Kapitel 25.

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Noctana verbrachte den Nachmittag damit, weitere Kapitel des Buches zu lesen.

Ophelia verschwand kurz, mit der Erklärung in die Bibliothek zu gehen. Es dauerte nicht lange, bis sie zurückkehrte.

Sie schloss die Tür und stand einige Sekunden einfach nur dort.

„Alles okay?", fragte Noctana schließlich.

„Gewöhn dir die Frage ab. Hier ist nie „alles okay"!", meinte Ophelia. „Hör zu ... warte kurz!"

Es ertönten Schritte auf dem Flur, man hörte das dumpfe Geräusch einer zuschlagenden Tür.

Ophelia entfernte sich von der Zimmertür und setzte sich neben Noctana auf die harte Matratze ihres Bettes.

„Ich weiß, wer du bist."

Noctana verschluckte sich an ihrer eigenen Spucke, als sie anfing zu husten drückte Ophelia ihr einen Teil der Bettdecke auf den Mund.

„Was ist?", keuchte Noctana.

„Ich denke nicht, dass alle erfahren sollten welche Rolle du hast.", antwortete Ophelia. „Jeder einzelne hier würde bei plötzlichem Husten misstrauisch werden."

„Warum?"

„Wir sind paranoid."

„Ähm ... okay?"

„Du bist eine von den sogenannten „Guten". Du weißt teilweise wer welche Rolle hat. Und du hast gesehen, wie Carter und Erin gestorben sind."

„Wie?", flüsterte Noctana geschockt. „Ich meine-"

„Du sahst nicht überrascht aus heute morgen. Du scheinst eher schwach zu sein – tut mir leid – du hättest also viel erschrockener über die Leiche von Carter sein müssen. Die einzige Möglichkeit für deine bewahrte Fassung musste also die sein, dass du bereits wusstest, dass er dort war."

„Was bist du? Sherlock Holmes oder so?", fragte Noctana unbehaglich.

„Du gewöhnst dir einige Sachen an, während du hier bist, habe ich dir doch gesagt.", meinte Ophelia mit hochgezogenen Augenbrauen. „Dann: Ich war bei Erin. Genauer gesagt bei ihrer Leiche.
Das Typische: Dir ist ein Haar ausgefallen. Ich habe es weggewischt."

„Und woher willst du dann wissen, dass ich nicht ... eine Mörderin bin oder so?"

„Oh, das ist ...", fing Ophelia grinsend an. „Das ... bist du nicht."

„Was meinst du?"

„Du bist keine schlechte Person Noctana. Du bist nicht kaltblütig. Vielleicht hast du vergessen, was die Spielleiterin dir gesagt hat: Diese Rolle ist deine zweite Identität. Du kannst kein Werwolf sein, wenn das nicht irgendwie in dir steckt. Und ich denke, du bist kein Werwolf."

„Beeindruckend.", murmelte Noctana.

„Allerdings weiß ich nicht, wie deine Rolle heißt.", gestand Ophelia.

„Blinzelmädchen.", sagte Noctana. „Und du bist ...?"

„Ich habe die Möglichkeit, jede Nacht eine einzige Karte anzusehen."

„Und wie heißt du jetzt?"

„Ich bin kurz davor „Ophelia" zu sagen. Aber was denkst du denn?"

„Kartenguckerin?"

„Ein Glück dass du dieses Spiel nicht erfunden hast.", seufzte Ophelia. „Meine Rolle ist die der Seherin."

„Klingt cool.", meinte Noctana. „Und -"

„Was ist in der ersten Nacht passiert?", fragte Ophelia angespannt. „Wieso sind so viele tot?"

Noctana seufzte: „Es gab mehr negative Rollen als ... na ja, gedacht."

Und dann erzählte sie ihr alles, was sie wusste.

„Nur eine Sache verstehe ich nicht.", meinte Noctana. „Erin. Sie war die Hexe, das heißt sie hätte sich retten können. Warum hat sie es nicht getan?"

Ophelia biss etwas Haut von ihrer Lippe: „Erin ist ... Es ist verdammt schwierig, sich hier umzubringen, weißt du? Erin hat es schon zweimal versucht. Das hier war wohl ihre große Chance ... und sie hat sie genutzt."

„Und jetzt?"

„Was meinst du?"

„Wie geht es jetzt weiter? Ich meine-", Noctana sah Ophelia abwartend an.

Ophelia antwortete nicht direkt.

„Ich weiß es nicht.", sagte sie schließlich und sah Noctana direkt in die Augen. „Ich weiß es wirklich nicht."

„Denkst du ... denkst du wir werden im Spiel sterben?"

„Ich denke sehr logisch, weißt du? Und dieser logische Teil würde ohne zu zweifeln ja sagen. Aber: Dieses Spiel hat so vieles, das absolut nicht logisch ist. Deshalb habe ich keine Ahnung, Noctana. Vielleicht geht es hier nicht nur um das Spiel ..."

„Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.", unterbrach Noctana sie, der gespannte Ausdruck blieb jedoch in ihren Augen.

„Erin hätte nicht sterben sollen. Die Spielleiterin wollte sie nicht tot sehen. Weißt du, was das heißt?"

„Was hat die Spielleiterin bitte gegen eine Tote mehr? Das muss ihr doch gefallen!"

„Sie kontrolliert uns, sie liebt dieses Gefühl der absoluten Kontrolle. Erins Tod war absolut nicht unter ihrer Kontrolle, es war Erins Entscheidung, nicht die ihre.

Wir spielen die dritte Runde. Zwei mal ist alles gut gegangen, aber jetzt ist etwas passiert, das nicht im System vorhergesehen war.

Und genauso beginnen die großen Veränderungen:

Manchmal reicht eine kleine Flamme um ganze Wälder in Brand zu setzten."

„Du denkst, Erin war die Flamme?"

„Ich denke es nicht. Nicht unbedingt. Aber ich hoffe es."


Werwolf - das BlinzelmädchenOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz