Kapitel LXV

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Die ganze Fahrt über war es still im Wagen, keiner sagte auch nur ein Wort. Dante sah die ganze Zeit aus dem Fenster und ich hatte es seit unserer Begegnung im Ankleidezimmer aufgegeben ein Gespräch mit ihm zu führen. Am besten ich gebe ihm etwas Raum und warte, bis er zu mir kommt.
Am Friedhof angekommen stieg er, ohne auf mich zu warten aus und ging in Richtung der Kirche. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass wir vor einiger Zeit hier geheiratet hatten und auch wenn mir damals ebenfalls zum Weinen zu Mute war, ist es nicht vergleichbar mit der Trauer, welche wir nun in uns trugen.
Ich öffnete ebenfalls die Autotür und ging den kleinen Weg zur Trauerfeier.
"Oh Dante." Eine laute Stimme ertönte über den Platz, welchen ich beinahe passiert hatte. Leonora lief auf meinen Mann zu und sprang ihm förmlich in die Arme. Bei ihrem Anblick verdrehte ich bloß die Augen und ging weiter. Hier und jetzt ist nicht der passende Augenblick um sich mit der viel zu aufgetakelten Barbie zu befassen. Sie trug ein ziemlich kurzes schwarzes Kleid, Stöckelschuhe und einen schwarzen seiden Hut mit einer Schleife an der Seite. Ich würde mich ja über ihre grenzenlose Respektlosigkeit aufregen, aber die Wahrheit ist, dass ich nichts anderes von ihr erwartet hatte.
Immer noch in einer Umarmung standen die beiden in Mitten der Trauergäste und ich ging einfach an ihnen vorbei.
Ich stellte mich zu Laura, welche mit ihren Eltern am Eingang der Kirche stand und nahm ihre Hand. Sie schenkte mir ein schwaches Lächeln und drückte meine Hand. Gemeinsam fingen wir an die Gäste zu begrüßen und ich schritt ein, wenn es für ihrer Familie zu schwer war Worte zu finden. Als letztes traten die Martinellis ein und Dantes Eltern nickten mir einmal zu, was ich als ein Zeichen aufnahm ihnen ebenfalls zu folgen. Ich betrat wehmütig die Kirche, zu welcher Religion ich eigentlich keinen Bezug hatte. Es war das selbe Gebäude wie bei unserer Hochzeit, aber es war als würde ich es nun zum ersten Mal sehen. Die Decke war kunstvoll mit alten Relikten verziert und auf dem Altar stand ein großer schwarzer Sarg. Ein schwarzweißes Porträt von Pablo stand daneben , umringt von zahlreichen Blumen. Ein komisches Gefühl überkam mich, als mir klar wurde, dass ich Pablo zum ersten Mal lächeln sah. Die wenigen Mal, die wir uns getroffen hatten war sein Gesicht ernst und pflichtbewusst, doch auf dem Foto lächelte er wie ein Mann, der große Träume und noch viele Ziele vor sich hatte. Eine Träne verließ meinen Wimpernkranz und bannte sich ihren Weg über meine Wange, bevor sich zu Boden viel. Ich schloss kurz meine Augen und atmete einmal tief durch, bevor ich weiter ging.

