Kapitel 78.

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„Sie weiß es nicht.
Sie hat keine Ahnung.
Sie hat die Schablonen nicht gesehen."

„Doch. Doch! Ihr habt doch selbst gesagt, dass sie alles sieht und dass sie alles weiß!", widersprach Noctana. Sie zitterte am ganzen Körper und versuchte sich nur durch das Verschränken ihrer Arme irgendwie selbst zu wärmen.

Es funktionierte nicht wirklich gut.

Sie alle saßen in der Bibliothek und warteten darauf, dass Ophelia zurückkommen würde.
Die Möglichkeit, dass sie vielleicht überhaupt nicht zurückkehren würde, verbot sich Noctana auch nur in Betracht zu ziehen. Aber sie war sich sicher, dass sie nicht die einzige war, die Ophelias Rückkehr in Frage stellte.

In ihrer Mitte lagen die Schablonen, alle komplett durcheinander. Die Werwölfe waren vermischt mit Neutralen, dazwischen lagen die Leute mit anderen Kräften.

Noctana wusste genau, wo ihre Schablone lag.
Außerdem war ihr schmerzhaft bewusst, dass die daneben, die Schablone mit den glänzenden, prächtigen Engelsflügen, zu Lena gehörte.
Zu Lena gehört hatte.

Und Wyatt wusste das auch, sonst würde er nicht dermaßen ausdruckslos genau in die gleiche Richtung starren. Sein Knie zitterte.

„Sie hat die Schablonen nicht gesehen. Mach dir keine Sorgen, das wird schon.", meinte er jetzt, ohne Noctana überhaupt anzusehen.

„Du hättest auch einfach meinen Rat befolgen und raus rennen können!", meldete sich Andrew aus einer der Ecken.

Noctana sah ihn wütend an: „Wir brauchen aber alle Schablonen, also tu nicht so, als wäre das eine realistische Möglichkeit gewesen! Ich bin diejenige im Recht!"

„Ja, aber er ist ein Junge. Also denkt er, er wäre Gott.", rief Sophie spöttisch und wickelte sich betont gelangweilt eine ihrer Haarsträhnen um den Mittelfinger.

„Was soll das denn jetzt heißen?!", fragte Andrew wütend. Sophie setzte sich auf und ließ die Haarsträhne los. Ihre Augen funkelten gefährlich: „Wenn Noctana ein Junge wäre, hättest du sie im Büro ernst genommen und gar nicht erst versucht, ihr die Sache mit dem Aufheben auszureden!"

„Wie bitte?! Doch, natürlich! Es war eine dumme Idee, die sie nur in unnötige Gefahr gebracht hat -", verteidigte sich Andrew mit zornesrotem Gesicht.

„Nein! Hättest du nicht versucht, mir die Sache auszureden, hätte ich mehr Zeit gehabt und die Spielleiterin hätte gar nicht mitbekommen, dass ich im Büro war.", widersprach Noctana heftig. Am liebsten wollte sie einfach aus dem Raum rennen und das immer hitziger werdende Gespräch hinter sich lassen, aber sie hatte das Gefühl, dass sie langsam mal damit anfangen sollte, ihre eigenen Kämpfe auch wirklich selbst zu kämpfen.

„Das weißt du nicht!", mischte Wyatt sich ein und sah endlich von den Schablonen auf. Noctana unterdrückte ein nervöses Lächeln, als Wyatts Augen ihre trafen.

Wyatt bemerkte Noctanas Aufruhr nicht: „Außerdem bringt es doch jetzt sowieso nichts mehr, die Sache wieder und wieder durchzusprechen. Es ist vorbei. Immerhin hat die Spielleiterin die Schablonen nicht bekommen!"

„Das war pures Glück!", meinte Andrew und wischte sich über die verschwitzte Stirn.

„Bitte, halt einfach die Klappe!", stöhnte James.

„Was hättet ihr denn gemacht?!", fragte Andrew wütend. „Ihr zerfetzt mich wie ein Rudel Wölfe, aber was hättet ihr denn gemacht, Leute?!"

„Ich hätte Noctana laufen lassen.", antwortete Wyatt.

„Natürlich! Aber du hältst Leuten auch gerne Messer an die Kehle!
Außerdem, tu nicht so als hättest du keinen Beschützerinstinkt, Wyatt, ich habe genau gesehen, wie du -", spottete Andrew.

Werwolf - das BlinzelmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt