Kapitel 61.

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Ophelia, Wyatt und Nolan begleiteten Noctana auf ihrem Weg durch den Keller.
Nolan und Noctana gingen voran, Wyatt und Ophelia folgten ihnen.

Nolan war der einzige, der auch allein nicht in Gefahr gelaufen wäre, sich zu verlaufen.

Die anderen hatten so ihre Probleme mit den ineinander verzweigten Wegen des Kellers.

„Die Spielleiterin hat gesagt, dass du sie im Keller treffen sollst.", sagte Nolan, als sie fast den Ausgang erreicht hatten.

„Was?", fragte Noctana heiser. „Sicher? Was ist denn alles im Keller?"

Ophelia und Wyatt warfen sich einen besorgten Blick zu, Ophelia antwortete schließlich: „Der Brunnen und so. Meistens geht es hier darum, zu flüchten."

„Oder es in einem engen Raum auszuhalten. So Durchhaltevermögen mäßig.", meinte Nolan.

Hinter der nächsten Ecke wartete die Spielleiterin auf sie, die knochigen Hände vor ihrem Bauch ineinander verschlungen.

„Ophelia, Wyatt.", sagte sie mit ihrem bekannten kühlen Lächeln. „Geht in eure Zimmer. Oh, Ophelia du hast ein Brot gefunden. Traust du dich auch, es zu essen?"

„Wir werden sehen.", antwortete Ophelia angespannt, ihre Fingernägel gruben sich tief in die Brotrinde.

„Auf jeden Fall wünsche ich dir einen guten Appetit.", meinte die Spielleiterin, deutete hinter sich. „Geht jetzt."

Ophelia und Wyatt gingen also hintereinander die Treppe hoch, zurück in den Flur.

Nolan blieb unschlüssig neben Noctana stehen, wartete darauf, dass er ebenfalls weggeschickt wurde.

Doch die Spielleiterin ignorierte, dass er noch immer dort stand und wandte sich Noctana zu: „Du bist noch nicht lange hier. Was hältst du denn von unserem Waisenhaus?"

„Die anderen sind sehr ... nett.", meinte Noctana langsam. Die Angst auch nur ein einziges falsches Wort zu sagen lähmte sie fast.
Besorgt sah sie hinüber zu Nolan.
Er nickte ihr beruhigend zu, seine Miene war entspannt.

Doch Noctana sah seine Hände, sah, wie seine Fingernägel sich in seine Handfläche bohrten.

„Das freut mich zu hören.", sagte die Spielleiterin. „Ich habe bemerkt, dass du eher helle Klamotten trägst. Woran liegt das?"

„Sie ... waren schneller trocken.", log Noctana.

„Natürlich.", meinte die Spielleiterin, dehnte die Worte süffisant.
Es war offensichtlich, dass sie Noctana nicht glaubte. „Die Wahrheit ist ein edles, seltenes Gut. Die meisten schaffen es nicht einmal, sie sich selbst einzugestehen. Sie bleiben lieber bei dem, was sie von sich und den anderen denken.
Aber du kannst mir vertrauen, Noctana. Vielleicht kannst du sogar dir selbst vertrauen."

Noctana fing an zu zittern.

Du vertraust MIR nicht, oder? Ach keine Sorge Kleine. Mit wem soll ich denn reden können? Außerdem weiß ich es doch sowieso schon:

„Nein.", flüsterte Noctana erschrocken.

„Wie bitte?", fragte die Spielleiterin monoton, die Augen fest auf Noctana gerichtet.
Doch Noctanas Blick war fahrig, ließ sich nicht einfangen.

Du trägst helle Klamotten, weil Ophelia dunkle trägt, nicht wahr?

„Das ist nicht wahr."

„Noctana, was ist denn los?", fragte die Spielleiterin, schaffte es fast ihre Stimme fürsorglich klingen zu lassen. „Geht es dir nicht gut?"

Du hast Angst so zu werden wie Ophelia, oder?

Aber wieso denn?

Ophelia geht es doch blendend, nicht wahr?

„Du kennst sie nicht.", wisperte Noctana, drückte sich langsam die Hände auf ihre Ohren.

Und du schon, oder wie?

Woher glaubst du weiß sie denn all diese Sachen über irgendwelche Realitäten? Sie lebt am Rand, das weißt du, nicht wahr?

Sie trägt dunkle Klamotten – ach, und du Idiotin glaubst, das ist der Grund weshalb sie den Untergang entlang gestolpert ist?

„Noctana?"

Sie spürte eine warme Hand auf ihrem Rücken. Verwirrt sah sie auf.

Sie saß zitternd auf dem Boden, die Hände auf den Ohren.

Nolan nahm ihre Handgelenke und drückte sie sanft hinunter.

„Du musst dir nicht die Ohren zuhalten. Niemand schreit.", meinte er.

„Doch. Ich.", sagte Noctana mit tränenerstickter Stimme.. „Und Lena. Und Ophelia. Und Wyatt. Und ... und du auch."

Nolan strich leicht über ihre Handrücken: „Vielleicht."

Dann sagte er nichts mehr. Er amtete nur.

Reflexartig versuchte Noctana in dem gleichen Rhythmus zu atmen wie er. Es dauerte, aber dann beruhigte sich ihre Atmung und mit ihr auch ihr Herzschlag.

„Du machst dich also auch so gerne selbst verrückt. Vielleicht hätte ich dich nicht mit Ophelia in ein Zimmer stecken sollen.", überlegte die Spielleiterin laut. „Nolan, komm bitte hierher und stell dich neben mich. Noctana, wisch dir diese lästigen Tränen von den Wangen und steh auf."

Noctana atmete tief durch und richtete sich dann langsam auf.

Wenn sie das hier durchstehen wollte, musste sie stark sein.
Oder zumindest eine starke Fassade haben.

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Warnung: Ich habe heute eine neue Hintergrundstory für einen weiteren Charakter geschrieben und na ja: Zumindest für mich war es ziemlich hart.
Vielleicht ist es bisher die schlimmste.

Werwolf - das BlinzelmädchenWhere stories live. Discover now