Kapitel 53.

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Ophelias Kondition war schlecht.

Noctanas war schlechter.

Das Adrenalin ließ langsam nach und die Erschöpfung breitete sich in ihrem Körper aus.

Noctana keuchte, das Seitenstechen schwächte im Gegensatz zu ihren Kräften leider nicht ab, es fühlte sich an als würden ihr immer tiefer Messer in den Bauch gestoßen werden.

Doch dann, als Noctana schon befürchtete umzukippen und nie wieder hochzukommen, stoppte der weiße Werwolf plötzlich abrupt ab.

Erschrocken drehte sie sich um.

Der Wolf stand dort und atmete, versuchte anscheinend sich zu beruhigen. Weshalb er das tat, wusste Noctana nicht.

Ein leises Winseln drang aus seinem Mund und seine geschrumpften Ohren wuchsen wieder.

Doch das brachte den weißen Werwolf nicht aus der Ruhe – er stand dort wie eine unglaublich detaillgetreue Statue und atmete nur.

Sein Kopf schrumpfte, die Haare färbten sich braun, das ganze Tier wurde kleiner, menschlicher.

Der Junge, der jetzt vor Noctana stand, hielt den Kopf gesenkt, es dauerte ein paar Sekunden bis er aufhörte so stark zu zittern.

„Au.", sagte er dann, legte sich eine Hand in den Nacken und sah ruckartig auf „Hi."

„Hi.", erwiderte Noctana mit angehaltenem Atem. In ihren Augen sammelten sich Tränen.

Warum er?

Warum musste ausgerechnet er-

„Es tut mir leid.", sagte der jetzt wieder menschliche Wolf. "Die Toten-"

„Ich weiß, dass du keine Wahl hattest.", erwiderte Noctana schnell. „Aber ... warum wolltest du James umbringen?"

„Ich habe mir Sorgen um ihn gemacht – nein, eigentlich nicht.

Ich dachte irgendwie, ich weiß nicht ... es war seltsam.

Ich mag James, wirklich, und ich würde ihn niemals freiwillig umbringen, aber ... es gab nur diese eine Sache in meinem Kopf, die mir sonst eigentlich so unglaublich egal ist, aber als Werwolf war nur noch diese Sache da und ... tja."

„Ich hab dich aufgehalten.", flüsterte Noctana verblüfft, mit weit aufgerissenen Augen. Sie lachte kurz vor Erstaunen auf, die Erschöpfung und die Anspannung führten dazu, dass sie sich fühlte als würde sie schweben.

„Danke. Die Sache mit der Zeitspanne, oder?", meinte der Junge.

„Du weißt davon?"

„Ich habe es mir gedacht. Allerdings wird die Spielleiterin sich wahrscheinlich gleich irgendwie bei mir melden, ich werde mich wieder verwandeln und versuchen ... jemand anderen umzubringen."

Auf seine Worte folgte das Ziehen im Hals, das es auch bei Ophelia gegeben hatte.

Er fasste sich erschrocken an den Hals, sein Atem ging schwerer, seine Augen wurden wieder hellblau, seine Haare weiß, er wuchs-

„Lauf.", keuchte Wyatt, bevor er sich aufbäumte. Es knackte, als seine Gesichtszüge sich komplett veränderten, als sein Nacken sich in die Länge zog.

„Nicht James töten!", brüllte Noctana noch, fügte „Und Ophelia und mich – Noctana - auch nicht! Bitte!" hinzu, bevor sie die Flucht in ihr Zimmer antrat, die Zimmertür zuerst schnell hinter sich zuknallte und sie dann aber wieder aufschob, nur um zu sehen, wie der weiße Werwolf in einem der Zimmer im Mädchenflur verschwand.

Es war also nicht das von James.

Noctanas Herzschlag beruhigte sich wieder, aber jetzt schoss ihr etwas anderes durch den Kopf. 

Wyatt war also der weiße Werwolf.

James und Wyatt – zwei Werwölfe.
Sie war mit zwei Werwölfen befreundet.

Und sie hatte gerade James und Ophelias Leben gerettet. Zumindest für eine Nacht.


Werwolf - das BlinzelmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt