Kapitel 18.

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Der Werwolf mit dem schwarzen Kopf schlich wieder aus dem Zimmer.

Keine Schreie waren ertönt – vielleicht hatte er wirklich niemanden getötet. Aber was hatte er dann getan?

Noctana sah zurück zu dem leblosen Körper von Erin. Sie war in einem Zimmer mit einer Leiche.

Aber irgendwie weigerte sie sich, das zu verstehen.

Das KONNTE einfach nicht sein.

Es war zu unwirklich.

Aber es war die Realität, ob sie es glauben wollte oder nicht. Das hier war kein Traum.

Noctana lehnte sich zitternd gegen die Zimmertür, wünschte sich nichts mehr als einzuschlafen und in ihrem alten Waisenhaus wieder aufzuwachen. Oder irgendwo anders, wo es keine Werwölfe und keine Leichen gab.

Und dann hörte sie die nächsten Schleichlaute. Wieder waren sie weit entfernt – es musste sich auf dem Jungsflur abspielen.

Noctana war nicht lebensmüde und sie hätte sich auch nie als mutig bezeichnet. Aber sie war neugierig.

Selbst jetzt wollte sie wissen, wer da so herum schlich. Also öffnete sie die Zimmertür, verließ mit vorsichtigen Schritten das Zimmer – und blieb erstarrt stehen.

Wieder ein Werwolf. Oder?

Dieses mal war der Kopf weiß, so weiß wie frisch gefallener Schnee.

Und die Augen, die eben noch tintenschwarz gewesen waren, glänzten eisblau.

Hätte Noctana dem Wesen einen Namen geben müssen, hätte sie es Schneewolf genannt. Oder vielleicht Winterwolf.

Der Wolf betrat eins der Zimmer. Und dieses Mal schrie wieder jemand.

Aber es war leiser als zuvor, das lag allerdings vermutlich nur daran, dass Noctana weiter entfernt vom Geschehen war als davor.

Die Schreie endeten abrupt, sie hörte wie der weiße Wolf wieder aus dem Zimmer kam. Schnell öffnete sie irgendeine Tür und versteckte sich dahinter.

Sie war wieder im Zimmer von Erin gelandet.

Und dann krachte etwas, Noctana zuckte heftig zusammen und stieß gegen die Klinke. Das kühle Metall bohrte sich in ihren Rücken und sie presste sich die Hände auf den Mund um nicht zu schreien.

Neben ihnen musste die Tür aufgestoßen worden seien.

Ein dunkles Grollen ertönte, es klang wie Donner.

Noctana schob die Tür zitternd ein winziges bisschen auf – der nächste Wolf. Rostroter Kopf, dunkelgraue Augen.

Warum wachten die alle getrennt auf?!

Sie waren doch schon wach gewesen, weshalb -

Und dann verstand Noctana es. 

Sie hatten verschiedene Rollen.

Sowohl bei den Wölfen, als auch bei den Menschlichen gab es verschiedene Rollen mit verschiedenen Aufgaben.

Noctana wusste nicht, ob sie das gut oder schlecht finden sollte.

Vielleicht konnte man zu manchen Sachen keine direkte Meinung haben.

Der Werwolf lief wieder in den Flur der Jungs, riss eine der Türen auf – und sprang zurück.

Ohne Vorwarnung setzte der Wolf sich hin und fing an zu heulen.

Das war allerdings nicht das merkwürdigste: Es war nämlich so, dass niemand aufwachte.

Niemand.

Noctana und der Werwolf waren die Einzigen, die wach waren.

Der Werwolf hörte auf zu heulen und lief wieder zurück in das Zimmer neben Erin. Und wieder knallte er die Tür zu.

Beziehungsweise sie: Dieser Werwolf musste ein Mädchen sein, sonst würde sie nicht auf der Mädchenseite schlafen.

Noctana bemerkte fast nicht, wie ihre Beine unter ihr nachgaben. Das Zittern hörte auf, sie war plötzlich unendlich müde.

Mit ihren letzten Kräften kroch sie zurück in ihr Zimmer und legte sich hin.

Sie schlief sofort ein.


Werwolf - das BlinzelmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt