Kapitel 75.

74 18 3
                                    

Noctana hatte Ophelia selten auf diese Art Lächeln gesehen.
Und mit selten meinte sie eigentlich nie.

Es war ein erleichtertes Lächeln, ein freudiges. Ein absolut ehrliches.

„Das ist eine gute Frage. Fangen wir mit dem großen Ziel an.", sagte Ophelia an Sophie gewandt, während ihr üblicher, ernster Gesichtsausdruck wieder das aufblitzende Lächeln verschwinden ließ. „Wir wollen diese Metallschablonen irgendwie mithilfe von Feuer zerstören."

„Ich dachte, wir wollen das Waisenhaus abbrennen?", fragte Wyatt, leicht enttäuscht.

„Das wäre eher etwas, das vermutlich versehentlich passieren könnte.", meinte Ophelia vage.

„Du willst den Kram auf dem Dach verbrennen?!", fragte Wyatt und schaffte es nicht ganz, die in seinem Tonfall erkennbare, leicht nach Begeisterung klingende Überraschung zu verbergen.

„Nein!", sagte Noctana sofort. „Das ist ... oben!" Sie erschauderte.

„Es ist unsere einzige Chance! Wenn wir das im Haus machen, verbrennen wir gleich mit! Oder ersticken, was vermutlich sowieso wahrscheinlicher ist.", meinte Ophelia.

„Verbrennen wir nicht sowieso?!", fragte Sophie und verschränkte die Arme. „Wir kommen garantiert nicht alle rechtzeitig wieder vom Dach runter!"

„Was das angeht, überlegen wir uns noch einen genauen Fluchtplan. Aber du hast mit einer Sache recht: Wir können nicht alle aufs Dach.", meldete sich Wyatt wieder. „Auch weil wir die Meisten an anderen Stellen brauchen werden."

„Zuerst müssen wir aber überhaupt erst einmal an diese Metallschablonen kommen.", sagte Ophelia. „Und das könnte ziemlich schwierig werden. Wir müssen dafür nämlich in das Büro der Spielleiterin."

„Das ist es!", rief Sophie laut.

„Was?", fragte James irritiert. Sophie verdrehte die Augen: „Das ist die Situation, in der ich sterben werde."

„Dein strahlender Optimismus ist zwar etwas ganz wunderbares, aber wollen wir vielleicht trotzdem vorerst auf sachlicher Ebene bleiben?!", kommentierte Ophelia Sophies sarkastischen Ausruf genervt. „Wie kommen wir in das Büro?"

„Wir könnten die Tür sprengen!", schlug Wyatt vor.

„Klar. Weil du natürlich auch Sprengsätze in deinem Zimmer hast.", meinte Nolan.

„Wir haben grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Gewaltsames Einbrechen oder möglichst unauffälliges.", sagte Ophelia stirnrunzelnd.

„Wir haben keine Chance, unbemerkt zu bleiben, oder? Nicht, wenn die Spielleiterin doch immer alles sieht!", meinte Noctana. „Also müssen wir möglichst laut und offensichtlich sein. Verstecken bringt nichts, wenn man sowieso immer gefunden wird."

„Das ist absolut korrekt."

„Aber doch sehr dumm! Wir kennen die Spielleiterin, sie lässt das alles gar-"

„Sophie, sie hat noch nie jemanden umgebracht! Wir sind wie Marionetten! Sie kontrolliert uns eigentlich nur mit Drohungen.", unterbrach Ophelia sie.

„Aber mit starken Drohungen.", ergänzte Wyatt.

„Wie auch immer: Die eigentliche Frage ist doch, wie wir in ihr Büro kommen.", unterbrach Nolan die aufkeimende Diskussion.

„Mit Messern!", rief Ophelia.

„Was?!", rief Noctana mit schreckgeweiteten Augen. 

„Wenn wir viele sind und die Messer extrem scharf sind ... ich meine, die Tür ist doch aus Holz, oder?! Zumindest taugt das als Ablenkung, während Wyatt das Schloss knackt.", meinte Ophelia. „Zwei von uns könnten dann schnell rein, die Schablonen suchen und mitnehmen-"

„Was ist mit dem Leuten, die dann vor dem Raum sind?! Sollen die sterben?!", fragte Sophie.

„Natürlich nicht! Die müssen ... eine Mauer bilden. Die Spielleiterin darf nicht wissen, wer in dem Raum war!", Ophelias Blick klarte sich mit jedem Wort mehr. „Also: Wir gehen zu acht. Alle mit Messern. Fünf bilden die Mauer, die nichts anders tut, als auf die Tür einzuhacken. Wyatt knackt das Schloss. Und auf dem Boden, direkt an der Tür, knien die letzten zwei, die sofort in den Raum rennen, wenn die Möglichkeit besteht."

„Wer geht freiwillig mit?", rief Wyatt sofort, als Ophelia verstummte. „Die anderen müssen hier oben bleiben und dafür sorgen, dass sich niemand in Gefahr begibt!"

Noctana meldete sich sofort. Neben ihr zeigte auch Nolan auf.

Wyatt, James, Ophelia, Eliza, Andrew – und am Ende sogar Sophie.

„Was?", fragte Sophie, als einige sie irritiert anstarrten. „Ich bin stärker, als die meisten von euch! Ich habe nur eine ganz kleine Frage: Wo kriegen wir die Messer her?"

„Ich habe zwei.", sagte Wyatt beiläufig.
„Wieso hast du zwei Messer?!", fragte Noctana erschrocken und mit extrem schriller Stimme. Neben ihr zuckte Nolan zusammen.

„Die Spielleiterin hat uns elektronische Geräte abgenommen, aber keine Waffen. Wahrscheinlich dachte sie nicht daran, dass wir uns irgendwann gegen sie wenden könnten.", antwortete Wyatt schulterzuckend. „Jeder braucht Messer!"

„Ich hab ein Taschenmesser: Zählt das auch?", fragte Andrew.

„Klar. Solang die Klinge noch nicht zu abgenutzt ist.", sagte Ophelia. „Also, wer braucht noch ein Messer?"

Wieder schoss Noctanas Hand als erste in die Höhe.

„Wieso habt ihr alle eigene Messer?!", fragte sie irritiert und ein wenig ängstlich, als sie sah, wie viele ihre Hände unten ließen.

„Wieso hast du keins?", entgegnete Wyatt.

„Ich schlage vor, dass alle, die keine Messer haben, sich schnellstmöglich welche besorgen. Entweder bei anderen oder ihr versucht die Küche zu finden. Vielleicht haben einige der Toten ja noch Messer?", sagte Eliza, die nichts sehnlicher wollte, als selbst die Führung zu übernehmen. Das heißt, eigentlich wollte sie gar nicht führen. Sie wollte nicht diejenige sein, die Pläne entwerfen und andere davon überzeugen musste.
Sie wollte einfach nur vorne stehen.
Sie wollte das Kommando haben.

Und ihr war nicht klar, dass alle anderen das auch wussten.

„Okay. Eliza, du leitest die Gruppe in die Küche. Wir treffen uns danach entweder hier oder auf dem Flur. Zumindest wenn alles so funktioniert, wie es soll.", sagte Ophelia. Wyatt grinste, als er Elizas geschocktes Gesicht sah.

„Natürlich.", sagte sie dann möglichst würdevoll und hoffte inständig, nicht die Küche suchen zu müssen. „Alle, die kein Messer haben: Folgt mir!"


Werwolf - das BlinzelmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt