Kapitel 21.

117 31 8
                                    

Die Stunden vergingen, Noctana lieh sich eins von Ophelias Büchern aus.

Allerdings schaffte sie es nicht, sich darauf konzentrieren, was dazu führte, dass irgendwann die komplette Handlung nur noch an ihr vorbeirauschte.

Seufzend blätterte Noctana Seite um Seite um und versuchte die aufkeimende Langeweile zu unterdrücken.

Und dann war es kurz vor halb elf.

„Du solltest los.", sagte Ophelia, Noctana nickte und lief zur Tür. Mit der Hand an der Klinke drehte sie sich noch einmal um: „Hast du ... irgendwelche Tipps oder so?"

„Ich wünschte, ich hätte welche.", sagte Ophelia. „Versuch einfach ... den Schmerz zu akzeptieren. Es geht vorbei."

„Okay.", flüsterte Noctana und drückte die Klinke herunter.

„Noctana.", begrüßte die Spielleiterin sie, als Noctana in den Versammlungssaal trat.

„Du hast die Nacht anscheinend überstanden.", sagte sie, lächelte ihr kühl zu. „Ich gratuliere dir."

„Danke.", sagte Noctana vorsichtig.

„Du warst sehr leichtsinnig.", meinte die Spielleiterin. „Es wäre pures Glück, wenn dich niemand entdeckt hätte. Wir werden sehen, ob du die Versammlung überlebst."

Noctana zuckte zusammen.

„Ich werde dir helfen.", sagte die Spielleiterin sanft. „Angefangen damit, dir eine weitere Rolle zu erklären. Du siehst überrascht aus."

„Ähm ... ja.", sagte Noctana, ihre reche Hand zuckte.

„Ich werde dir von dem Giftmischer erzählen. Er ist tot.

Der Giftmischer bindet sich jede Nacht an einen anderen Spieler, nur wenn dieser getötet wird, stirbt auch der Giftmischer.

Diese Nacht hat er den Falschen gewählt. Das war sein Ende."

„Oh.", machte Noctana ängstlich.

„Kommen wir nun zum zweiten Teil meiner Hilfe. Hast du Angst vor engen Räumen?"

Noctana schüttelte den Kopf: „Ich hab Höhen-"

Sie unterbrach sich.

Nolan zum Beispiel hat Klaustrophobie – er musste ziemlich oft in den Keller."

„-angst.", vervollständigte die Spielleiterin ihren Satz. „Ist es eine Phobie? Oder fühlst du dich nur Unwohl?"

Noctana presste die Lippen aufeinander. Was sollte sie sagen? Höhen waren nicht das Einzige wovor sie sich fürchtete! Was wäre, wenn die Spielleiterin sie mit Spinnen in einen Raum sperren würde ...

„Phobie.", log Noctana.

„Folg mir bitte.", sagte die Spielleiterin und lief mit schnellen Schritten aus dem Saal. Noctana atmete tief durch und folgte ihr.

Es war eiskalt draußen und es nieselte leicht. Noctana trug keine Jacke, sie fror fürchterlich.

„Du kletterst dort hoch.", sagte die Spielleiterin, die jetzt einen beigefarbenen Mantel über ihrem langen Kleid trug.

„Ich ... was?", fragte Noctana verwirrt.

„Du siehst die Fensterrahmen. Du siehst die Regenrinne. Du siehst die Steine. Klettere auf das Dach und dann wieder hinunter.", sagte die Spielleiterin.

„Das ... ich werde runterfallen!"

„Das kann passieren.", meinte die Spielleiterin ungerührt. „Ich gehe wieder ins Haus. Ich werde erfahren, wann du oben angekommen bist."

Noctana hatte das Gefühl, als hätte jemand ihr Herz durch einen schweren Stein ausgetauscht, der durch ihren Körper hüpfte.

Sie hatte nicht nur Angst vor Spinnen und der Höhe – das waren zwei ihrer kleineren Ängste. Hatte Noctana zumindest immer gedacht.

Sie hatte angenommen, die Spielleiterin würde unten stehen bleiben und ihr zusehen, wie sie sich dort oben an der Wand festklammerte. Wahrscheinlich würde sie hochmütig lächeln.

„Was – was wenn ich mich weigere?", rief Noctana der Spielleiterin zu und ballte die Fäuste. Sie konnte nicht gezwungen werden! Oder?

Die Spielleiterin drehte sich langsam um, Noctana bereitete sich auf den Anblick nackter Wut vor – aber die Frau lächelte.

„Das kannst du natürlich tun. Wenn du verweigern möchtest, wird das noch mehr Spaß machen! Jeder hat doch seine rebellischen Phasen. Also: Willst du verweigern?"

Wieder schoss das Bild der Spinnen in Noctanas Kopf.

Die Spielleiterin hatte es geschafft, dass Kinder sich in Werwölfe verwandelten und einander umbrachten. Sie musste so etwas wie magische Kräfte haben, auch wenn der Ausdruck Noctana mehr als lächerlich vorkam.

„Antworte.", sagte die Spielleiterin harsch und Noctanas rechte Hand fing an zu zucken: „Ich klettere."

Warum hatte sie das getan?! Am liebsten wollte sie rufen, dass sie es sich anders überlegt hatte – aber was, wenn es noch etwas viel Schlimmeres gab?!

„Gut.", meinte die Spielleiterin und deutete auf die Hauswand. „Dann fang an."

„Was, wenn ich es nicht schaffe?"

„Dann muss ich mir wohl eine andere Aufgabe ausdenken. Aber ich hoffe für dich, dass du es schaffst-", die Spielleiterin beendete den Satz nicht, sondern drehte sich wieder um und lief zurück ins Haus.

Während Noctana den Kopf in den Nacken legte und nach oben starrte.

Da musste sie hoch.

Am besten ohne zu sterben.


Werwolf - das BlinzelmädchenHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin