Kapitel XLII

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Was hatte er gerade gesagt?
Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Schultern aus.
Ich tat so, als hätte ich den Satz nicht gehört, aber seine Worte hallten immer wieder durch meinen Kopf. Wie eine kaputte Schallplatte, die immer den gleichen Abschnitt eines Songs spielt.
Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte, also löste ich meine Stirn von seiner und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab.
Da seine Worte nicht an mich gerichtet waren, sondern an seinen Opa, wusste ich, dass er keine Antwort von mir erwartete.
Ehrlich gesagt wüsste ich auch nicht was.

Seine Erzählung hatte etwas in mir verändert. Ich sah den Mann vor mir nicht mehr in demselben Licht, wie damals an meiner Ankunft, oder noch vor einigen Stunden.
Die Tatsache, dass er sich mir geöffnet hatte und mich an einem Teil seiner Selbst teilnahmen ließ, erweckte in mir das Bedürfnis, es auch zu tun. Ich wollte ihm ebenfalls nah sein, so wie er es mir im Moment war.
Aber was?
Ich konnte ihm schlecht von meinen Albträumen erzählen oder woher sie stammten. Auch, wenn das Gefühl mich vor ihm zu schützen und mich unangreifbar zu machen nicht mehr so stark war, so traute ich diesem aufgekommenen Impuls in mir noch nicht ausreichend, um dieses Detail über mich preiszugeben.
Ich war noch nicht bereit dieses Geheimnis zu lüften.
Aber er verdiente es ebenfalls, etwas über mich zu erfahren.
Immer noch auf seiner Schulter liegend, fing ich an leise zu reden.
Dank meiner Position konnte ich mit gedämpften Stimme sprechen.

"Als Ivan sechzehn war, nahm mein Vater ihn mit auf eine Mission. Sie nannten es natürlich nicht eine Mission, sondern einen Ausflug. Sie sagten, sie würden angeln gehen.
Ich wollte unbedingt mit und versuchte meinen Vater den ganzen Morgen zu überreden, aber er ignorierte mich. Als wäre ich ein lästiges Geräusch und nicht seine Tochter." Ich brach kurz in meiner Erzählung ab, weil mich die Erinnerung wieder zu übermannen drohte.
Dante muss meine Anspannung gemerkt haben, denn er strich mir zärtlich über meinen Rücken. Diese Berührung reicht aus, um mir Mut zu machen weiter zusprechen.
"Es war nicht das erste Mal, dass er mich so behandelte. Er machte immer einen Unterschied zwischen mir und Ivan. Ich war nicht das, was man Papas Mädchen nennen würde. Die einzigen, die mich sahen, waren mein Onkel Boris und meine Mutter.
Und Ivan natürlich."
Ich hob meinen Kopf und sah ihm in die Augen.
"Aber wenn mein Vater da war, dann entfernte sich Ivan immer etwas von mir. Das war nicht seine Schuld, er konnte nichts dafür." Das war die Wahrheit. Ivan war genauso ein Opfer des Favoritismuses unseres Vater, wie ich.

"An dem Tag, an dem sie zu dem "Ausflug" gehen wollten, war ich so neidisch auf ihn. Vater schenkte ihm an dem Tag noch mehr Aufmerksamkeit, als sonst und ich wollte einfach nur einmal, dass er mich sah. Das er mich bemerkte, so wie er Ivan es bei Ivan tat." Eine Träne löste sich aus meinem Wimpernkranz und fiel auf meine Wange. Im selben Augenblick hob Dante seine Hand und wischte die Träne mit einem Finger langsam weg. Unter seiner so zärtlichen Berührung, schloss ich meine Augen und eine Gänsehaut breitete sich auf meinen Schulter aus und wanderte hoch, bis zu meinem Nacken.
Ich räusperte mich leicht und setzte wieder an.
"Ivan und mein Vater verbrachten den ganzen Tag zusammen. Ivan sagte mir, sie müssten sich für das Angeln fertig machen, das Zubehör packen und alles vorbereiten, aber in Wahrheit planten sie seinen ersten Geschäftsdeal. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich mich im Flur vor dem Büro meines Vaters versteckte und deren Gesprächen lauschte, aber alles, was ich erfuhr war, dass sie Abends los wollten. Meine Mutter erwischte mich und schickte mich auf mein Zimmer, aber ich konnte meine Neugier einfach nicht beruhigen."
Dantes Mundwinkel zuckten leicht, als versuchte er ein Lächeln zu unterdrücken.
Tja, wenn er nur wüsste, wie oft meine Neugier mich dazu gebracht hatte ihn zu belauschen. Ich schätze sein Lächeln wäre genauso schnell verblasste, wie es aufgetaucht war.

