Kapitel 68.

67 23 7
                                    

„Nur um das noch einmal kurz klarzustellen: Du willst in Raum null einbrechen, um dir irgendetwas durchzulesen, was möglicherweise gar nicht existieren könnte?!", meinte Manare ungläubig.

„Ja.", antwortete Ophelia schlicht. „Allerdings gibt es ein paar Hindernisse: Erstens, das Schloss. Ich kann vieles, aber Schlösser knacken ist nicht unbedingt meine größte Stärke."

„Ich bräuchte zwei Haarklammern.", sagte Wyatt schulterzuckend.

„Wieso kannst du Schlösser knacken?", fragte James.

„Wieso kannst du keine Schlösser knacken?!", entgegnete Wyatt mit hochgezogenen Augenbrauen und wandte sich dann wieder an die anderen. „Also?"

„Ich hab Haarklammern.", fiel Manare ein, die allerdings immer noch nicht sonderlich begeistert von Ophelias Idee zu sein schien.

„Gut. Kommen wir aber zum zweiten Problem: Die Spielleiterin, die so ziemlich immer am falschen Ort ist. Was heißt, dass sie uns vermutlich erwischen wird."

„Vermutlich?! Sie erwischt uns auf jeden Fall!", sagte Manare schrill. Nolans Hände zuckten bei ihrem hohen und lauten Tonfall reflexartig zu seinen Ohren.

„Theoretisch, ja. Aber nicht, wenn wir sie ablenken.", meinte Ophelia. „Und das geht am besten -"

„Durch irgendetwas anderes schlechtes!", sagte Nolan eifrig und verschränkte seine Hände wieder hinter seinem Rücken.

„Oder durch Spezialunterricht, oder?", fragte Noctana. Alle Blicke richteten sich auf sie und Noctana spürte, wie ihr dank der plötzlichen Aufmerksamkeit langsam der Schweiß ausbrach.

„Ähm.", machte sie unsicher. „Als ich zum ersten Mal Spezialunterricht hatte und klettern musste ... da hat die Spielleiterin mich allein gelassen, weil ich nicht so gerne allein bin. Es muss doch ein Gegenstück dazu geben, also jemanden, bei dem sie immer dabei ist, weil die Person Angst vor Gesellschaft hat, oder?"

Ophelia sah sie verblüfft, aber zunehmend begeistert an: „Das stimmt!"

„Ja, aber wer hat bitte Angst vor Gesellschaft?", fragte Manare spöttisch. „Ich meine, das ist doch ziemlich albern, findet ihr nicht?!"

„Ganz ehrlich: Ich finde es mehr als logisch, sich vor Menschen in irgendeiner Art und Weise zu fürchten.", meinte Ophelia. „Kennt jemand von euch denn jemanden, bei dem die Spielleiterin immer dabei ist?!"

Zuerst antwortete niemand. 

Darüber zu Reden, wovor sie sich wirklich fürchteten, war etwas, was niemand von ihnen gerne tat. Es war, als würde man zu viel von sich zeigen: Als würde es einen zu Schwach machen.

„Kennt ihr Ariane?", fragte Nolan dann mit belegter Stimme. Er räusperte sich, aber seine Stimme behielt den blassen Ton. 

Noctana sah ihn mit großen Augen an.

„Natürlich.", sagte James. „Hat sie-?"

Nolan nickte langsam: „Sie war ein Ordnungsfreak. Wirklich, es war krass. Aber dann ... die Spielleiterin hat sie dermaßen verändert, dass Ariane sich mittlerweile sogar vor sich selbst fürchtet.  Sie versucht zu verdrängen, dass sie ... nicht mehr aufräumt, weil sie irgendwie alles nicht mehr kann. Sie versucht, alles zu verstecken: Aber die Spielleiterin sieht eben dieses „alles". Und auch wenn Ariane allein sein will, ist die Spielleiterin halt ... da."

„Das heißt, wir müssen irgendwie ... wir müssen Ariane irgendwie Spezialunterricht verschaffen.", sagte Ophelia und hatte das Gefühl, fast an den Worten zu ersticken.

„Und wie?", fragte James. 

„Indem wir der Spielleiterin etwas erzählen.", meinte Ophelia.

„Und was?!", fragte James, klang jetzt deutlich eindringlicher.

