Kapitel 72.

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Sie wandten sich wieder dem Zaun zu.

Allmählich begannen alle drei zu frieren, aber noch verdrängte das Adrenalin das aufkeimende Gefühl der Kälte. Zumindest teilweise.
Ihre Konzentration hatte noch nicht nachgelassen, aber der Regen wurde ganz langsam stärker und sie mussten ein wenig näher an den Zaun treten, um die Symbole überhaupt noch gut erkennen zu können.

„Der Engel. Der Mörder. Der Wächter.", flüsterte Ophelia leise, während sie weiter den Zaun entlang liefen.
Lena. Carter. Nolan

Es war unglaublich. Wieso nur waren sie nicht früher hergekommen?!

Der Zaun stand seit ihrer Ankunft hier, wieso hatten sie ihn sich nicht genauer angesehen?!
Sie hätten genau sehen können, wie das Spiel verlaufen würde! Sie hätten herausfinden können, wann jeder aufwachen würde, was für andere Rollen es noch gab!

Hätten sie Leben retten können? Vielleicht. Sie hätten zumindest die Chance dazu gehabt!

„Die Werwölfe.", wisperte James, der dicht neben Ophelia stehen blieb. Selbst als kleine 2D-Metallfiguren wirkten die Werwölfe auf eine groteske Art gruselig.

„Drei von ihnen sind anders.", sagte Wyatt. „Weißer Werwolf. Urwolf. Böser Wolf."

„Vier. Du hast die Wölfe vergessen.", ergänzte Ophelia.

„Warte, was?", fragte James überrascht.

„Die Wölfe. Sie tun so, als wären sie Werwölfe, haben aber keinen Tötungsdrang.", erklärte Ophelia, überrascht über die ehrliche Unwissenheit der anderen beiden.

„Ariane!", sagte James plötzlich und sah Wyatt entsetzt an.
Auch Wyatt ging, metaphorisch gesagt, ein Licht auf.

„Was ist mit Ariane?", fragte Ophelia scharf. Weder James noch Wyatt antworteten zunächst.

„Was ist mit Ariane?!", wiederholte Ophelia, zwar leiser aber nicht einen Deut weniger eindringlich.

„Jemand von den Werwölfen ... hat sie zum Töten gezwungen. Ariane wollte nie mitkommen – aber wir wollten ... Gerechtigkeit.", fing James an, würgte die Worte fast heraus.

„Ihr habt sie zum Töten gezwungen?!", fragte Ophelia fassungslos. „Ihr habt-"

„Ja.", unterbrach Wyatt sie. „Wir dachten – das heißt, eigentlich können wir als Werwölfe nicht mehr wirklich denken, deshalb ist denken ein wenig schwierig, aber -"

„Wer war es?", fragte Ophelia scharf.

„Was meinst du?"

„Du hast gesagt, ihr hättet sie zum Töten gezwungen. Das glaube ich euch nicht, weil ich euch kenne."

„Nein, Ophelia. Es ist ... Werwolf sein ist komplett verrückt. Vielleicht denkst du, dass wir immer noch wir selbst sein könnten, aber das ist so nicht.
Als Werwolf kannst du nichts mehr kontrollieren. Gar nichts.
Irgendeine banale Sache erscheint dir plötzlich unglaublich wichtig und verdrängt alles andere. Es ist, als würdest du eine Bombe in dir tragen, die dich jeden Moment zerfetzen könnte, wenn du nicht jemanden anderen umbringst.", zischte Wyatt. „Als Werwolf bist du nicht mehr du."

Ophelia unterdrückte ein Seufzen, nickte aber: „Okay. Nach den Werwölfen kam die Hexe."

„Was?", machte Wyatt verwirrt.

„Der Zaun. Nach den Werwölfen kam die Hexe, um sich das Opfer der Werwölfe anzusehen. Dann folgen die Sonderwölfe. Und wisst ihr, wer dann in der ersten Runde kam?
Der Brandstifter.", ergänzte Ophelia und sah wieder zum Zaun.

Wyatt und James folgten ihrem Blick.

Es war, wie alle anderen Muster auch, eine eher schlichte Dekoration, die die Rolle des Brandstifters zeigte: Nur eine flache Person mit Flammenmuster über dem Kopf.

Allerdings gab es sehr wohl eine Sache, die dieses Motiv durchaus herausstechen ließ: Während alle anderen Figuren quasi perfekt aussahen, mit geraden Ecken und Kanten, während alle anderen Figuren fast perfekt ausgeschnitten zu sein schienen, war der Brandstifter beschädigt.
Seine Ränder schienen zerfranst zu sein, der Kopf war oval statt rund, der ganze Körper war zerbeult.

„Ich denke, spätestens jetzt sollte uns allen klar sein, dass der Brandstifter nicht hätte existieren sollen.", sagte Ophelia.


Werwolf - das BlinzelmädchenOnde as histórias ganham vida. Descobre agora