnennetze, unter denen die Dose stand und zog sie hervor.

Vegetarische Erbsensuppe, verkündete das leicht ausgeblichene Etikett.
Eine lächelnde Katze war darauf auch zu sehen, sie hatte orangefarbenes Fell und hielt einen glänzenden Löffel in die Luft. Was das genau mit Erbsensuppe zu tun hatte, verstand Wyatt nicht.

Jedenfalls klemmte er sich die Dose unter den Arm und lief wieder los, um weiterzusuchen.


James lief durch den Keller.

Immer wieder raschelte es irgendwo, so, als würde jemand den Staub vom Boden weg kehren.

Aber das tat niemand.

„Manare?", rief James laut. „Noctana?"

Keine Antwort.

Er ging weiter, bog ein paar mal ab und schob mit den Füßen Steine zur Seite. Warum hier Steine lagen war ihm nicht ganz klar, aber es stört ihn auch nicht wirklich, also ignorierte er sie.

Doch dann kam er zu einem ganzen Steinhaufen.

Er versperrte ihm den Weg.

James zog die Augenbrauen zusammen und stellte sich auf die Zehenspitzen, versuchte, irgendetwas hinter dem Haufen erkennen zu können.

Aber die Steine waren fast bis zur Decke gestapelt worden – wer auch immer das hier getan hatte: Es war mit Sorgfalt erledigt worden.

James hätte den Steinhaufen ignorieren können.

Er hätte zurück gehen und einfach weiter suchen können.

Aber James kniete sich hin und zog die ersten Steine aus dem Haufen. Das hier war ein Hindernis und es war fast schon ein Drang, es zu zerstören.

Die spitzen Zacken der Steine schnitten ihm in die Unterarme, hinterließen oberflächliche Kratzer. Der Steinstaub verdreckte seinen fleckigen, grauen Pullover mit dem hässlichen Muster auf dem rechten Ärmel und brachte seine Augen zum Tränen.

Warum machte er weiter?! Wieso wollte er die Steine unbedingt hinter sich in den Flur werfen?!

Wieso wollte er den Steinhaufen so dringend auseinanderreißen?!

Er wusste es nicht.
Er holte nur langsam einen Stein nach dem anderen heraus.

Und dann wurde ihm endlich klar, dass jemand oder etwas in diesem Steinhaufen drin war.
Essen vielleicht?

Eifrig wischte er eine weitere Ladung Steine, die an der Stelle sowieso fast nur Kieselsteine waren, zur Seite und offenbarte ein ... was war das?

Es war rund, aber nicht wirklich ... langsam fing James an zu zittern.

Das hier war ein Gesicht.

Und zwar nicht irgendeines – das war Carters Gesicht.

Hektisch räumte James mehr Steine zur Seite und ganz langsam erkannte er wirklich Carters Leiche.

Er arbeitete an der Zerstörung des Steinhaufens, bis Carter wirklich komplett frei lag, bis James zu einhundert Prozent von seiner Entdeckung überzeugt war. 

Die klaffende Wunde, die zu Carters Tod geführt und die er sich selbst verpasst hatte prangte unverkennbar vor James.

Ihm stiegen Tränen in die Augen.

Wieso lag Carters Leiche in einem Steinhaufen?! Das hatte er nicht verdient! 

Unwillkürlich stellte er sich vor, wie jemand anderes hier lag.

Was, wenn es nicht Carters eingefallenes Gesicht wäre, sondern Ophelias?

Oder Wyatts?

Oder-

„James?"

Er drehte sich erschrocken um: „Manare! Ich habe dich gesucht!"

„Wieso?", fragte sie verwirrt und deutete dann auf den zerstörten Steinhaufen, die herumliegenden Steine, „Und was ist das? Was hast du-"

„Sie hat Carter in Steine geschmissen und hier hin gelegt.", unterbrach James sie mit belegter Stimme, wandte Carters Leiche den Rücken zu.

„Oh.", machte Manare. „Das ist ... wieso hast du mich gesucht?"

„Ophelia ... ich weiß nicht. Sie will, dass wir uns alle versammeln. So schnell wie möglich.", versuchte James zu erklären. „Hast du Noctana gesehen?"

„Nein.", antwortete Manare kurz angebunden. „Also, gehen wir jetzt? Wenn es so schnell wie möglich gehen soll?!"

James nickte, er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Das Bild von Caters totem Gesicht, von seiner Leiche, die immer noch hinter ihm lag, ließ seine Sicht verschwimmen.

Manare war ungeduldig: "Kommst du dann?!"

Wieder nickte James und gemeinsam verließen sie den albtraumhaften Keller des Lacrim Waisenhauses.

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Was ist eigentlich euer Lieblingsduo/trio?
Beziehungsweise, welche Charakterkombination mögt ihr am liebsten (Nicht unbedingt im Shipping-Sinne)?


Werwolf - das BlinzelmädchenWhere stories live. Discover now