Dante setzte sich, wie vorgesehen, in die erste Reihe zu Laura und gerade als ich mich dazu gesellen wollte überholte mich Leonora und nahm neben ihm Platz. Ich sah mich in der Kirch um und erkannte Vlad, welcher neben Chiara saß. Neben ihm war noch frei und so setzte ich mich drei Reihen hinter meinen Mann.
Der Priester fing mit seiner Trauerrede an und ich hörte das schwere Atmen aller anwesenden. Als ich sah, wie Laura sich immer wieder ihre Hand an ihr Gesicht führe, kramte ich eine Packung Taschentücher aus meiner Handtasche, welche ich vor unserer Abfahrt randvoll mit Tempo gefüllt hatte und gab sie nach vorne weiter. Der Mann, welchen ich in der zweiten Reihe an der Schulter antippte drehte sich verwirrt zu mir um und ironischer Weise war es Fabio, Dantes Cousin. Ich hatte ihn seit unserer Verlobungsfeier nicht mehr gesehen und so weit ich weiß war er auch nicht auf unserer Hochzeit gewesen.
Ich überreichte ihm die Packung Taschentücher und zeigte auf Laura. Er verstand sofort was ich meinte und nickte einmal, bevor er sich nach vorne weiter reichte.
Der Priester beendete seine Rede und ein erdrückendes Schweigen baute sich im Raum auf. Laura stand von ihrem Platz auf und ging ebenfalls nach vorne, doch sie schaffte es nicht den Rednerpult zu erreichen, sondern brach vor dem Sarg zusammen und weinte bitterlich. Sie legte eine Hand auf die Oberfläche, als wollte sie die Nähe zu ihrem Bruder spüren, als könnte sie daraus genügend Kraft ziehen, um wieder aufzustehen, doch sie blieb weiter auf den Knien sitzen. Ihr herzzerreißendes schluchzen lockte weitere Tränen hervor und ich hielt es nicht mehr aus.

Leise stand ich von meinem Platz auf und ging zu ihr rüber. Tröstend ließ ich meine Hand über ihren Rücken gleiten um sie auf mich aufmerksam zu machen. Mit nassen Augen sah sie zu mir hoch und ihr Blick flehte mich förmlich an ihr zu sagen, dass das alles ein Traum wäre. Das wir das alles inszeniert hatten, um ihn zu beschützen und er grade am Strand im Mexiko auf sie wartet. Doch leider konnte ich das nicht.
Ich griff ihr unter die Arme und führte sie langsam nach vorne. An der passenden Stelle blieben wir stehen und ich stütze sie so gut ich konnte, in dem ich ihre Hand hielt und mich etwas gegen sie lehnte. Ihre Finger zitterten und ich drückte ihre Hand um ihr zu zeigen, dass ich hier war, dass sie nicht alleine war. Nach einigen Sekunden grub sie ein Stückpapier aus ihrer Tasche hervor und atmete einmal tief durch.
"Ich danke allen, die heute bei uns sind, um meinem Bruder die let..", ihre Stimme brach und ein Schluchzen ertönte durch den Raum. Ich wollte ihr so gerne helfen, weil ich wusste, dass sie diese Rede halten musste. Sie musste ihrem Bruder die letzte Worte sagen und sich von ihm verabschieden, denn wenn nicht, wird sie das ein Leben lang verfolgen. Mir wurde dieser Schlussstrich von meinem Vater verwehrt, welcher meine Mutter beerdigte, während ich noch im Krankenhaus war. Ich wusste nicht, ob jemand für sie ein paar Worte gesagt hatte, oder ob sie mit einem Blumengesteck zur Ruhe gebetet wurde, aber egal wie weh es gerade tut, sie musste da durch.