"Ich hab gewartet, bis mein Vater Ivan rausschickte und bin ihm dann gefolgt. Natürlich bemerkte Ivan schnell, dass ich ihm durch das Haus gefolgt war und stellte mich zur Rede. Ich bettelte und flehte ihn an, mich heimlich mitzunehmen, aber er lachte mich nur aus. Er sagte, ich wäre noch zu jung und außerdem ein Mädchen."
Zu der Zeit, tat Ivan alles, was Papa von ihm wollte, selbst, wenn er nicht so dachte.
"Ich war so unfassbar wütend, so unglaublich verletzt. Ich dachte damals, dass er Vater nicht mit mir teilen möchte, oder, dass er glaubte, ich könnte nicht genauso gut angeln, wie er." Wieder musste ich die Tränen zurück halten. Das war das erste und letzte Mal, dass Ivan so mit mir geredet hatte, aber allein die Erinnerung daran drängte wieder Tränen in meine Augen.
Ich atmete tief durch und konzentrierte mich auf Dantes Hand, welche immer noch meinen Rücken streichelte.
"Damals schwor ich mir, dass es das letzte Mal sein würde, dass mich jemand wie ein nutzlosen Mädchen behandelt. Ich versteckte mich in unserem Keller in einer Nische, welche ich vor Jahren beim Versteckspielen gefunden hatte und wartete darauf, dass Ivan und Papa runter kommen würden. Zuerst wollte ich mich im Kofferraum verstecken, aber ich wusste nicht, welchen Wagen sie nehmen würden. Mein Plan war für eine Dreizehnjähre ziemlich schlau konzipiert." Etwas Stolz schwang in meinem letzten Satz mit, denn so dumm mein Plan auch war, er hätte eigentlich funktionieren müssen.
"Nur leider wusste ich damals nicht, dass sie nicht zu einem "Ausflug" fahren würden, sondern zu einer Missionen und für diese nicht unsere .." Ich suchte nach den richtigen Worten, doch Dante kam mir zuvor.
"Eure Privatfahrzeuge nutzten?!" Das erste Mal unterbrach Dante mich. Seine Stimme war wie meine, eher ein flüstern. Ich nickte und setzte dann erneut an.
"Genau, sie nahmen immer einen linken Wagen, der nicht registriert war." Nun nickte Dante mir zustimmend zu, anscheinend machte seine Familie es ebenso.
"Ich saß also die ganze Zeit in meinem Versteck, ohne, dass Ivan oder mein Vater in die Garage kamen. Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn ich wurde von lauten Stimmen geweckt. Ivans Schmerzschreie ließen mein Blut gefrieren. Ich hielt mir meine Hand vor dem Mund, um nicht aufzuschreien und drängte mich noch weiter an die Wand in meinem Versteck. Durch einen kleinen Spalt konnte ich sehen, wie einige Männer meines Vater immer wieder hin und her gingen, ich saß also fest. Ivan wimmerte immer noch, aber ich konnte ihn nicht sehen, wusste nicht, was los war. Plötzlich tauchten in meinem Sichtfeld zwei Männer auf." Ich stoppte und sah dann zum Wasser, in welchem wir immer noch trieben.
Ich wollte mich aus der festen Umarmung lösen und neben ihm schwimmen, jedoch ließ Dante mir diese Flucht nicht durchgehen. Er nahm die Hand von meinem Rücken und legte sie unter mein Kinn, um meinen Kopf wieder in seine Richtung zu drehen. Meine Augen trafen seine und ich sah etwas, dass ich nicht erwartet hätte.
Ich sah Mitleid in ihnen.
