Kapitel 92.

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Ophelia wiederholte seine Bewegung, zog sich die Jacke aus und strich das blutrote T-Shirt glatt, das sie darunter trug.

„Ich muss sagen: Es war dumm, dass wir ausgerechnet T-Shirts bunt gelassen haben!", meinte James und ließ gleichzeitig seinen gefärbten Pullover auf das Dach fallen.

„Die nehmen einfach am wenigstens Platz weg.", antwortete Ophelia. „Allerdings passen sie nicht ganz so perfekt zu den Temperaturen hier, das stimmt."

Ariane war jetzt die einzige von ihnen, die immer noch keine Farben trug: „Ihr hättet uns auch Bescheid sagen können, damit wir unsere Sachen holen könnten!"

„Fehlende Zeit.", sagte Wyatt schlicht und zog sich dann ein schmales, gelbes Armband aus Stoff vom Handgelenk. „Aber hier, nimm: Damit du immerhin etwas buntes hast!"

Ariane nahm es stumm entgegen, runzelte die Stirn: „Warte, ist das nicht Lenas gewesen?"

„Sie hat es jeden Tag getragen.", sagte Wyatt. „Jeden Tag. Immer so, dass die Spielleiterin es nicht sehen konnte. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, wieso sie nur noch Oberteile mit langen Ärmeln trug.
Sie hatte das Armband darunter versteckt. Als ich sie danach gefragt habe, hat sie gesagt, dass es ihr Kraft gäbe. Weil es Hoffnung für sie war ... ist.

Ein kleines gelbes Band, wenn alles andere grau und schwarz ist. Ich habe versucht, sie zu überreden, es nicht mehr zu tragen, damit sie nicht dafür Bestraft werden kann, aber sie -"

„Sie hat aufgehört es zu tragen, nachdem du mit ihr darüber gesprochen hattest.", fiel ihm Ophelia ins Wort. „Lena hatte Angst, du könntest dafür bestraft werden, dass sie Farbe trug. Aber wir sollten das alles vielleicht wann anders klären, wenn wir mehr Zeit haben!

Also, das Feuer."

Ophelia zog die Streichhölzer, die Nolan ihr gegeben hatte aus der Hosentasche. James holte ein Stück Schmirgelpapier aus seiner Tasche.

„Wieso hast du Schmirgelpapier?", fragte Ariane.

„Carter hat es in Massen gehortet.", antwortete James schlicht.

„Carter?", fragte Noctana verwirrt. „Wer ist Carter?"

Die anderen sahen sie stumm an, Noctana blickte zurück, blinzelte. 

„Einer der Toten.", meinte Wyatt schließlich und brach damit die drückende Stille. „Du kanntest ihn."

„Ach so.", sagte Noctana ausweichend und sah zu Boden. Carter ... sie erinnerte sich an den Namen, sogar an seine Taten, aber nicht wirklich an den Mensch dahinter.

Er würde für sie nur ein kleiner Teil einer großen Zahl von Toten sein, ein weiteres Opfer, das das Spiel gefordert hatte.

„Also, wir haben insgesamt drei Streichhölzer. Ein Stück Schmirgelpapier. Wer kann besonders gut Feuer anzünden?", fragte Ophelia.

Arian und Wyatt hoben die Hand, Noctana verzog das Gesicht. Sie war eine absolute Katastrophe, wenn es darum ging, ein Streichholz anzuzünden.

Als sie zu Weihnachten im Waisenhaus mal die große Kerze hatte anzünden sollen, hatte sie fünf Streichhölzer zerbrochen, bevor die Heimleiterin geseufzt und stattdessen ein Mädchen namens Cynthia zum Anzünden gewählt hatte.

Es war keine besonders schöne Erinnerung.

Ophelia gab Wyatt und Ariane jeweils ein Streichholz und behielt das letzte selbst.

„Ihr müsst aufpassen, dass ihr genug Druck aufwendet, wenn ihr darüberfahrt. Denn auf den perfekten Druck kommt es an.

Wir lassen die Streichhölzer alle drei gleichzeitig fallen. Das Feuer wird sich schnell ausbreiten, wir müssen also gut auf uns aufpassen.

Wenn einer stirbt ... dann müssen wir weitermachen, um alle anderen zu retten.", Ophelia schluckte schwer, bevor sie weitersprach. „Wenn wir alle Streichhölzer fallen gelassen haben, warten wir, bis jede Schablone irgendwie ... keine Ahnung, kaputt aussieht. Erst dann können wir flüchten und mit den anderen das Waisenhaus verlassen: Sonst besteht die Gefahr, dass einige im Spiel gefangen bleiben. Haben das alle verstanden?"

Sie nickten zögernd, Noctana biss sich vor lauter Anspannung auf die Zunge. Es tat ziemlich weh.

James reichte Wyatt das Schmirgelpapier. Der sah sie alle kurz lächelnd an und fuhr dann mit dem Streichholz über das Schmirgepapier.

Nichts passierte.

„Versuch es noch einmal!", drängte Ariane.

Wyatt nickte verkrampft und versuchte es ein weiteres Mal.

Noch mal.

Ein weiteres Mal.

Und noch mal.

Dann brach es.

Sie sahen beunruhigt auf das kaputte Streichholz, Wyatt seufzte.

„Wenn wir das anzünden, verbrennen wir uns die Finger und das ist gerade nicht besonders praktisch, würde ich sagen.", sagte Ophelia.

Ariane nahm Wyatt mit missbilligendem Blick das Schmirgelpapier ab, bevor sie direkt beim ersten Versuch ihr Streichholz anzündete. Die helle Flamme erhellte ihre Gesichter warm, aber gleichzeitig auf eine kühle, verzerrende Weise.
Ihre Augen lagen scheinbar in tiefen schwarzen Höhlen, die Haut glänzte fleckig.

„Ophelia, gib mir dein Streichholz, nimm du das brennende.", sagte Ariane plötzlich. „Schnell!"

Ophelia nickte, während sie das brennende Streichholz entgegennahm, und Ariane ihr eigenes reichte.

Sie standen alle in einem Kreis beieinander, schützten die Flamme vor dem Wind, der die Regenwolken über ihnen hin wegtrieb.
Aktuell regnete es noch nicht besonders stark, doch die Tropfen wurden beständig schwerer und fielen immer schneller auf sie hinab.

Ariane zündete innerhalb von Sekunden auch das zweite Streichholz an: „Jetzt?"

„Jetzt.", sagte Ophelia, hielt die Hand vor die zitternde Flamme und trat auf Ariane zu. „Drei.

Zwei.

Eins."

Und sie ließen die brennenden Streichhölzer gleichzeitig fallen.

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!Leichter Spoiler! (Einfach kurz scrollen)













Die nächsten Kapitel werden traurig, und ich kann es nicht erwarten, sie zu veröffentlichen!


Werwolf - das BlinzelmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt