Kapitel 42.

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Lenas Gesicht erschien vor den geschlossenen Augen jedes einzelnen Mitglieds des kleinen Kreises.

Ihre Augen waren glasig und rot umrandet, über ihre Wangen flossen Tränen. Ihre Nase lief und sie schniefte, lehnte sich gegen die Wand.

Ich kann nicht mehr!", sagte sie mit erstickter Stimme, Wyatt zuckte zusammen, als die Augen seiner Schwester sich scheinbar in seine bohrten.

Die Stimme von Carter ertönte, sie sahen alles durch Carters Augen.

Ophelia biss sich auf die mittlerweile schon wieder blutende Lippe: Manare hatte gelogen. An irgendeinem Punkt.

Das hier konnte nicht Lenas Sicht sein.

Lena ...", sagte er, die Stimme voller Schmerz.

Bitte!", meinte sie.

Ich kann dich nicht töten!"

Doch, kannst du! Carter, ich ... ich will nicht spielen. Ich KANN nicht spielen. Du bist der Mörder, du kannst mich töten!"

Carter seufzte: „Ich hätte dir nicht davon erzählen sollen."

Doch, doch!", widersprach Lena. „Bitte, Carter. BITTE!"

Es wird weh tun."

Ich weiß. Es wird ... hart. Aber ich kann nicht mehr, ich kann das alles nicht mehr."

Hast du keine Angst vor dem Tod?"

Nein. Nur vor dem Leben."

Ophelias Mundwinkel zuckten.

Ich habe nur ein Messer, Lena. Ich müsste dich erstechen!"

Dann erstich mich. Carter, ich – ich will es nicht selbst tun!"

Ich kann dich nicht umbringen. Ich will nicht – ich KANN nicht ohne dich leben!"

James drückte, ohne es wirklich zu bemerken, leicht Ophelias Hand.

Das ... tut mir leid."

Nein, Lena, hör zu: Ich brauche dich, WIR brauchen dich. Sie würden alle in diesem verdammten Schatten ertrinken! Wie lange glaubst du, würde zum Beispiel Ophelia durchhalten?"

Du kennst sie nicht wirklich, oder?", fragte Lena, lachte bitter auf.

Oder Wyatt?"

Ich bin ihm egal."

Nein! Du bist ihm nicht egal, Lena! Du bist niemandem egal! Sie können es nur nicht zeigen, vielleicht wollen sie es auch nur nicht zeigen! Die Leute sagen immer, man braucht Regen für einen Regenbogen, aber man braucht auch die Sonne.

Du bist unsere Sonne, Lena."

Warum können sie es mir nicht einfach sagen? Ein einziges mal ...?", fragte Lena, die Tränen versiegten nicht einmal ansatzweise.

Sie denken, du weißt das alles schon."

Lena sah ihn verzweifelt an: „Ach ja? Warum?"

Ich weiß es nicht."

Carter, bitte. Ich KANN das nicht mehr."

Ich-"

Bitte."

Manare ließ Noctanas Hand los, öffnete die Augen und die Bilder verschwanden.

„Es war meine Schuld.", sagte Wyatt sofort, seine Augen glänzten.

„Es war nicht deine Schuld. Es war unsere.", erwiderte James, das blau seiner Augen verschwamm.

„Immerhin kennen wir jetzt den Grund.", meinte Ophelia.

„Weißt du was? Halt einfach die Klappe. Wenigstens ein einziges mal!", sagte Wyatt.

Noctana wartete darauf, dass jemand die jetzt entstandene Stille brach, aber das tat für einige Minuten erst einmal niemand. Sie alle ließen die Informationen, die sie eben bekommen hatten langsam in ihr Gedächtnis einfließen.

„Wir sehen uns bei der Versammlung!", meinte Wyatt schließlich, stand als erster auf und verließ die Bibliothek, den Kopf gesenkt.

James folgte ihm, Ophelia stand ebenfalls auf und mit ihr Noctana.

„Manare!", meinte Ophelia, drehte sich um, als sie schon auf der Schwelle stand und sah Manare in die Augen. „Vielleicht kannst du uns ja irgendwann auch noch einmal wirklich die Sicht von Lena zeigen."

Noctana sah sie verwirrt an, aber Manaras gefasster Gesichtsausdruck entgleiste.

„Wir sehen uns.", sagte Ophelia, zog ihre Mundwinkel als Verabschiedung kurz nach oben, drehte sich dann um und trat auf den Flur.


Werwolf - das BlinzelmädchenWhere stories live. Discover now