Wäre es jemand anderes gewesen, dann hätte ich ihn jetzt angefaucht, dass ich sein Mitgefühl nicht brauche, dass ich auch gut alleine klar komme, aber zu sehen, dass seine kalten und sonst so gefühlslosen Augen mich nun anstrahlten und mit mir litten, gab mir ein Gefühl, welches ich vorher nur selten gespürt hatte.
Sie zeigten mir, dass er mich verstand, dass er bei mir war.
Ein weiteres Mal atmete ich tief durch und fuhr dann fort.
"Die Männer trugen einen leblosen Körper, welchen sie genau in meinem Blickfeld fallen ließen, aus den Auto. Ich werde niemals den Anblick vergessen, wie sein blutverschmiertes Gesicht den Boden traf. Mein Vater gab den Männern die Anweisung, den Mann ins Vernehmungszimmer zu bringen. Damals wusste ich natürlich nicht, was das heißt, aber ich ahnte, dass es nichts Gutes war. Dann schrie er Ivan an, dass dieser sich zusammenreißen und aufhören soll, wie ein Mädchen zu heulen. Als die Männer verschwunden waren und ich nur noch Ivans stöhnen hören konnte, schlich ich vorsichtig aus meinem Versteck und lief zu ihm. Natürlich hielt er mir zuerst eine Standpauke, weil ich im Keller, zu so später Stunde war, ließ sich dann aber von mir helfen. Gemeinsam schafften wir es unbemerkt in sein Zimmer. Dort reinigte ich, dank seiner Anleitung, seine Wunde. Er hatte ein Loch in der Schulter. Ich hab damals nicht darüber nachgedacht, was das für ein Loch war, so geschockt war ich über den Anblick. Erst später leuchtete mir ein, dass es eine Schusswunde war."
Dante hatte wieder damit begonnen meinen Rücken zu verwöhnen, was die Anspannung aus meinen Schultern nahm.
"Bis heute reden Ivan und ich nicht über diese Nacht. Er hat so getan, als wäre das alles nicht passiert und auch ich schwieg, weil ich Angst hatte noch Ärger zu bekommen."
Ich verschwieg Dante ein kleines Detail, nämlich das mein Vater Ivan im Keller hatte liegen lassen.
Er sollte sich wohl selbst helfen, wie ein echter Mann es seiner Meinung nach tun sollte. Das war auch die Nacht, nach der Ivan und ich ein Team wurden, denn wir verstanden, dass wir die Einzigen sind, die aufeinander aufpassen würden.
Genauso wie ich, schwieg auch Dante nach meiner Erzählung. Wir verharrten einfach in unserer Position. So trieben wir einige Minuten, bis er mir einen Kuss auf die Stirn gab.

"Wir sollten langsam raus und uns ab trocknen. Ich will nicht, dass du krank wirst." Ich nickte und zusammen schwammen wir zurück ans Ufer.
Wir setzten uns neben einander an den Rand und beobachteten die Reflektionen an den Felswänden. Ich legte, wie vorhin im Wasser, meinen Kopf auf seiner Schulter ab und schloss die Augen. Mein Körper entspannte sich und ich genoss einfach seine Nähe.
Nach einiger Zeit stand Dante vorsichtig auf und zog mich mit sich.
"Denke wir sind trocken genug, ziehen wir die Sache an und ruder zurück."
Ich nickte und ging zu meiner Kleidung herüber. Nachdem wir uns angezogen hatten, half Dante mir beim Einsteigen in das Boot. Er stieß uns vom Ufer weg und paddelte langsam wieder zur Öffnung der Höhle.
Aufmerksam musterte ich ihn, seine Haare, seine Augen.

Die Zeit hier hatte etwas verändert, etwas zwischen uns verändert. Wir waren nicht mehr die, die wir vor dem Betreten der Höhle waren.

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