Ich drehte sie von dem Publikum weg und sie war bereits so aufgelöst, dass sie es nicht hinterfragte. Nun standen wir beide mit dem Gesicht vor dem Sarg und Laura drückte verzweifelt meine Hand, aber ich würde sie nicht fliehen lassen.
Ich beugte mich zu ihr und flüsterte so leise ich konnte, damit nur sie es hören würde.
"Alles was du sagen möchtest, sag es ihm. Niemand sonst ist gerade wichtig. Niemand sonst muss es hören, nur er!" Laura verstand und nickte zaghaft, bevor sich den Zettel fallen ließ und auf den Sarg starrte.
"Weißt du noch, als ich klein war und vor jedem Unwetter Angst hatte? Ich hatte immer das Gefühl, als würde mich der Donner holen, sobald ich eingeschlafen war, aber ich traute mich nicht, es euch zu sagen. Papa sagte immer, dass Angst irreal wäre, dass wir uns sie bloß einbilden würden, aber du wusstest es! Du kamst leise in mein Zimmer, unter dem Vorwand, dass du der jetzige wärst, der nicht schlafen könnte und bats mich bei dir zu bleiben, bis der Sturm vorbei war. Jede stürmische Nacht schliefst du bei mir und hieltst bei jedem Donner meine Hand, damit er mich nicht mit sich nahm.
Ich war so glücklich darüber, dass ich nie hinterfragt habe, wieso ein schon so großer Junge nicht bei einem Unwetter schlafen kann, bis mir klar wurde, dass du das für mich getan hattest. Du hattest dir eine Lüge ausgedacht, nur um mir nicht das Gefühl zu geben, schwach zu sein, um mir zu zeigen, dass ich nicht dumm war, nur weil es mich verschreckt. Du hast meine Hand gehalten und mich nie los gelassen, aber ich hab dich los gelassen." Eine erneutes Schuchzen verließ ihre Lippen.
"Aber ich konnte deine Hand nicht halten, als du Angst hattest." Ihre Stimme zitterte und ein Fluss von Tränen benässen ihre Wangen. Ich stand immer noch still neben ihr und kämpfte mit der Flüssigkeit in meinen Augen.
"Als du Angst hattes geholt zu werden, als du ganz alleine da lagst und der Donner kam, war ich nicht da, um dich fest zuhalten! Und dafür bitte ich um Verzeihung. Bitte vergib mir!"

Lauras Beine gaben nach, aber ich war zur Stelle um sie aufzufangen, doch ihr Gewicht war etwas zu schwer für mich alleine, weshalb ich mich Hilfe suchend um sah.
Dante stand auf und kam auf uns zu. Er half Laura zurück auf ihren Platz und ging dann zu seinem besten Freund. Dabei hatte er mich keines Blickes gewürdigt, aber ich verdrängte die unangenehmen Gedanken, welche sich einen Weg in meinen Kopf bannten. Ich schritt wieder zu Vlad und Chiara und nahm wieder Platz. Nun standen auch Luca, Lorenzo, die Zwillinge und Marco auf. Jeder der sechs stellte sich neben den Sarg und legte eine Hand auf die glänzende Oberfläche. Eine Schweigeminute brach an und keiner wagte es auch nur laut zu atmen.
Danach griffen sie mit den Händen und die Henkel und hoben den Sarg auf ihre Schultern. Begleitet von Instrumentaler Trauermusik schritten sie zum Ausgang der Kirche, dicht gefolgt von den Gästen aus der ersten und zweiten Reihe. Als Laura an mir vorbei kam griff sie nach meiner Hand und zog mich zu sich. Hinter mir hörte ich ein empörtes Schnaufen und als ich mich um sah, stand Barbie nur wenige Schritte hinter mir.
Aber wie bereits zu vor schenkte ich ihr keine Aufmerksamkeit. In respektvoller Stille gingen wir als Schar den kurzen Weg bis zum Friedhof.
Der Sarg wurde in das Grab hineingelassen und alle versammelten sich in einem Kreis um die Grabstelle.
Laura löste sich von mir und trat als erstes heran um eine Rose und etwas Erde auf das Grad zu werfen. Danach folgten ihre Eltern, welche noch kein Wort gesagt hatten und taten es ihrer Tochter nach. Anschließend die Martinellis.

Als letztes aus seiner Familie trat Dante hervor. Er stand etwas länger vor der Öffnung und murmelte leise einige Worte, welche ich aber nicht verstehen konnte. Nach ihm ging ich zu Pablo und warf ebenfalls eine Rose hinein. Danach nahm ich, wie es bei uns in Russland Tradition ist, eine Handvoll Erde und warf sie auf das Grab. Das wiederholte ich noch zwei Mal, bevor mir ein leises "Danke" über die Lippen kam.

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