Kapitel LXXIII

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Nach dem ich meine Zigarette ausgemacht hatte ging ich wieder zurück in mein Zimmer, um mir meinen Laptop zu holen. Ich hatte ihn seit meiner Ankunft hier nicht einmal benutzt und wenn ich ehrlich bin, hatte ich sogar vergessen, dass er da war.
Mit dem Notebook unter dem Arm ging ich zurück auf den Balkon und machte es mir an dem Glastisch bequem. Zur aller Erst sollte ich meine Emails bearbeiten, denn denen hatte ich seit fast einem Monat keine Beachtung mehr geschenkt. Auch wenn ich davon ausging, dass die Meisten wusste wo und vor allem mit wem ich nun verheiratet war, schadet es dennoch nicht einen Blick reinzuwerfen.
Wie ich es mir gedachte hatte wurden mir seit meiner Abfahrt nach Italien keine Einladungen zu Events oder Benefiz Veranstaltungen mehr geschickt. Ich schätze die Menschen in Russland hatten mich abgeschrieben, was mir ehrlich gesagt sehr recht war. Keine heuchlerischen Abende mehr, an denen sich die oberen zehn Prozent herausputzt und dann ihr aufgesetztes Mitglied für die gleiche Gruppe Menschen bekundet, welche sie nur Stunden zuvor in ihrem eigenen Haus herumgescheucht hatten oder anschrien, weil ihr Anzug nicht richtig gereinigt wurde. Ich scrollte weiter runter und fand Glückwunsch Bekundungen von Bekannten und Freunden, welche und zu unserer Hochzeit gratulierten. Wissend darüber, dass sie es nur aus reinem Anstand getan hatten und kein Wort davon erst gemeint war löschte ich eine Email nach der anderen.
Plötzlich hielt ich inne, als ich die Betreffzeile der nächsten Email las.
06.08.2014
Mehr stand dort nicht. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken runter, als ich den Todestag meiner Mutter wiedererkannte.
Ich sah auf das Versende Datum und erstarrte. Es war der Tag unserer Hochzeit gewesen, also eine Woche bevor ich den Zettel im Café erhielt.
Meine Hände zitterten und mein Mund fühlte sich staubtrocken an, sodass ich mehrmals schlucken musste um wieder Luft zu bekommen.
Das kann doch nicht echt sein, das alles ist einfach nicht real, ich muss träumen. Ich zwang mich vom Bildschirm wegzusehen, aber meine Augen fuhren immer wieder über die Betreffzeile. Wie in Trance bewegte ich meine Hand auf dem Mousepad und klickte die Email an.

Der Absender hatte keinen Text hinterlassen, kein einziges Wort, nur eine Datei im Anhang. Mein Herzschlag beschleunigte sich wieder, als ich realisierte, dass es sich um einen Ordner handelte.
Was sollte da drin rein? Dokumente? Bilder? Oh gott, was wenn es ein Video ist.

Das muss ein dummer Streich sein! Bestimmt dachte irgendein Idiot, dass sowas lustig wäre.
Doch so sehr ich auch versuchte mir das einzureden, mein Kopf wusste, dass es echt war.

"Ich kann das nicht!" Mit diesen Worten klappte ich den Laptop zu und griff nach einer Schachtel, um mir eine zweite Zigarette an zu zünden. Die Unruhe in meinen Fingern machte es mir aber schwer das Feuerzeug zu bedienen und nach unzähligen misslungenen Versuchen warf ich beides ans andere Ende des Balkons.
Verzweifelt für ich mir durchs Gesicht und versuchte meine Gedanken zum erliegen zu bringen. Wie Sportwagen bei einem Motocross jagten sie durch meinen Kopf und wollten einfach nicht anhalten.

Was mach ich denn jetzt? Ich kann mir den Ordner nicht öffnen, denn ich ahnte bereits, dass mir nicht gefallen würde, was dort zu sehen war. Aber ich konnte es auch nicht einfach vergessen.
Was wenn genau das, das ist was mir fehlt.
Das Puzzlestück, welches ich brauche, um endlich das ganze Bild zu sehen. Meine Familie behauptet die Mörder wären alle tot, aber wer soll dann diese Spielchen mit mir spielen? Wer hätte ein Interesse daran diese Gesichte wieder aufleben zu lassen?

Was, wenn die Kovacs jemanden engagiert hatten, um die Entführung für sie durchzuführen. Aber wieso sollte sich dieser Jemand nach acht Jahren bei mir melden?

Schuldgefühle? Ich denke eher nicht. Die Kovacs sind tot und wenn noch jemand in diese Sache involviert gewesen ist, dann würde er doch erst recht nicht auftauchen.
Also warum das Ganze?