Ophelia schloss kurz die Augen und biss sich dann angespannt auf die Lippe, bevor sie die anderen wieder ansah: „Viele haben doch ein ungefärbtes Kleidungsstück, nicht wahr?"

„Ja...?", sagte Manare ungeduldig und fing an, mit ihrem rechten Fuß auf den Boden zu tippen.

Ophelia öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Plötzlich wirkte sie unendlich müde: „Ariane hat eins und ich weiß wo es ist. Wenn wir zu der Spielleiterin gehen und es ihr bringen, dann -"

Sie hörte auf zu Sprechen. 

„Oder wir weihen sie ein!", schob Ophelia eilig hinterher. „Das würde vielleicht vieles einfacher machen -"

„Aber das kostet uns wieder Zeit!", warf Manare ein.

„Tun wir das nicht, ist das Verrat.", entgegnete Ophelia scharf.

„Es wäre doch anscheinend für den guten Zweck!", beharrte Manare.

„Immer noch Verrat! Wir müssen uns nur aufteilen, dann wird das schon. Team eins geht zu Raum null. Team zwei sorgt für die Ablenkung der Spielleiterin. Und Team drei-"

„Team drei?", unterbrach Nolan verwirrt. „Ich dachte, es gibt nur zwei Hindernisse?!"

„Im großen und ganzen, ja. Aber damit es nur bei den Zweien bleibt, brauchen wir Team drei: Team drei sind quasi die Übermittler. Sie müssen normal bleiben. Sich weiterhin unter die anderen mischen. Es fällt nämlich auf, wenn sich einige Leute treffen und dann alle von ihnen weg sind. Außerdem muss Team drei andere von Raum null fernhalten!"

„Ich kläre die Sache mit Ariane. Erzähle ihr von dem Plan und schwärze sie dann bei der Spielleiterin an.", sagte Manare sofort.

„Okay.", meinte Ophelia. „Andere Wünsche?"

„Ich muss in Team eins. Ich kann Schlösser knacken.", erinnerte Wyatt sie.

„Für Team drei brauchen wir Leute, die allseits beliebt sind: Also Nolan. Und Noctana."

Noctana sah sie überrascht an: „Ich? Wieso-"

„Du hast immer noch die „ich-weiß-von-gar-nichts-weil-ich-neu-bin-Rolle.", meinte Ophelia und sah dann zu James und Wyatt. „Und wir gehen dann zu Raum null?"

„Einverstanden.", meinte James. „Wie geht es danach weiter?"

„Klären wir dann.", sagte Ophelia zögernd. „Zuerst muss Schritt eins funktionieren. Dann reden wir weiter."

„Können bei dem ersten Schritt schon Leute sterben?", fragte Noctana vorsichtig.

„Es können immer Leute sterben.", erwiderte Ophelia. „Also, legen wir los."

„Deine Haarklammern?", fragte Wyatt Manare bemüht höflich.

Manare lächelte ihn ohne ersichtlichen Grund säuerlich an und zog dann zwei Haarklammern aus ihren tiefschwarzen Haaren.

„Danke.", sagte Wyatt und lächelte zurück, allerdings ohne jegliche Wut.

Manare sagte nichts mehr, sondern nickte allen als Abschied kurz zu und verließ dann den Raum: „Bis später."

„Hey, du hast ihr gar nicht gesagt wo Arianes ungefärbtes Kleidungsstück jetzt eigentlich ist!", fiel Nolan plötzlich ein.

Alle Blicke richteten sich auf Ophelia.

„Ich habe meine Gründe.", erwiderte sie. „Nolan, Noctana? Ihr wisst, wie ihr-"

„Sollte kein Problem werden.", unterbrach Nolan sie. „Treffen wir uns dann in der Bibliothek wieder?"

„Ja.", meinte Ophelia. „Warte, das sollte Manare vermutlich auch wissen ... okay, egal, wer sie als nächstes sieht, er oder sie erzählt ihr dann einfach davon?"

„Ist wahrscheinlich am einfachsten so.", stimmte Wyatt ihr zu und betrachtete nachdenklich die Haarklammern in seiner Hand. 

„Dann sollten wir anfangen."

Werwolf - das BlinzelmädchenWhere stories live. Discover now