Kapitel 88.

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„Hier ist, was wir tun werden.

Marten, setz dich wieder ordentlich hin.
Rücken gerader als eben bitte.

Wir werden uns ein Messer teilen, es herumreichen wie bei einem Schwur, und jede und jeder von euch sticht auf ihn ein. Und zwar genau ein Mal.

Dann bekommt die nächste Person die Waffe.

Das ganze machen wir so lange, bis Marten stirbt. Klingt das nicht lustig?"

Noctana konnte nicht mehr schlucken.
Ihr Hals war staubtrocken, sie würgte, hustete, aber niemand schien ihren Schmerz zu bemerken.

„Stellt euch in eine Reihe. Marten, setz dich endlich hin, du hast hier nichts mehr zu sagen!"

Marten sagte tatsächlich nichts mehr, sondern setzte sich zitternd zurück auf seinen Stuhl. Das teuflische Lächeln war schneller aus seinen Gesichtszügen gewichen, als Noctana mit dem Knoten in ihrem Hals „Werwolf" sagen konnte.

Sophie stand als erste auf und baute sich vor Marten auf. Die Luft zwischen ihnen schien vor lauter unterdrücktem Hass gefährlich zu knistern.

Hinter Sophie stellten sich zögernd die anderen auf. Noctana landete fast ganz am Ende – hinter ihr stand nur noch Eliza, die nervös ein paar Flusen von ihrem Pullover zupfte.

„Sophie, tausche deinen Platz mit Wyatt.", befahl die Spielleiterin scharf und wischte währenddessen das Messer an ihrem Ärmel ab.

Ophelia seufzte. Sie würden also wieder das Messer verwenden, dass vor wenigen Stunden noch das ihre gewesen war. Mittlerweile war sie sich da nicht mehr ganz so sicher.

Sophie zuckte mit den Schultern und nahm Wyatts Platz ein, während Wyatt von der Spielleiterin das Messer entgegennahm.

„Stich.", sagte die Spielleiterin kurz.

Wyatt betrachtete das Messer und sah dann Marten in die Augen: „Es tut mir leid."

„Lügner!", schnauzte Marten mit Tränen in den Augen.

„Ich rede nicht mir dir!", fauchte Wyatt. Seine Hand zitterte.

„Das Messer.", flüsterte Ophelia warnend, die ungefähr in der Mitte der Schlange stand.

„Was?", fragte James verwirrt, folgte ihrem angespannten Blick.

„Wir müssen ihm das Messer abnehmen."

„Was?!", wiederholte James.

Wyatts Atem ging schwerer.

Marten sah ihn verwirrt an, verstand nicht, was mit ihm los war.
Er hatte keine Ahnung, dass Wyatt nicht Marten vor sich sah.

Er sah Lena.

Sie hätte gewollt, dass er zustach. Sie hätte gewollt, dass er sich selbst schützte - aber Lena hätte doch nie gewollt, dass er dafür jemand anderen verletzte, oder?
Wäre sie jetzt hier ... Sie hätte ihr Leben für seines gegeben, sie hätte mit ihrer eigenen Opferung Marten und ihn selbst gerettet.

Lena hatte ihr Leben aber bereits gegeben.

Wie automatisch wanderte Wyatts Hand mit dem Messer an seinen linken Unterarm.

„Nein.", sagte Ophelia laut. Alle Blicke richteten sich auf sie, aber dieses Mal bemerkte sie es nicht einmal wirklich. „Wyatt, nein! Du hast es versprochen!"

Wyatt sah sie nicht an. Seine Hände begannen zu schwitzen.

„Stich!", brüllte die Spielleiterin. Noctana widerstand dem Drang, sich die Ohren zuzuhalten, um dieses furchtbare Piepsen aus ihrem Kopf zu kriegen.

Werwolf - das BlinzelmädchenWhere stories live. Discover now