Fragen über Fragen füllten meinen Verstand und ich verlor mich in dem Spinnen von Theorien.
Plötzlich tauchte eine Gestalt im Türrahmen auf und ich zuckte erschrocken zusammen.
"Hey ganz ruhig, ich bin es." Vlad kam zu mir rüber und setzte sich auf den freien Stuhl gegenüber von mir.
"Bist du etwas immer noch sauer wegen der Sache von heute morgen?"
Ich sah ihn verwirrt an, bis mir die Bilder von seinem Streit mit Dante wieder in den Kopf kamen. Nachdenklich schüttelte ich den Kopf und driftete wieder zu meinen Theorien ab.
"Worüber zermahlst du dir deinen Kopf?"

Ein innerer Kampf in mir brach aus. Sollte ich ihn einweihen? Dante würde er nichts erzählen, da war ich mir sicher und seine Hilfe könnte nicht schaden.
Meine Mutter war tot, meine Familie Fremde und irgend ein Irrer hinterließ mir Brotkrummem zu einer Wahrheit, welche alle außer mir für eine Lüge hielten, also was soll schlimmer passieren.

"Du sagst kein Wort! Zu niemandem!" Freudige sprang Vlad auf und stürmte auf mich zu.
"Боже мои, я стану дяде!" (Mein Gott, Ich werde Onkel!)
Ich verschluckt mich an meiner eigenen Spucken und drückte den viel zu auf gekratzen Russen von mir weg, sodass er zurück auf seinen Platz viel.
"Nein verdammt! Ich bin nicht schwanger!" Kurz hielt ich inne als ich an die gemeinsame Nacht mit Dante zurück dachte. Hatten wir verhütet? Fuck wieso wusste ich das nicht mehr!
Ich verdrängte die lästigen Gedanken, welche mir wegen Vlad in dem Kopf krochten und sah in entsetzt an.
"Wie kommst du auf sowas?"
Nun war Vlad derjenige, der sich verschluckte.
"Na ja, ich dachte dein...du weißt schon...und dann hast du ohne Grund und ich meine das würde einiges Erklären."
Mein er meinen Wutanfall von heute morgen? Das doch nicht sein ernst!
"Ach halt doch die Klappe! Ich hab euch heute angeschrien, weil ihr es verdient habt und aus keinem anderen Grund." Typisch Mann, niemals sind sie schuld, immer liegt es an uns.
"Siehst du genau.." Doch weiter kam er nicht, denn ich unterbrach ihn mut einem warnenden Blick.
"Gut, aber wenn es nicht das ist, was bedrückt dich dann?"

Und blitzartig schoss mir die Email wieder durch den Kopf.
Ich musterte ihn noch einige Augenblicke bevor ich meinen Laptop mit zitternden Fingern aufklappte.
Vlad verstand den Wink und kam mit seinem Stuhl auf meine Seite.
"Das bleibt unter uns!" Ging ich ein letztes Mal sich, bevor ich erneut die Email öffnete.
Seine Augen klebten am Bildschirm und als er die Betreffzeile sah zog er scharf die Luft ein.

"Hast du es geöffnet?" Ich schüttelte bloß mit dem Kopf, da ich glaubte die Anspannung würde meine Stimme unterdrücken.
"Soll ich?" Wieder nickte ich und rang nach Luft. Bevor Vlad das Mousepad berühren konnte stand ich auf und ging einige Meter vom Tisch weg.
Als ich das Klicken meiner Tastatur hörte drehte ich mich zum Garten und hielt die Luft an.
Sekunden vergingen, Minuten vergingen und als ich dachte ich werde ohnmächtig drehte ich mich zu ihm um. Meine Hand umklammerte das Geländer, so fest, dass es weh tat.

Vlad saß einfach nur da und starrten auf den Bildschirm. Von meiner Position aus konnte ich sein Gesicht sehen, aber nicht was seine Starre erzeugt hatte. Angst überkam mich bei seinem Anblick, denn wenn bereits Vlad so mitgenommen war, wie würde es dann mir gehen?

Nach einigen Minuten quälenden Stille sah er mich entsetzt an.
"Das sind Audiodateien, Nastja."
Mein Blut gefror und nun brauchte ich das Geländer um meinen Halt nicht zu verlieren.
Was für Aufnahmen konnten das sein? Und wieso schrieb er den Todestag meiner Mutter in seinen Betreff.

Oh bitte lass es nicht das sein was ich denke.
Schwarze Punkte tauchten vor meinem Sichtfeld auf und alles was ich noch wahrnahm, war ein panischer Vlad, welcher von seinem Stuhl sprang und zu mir eilte.
Danach war alles schwarz.

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