Kapitel LXXI

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Dante

Mit finsterem Gesichtsausdruck sah ich meine Frau an. Wie konnte sie nur auf die dumme Idee kommen mich hier her zu schleppen. Erst gestern hatte ich ihr gebeichtet, welche Schuldgefühle mich Nachts wach hielten und trotzdem bringt sie mich an diesen gottverlassenen Ort.
"Wir fahren zurück!" mit festem Gang ging ich entschlossen auf sie zu und wollte ihr den Autoschlüssel abnehmen, doch sie wich mir aus.
"Anastasia ich meine es ernst!" Wir haben so viele Probleme, so viel, um das ich mich kümmern musste, aber nein ich werde dazu gezwungen mich auf offener Straße mit meiner Frau zu streiten.
Ich war den Mördern von Pablo immer noch kein Schritt näher gekommen, wusste nicht, ob Leonora endlich von meinem Bruder gefasst wurde, was genau bei der Entführung ihrer Mutter damals passiert war und ihre Kopfverletzung hatte sich Giovanni auch immer noch nicht angesehen. Nichts hatte ich bis jetzt zu Ende gebracht und das machte mich rasend vor Wut.
Wir verschwenden hier nur Zeit.

"Komm nicht näher!" wehrte sie sich gegen meinen neuen Versuch auf sie zu zugehen, doch ich dachte gar nicht daran nachzugeben.
"Ich sagte wir fahren nach Hause!"
Doch meine Frau wäre nicht meine Frau, wenn sie nicht stur vor mir weglaufen würde. Sie umrundete den Wagen und suchte hinter der Motorhaube nach Schutz.
Diese ganze Sache trieb mich bereits zur Weißglut, aber ich bemühte mich meine Stimme ruhig zu halten, um sie nicht anzuschreien. So verdreht ihr Gedanke auch war, mich zu dem Ort zurück zubringen, an dem ich meinen besten Freund verloren hatte, wusste ich dennoch, dass sie dabei gute Absichten hatte. Das war auch das einzige was mich davon abhielt sie über meine Schulter zu werfen und sie mit Gewalt in dieses verdammte Auto zu setzten. Naja und die Tatsache, dass sie mich nie nah genug an sich ran ließ, damit ich ihre Beine greifen konnte.
"Wir werden da hin fahren, ob du willst oder nicht!" Anastasia sah vorsichtig am Auto vorbei zu mir. Ihre Stimme war streng und laut, aber ich konnte trotzdem ein leichtes Zittern raushören.
Dieses verdammte Katz und Mausspiel ging jetzt schon zu lange und ich sprang wieder in ihre Richtung um dem ganzen endlich ein Ende zu setzten, doch mit ihrem nächstem Wort hatte ich nicht gerechnet.
"вера!" (Lateinisch: Vera = Vertrauen) schrie sie mir entgegen und als hätte mich jeder einzelne Buchstabe verbrannt, zog ich meine Hand zurück.
Mit großen flehenden Augen sah sie mich an und meine Wut auf sie war wie weggeblasen.
"вера." wiederholte sie nun leiser und ich wusste bereits anhand ihrer Stimmlage was ihr nächster Satz sein würde.
"Vertraust du mir?" sie hielt mir ihre Hand hin, welche ich zögernd ansah. Ich meine natürlich vertraue ich ihr, aber wie soll ich mich überwinden einen Fuß in dieses Gebäude zu setzten?
Diese Frau kämpft eindeutig mit unfairen Mitteln und ich speicherte diese Information für unseren nächsten Streit in meinem Kopf ab.
Schlussendlich gab ich nach und nahm ihre Hand. "Aber den Rest der Strecke fahr ich."
Misstrauisch beäugte sie mich, gab mir dann aber die Autoschlüssel und nahm auf dem Beifahrersitz platz.
Ich fasste nicht, dass ich mich dazu breitschlagen hab lassen. Ich startet den Motor und manövrierte den Wagen den verbliebene Weg den Berg hoch.
Die letzten zehn Minuten der Fahrt sagte keiner ein Wort und ich stellte mich innerlich bereits darauf ein, gleich meinem Albtraum zu begegnen.

Alles sah noch so aus wie an dem Tag, als wir diesen verfluchten Ort verließen, als wäre hier nicht einer der schlimmsten Tragödien meines Lebens passiert.
Ich parkte das Auto seitlich vom Eingang und bemerkte erst jetzt die zwei Männer, welche auf uns zu kamen. Ich spannte mich augenblicklich an, wurde dann aber ruhiger, als ich erkannte, dass es unsere Männer waren. Anastasia muss die ganze Sache vorbereitet haben und auch wenn mir das Sicherheit geben sollte wurde ich dadurch nur noch nervöser. Was hatte sie vor?
Meine Frau öffnete ihre Tür und ging den Männern entgegen. Nach dem ich einmal durchgeatmet hatte machte ich es ihr nach.
"Seniora, alles ist so wie sie es angeordnet hatte." Anastasia nickte ihm zu und er entfernte sich wieder. Ein Gefühl von Stolz überkam mich, als ich den Respekt für meine Frau in den Augen meiner Männer sah. Eine Sache weniger um die ich mich kümmern müsste.
Anastasia nahm meine Hand und ohne mir die Möglichkeit zu geben meine Entscheidung zu überdenken zerrte sie mich zur Eingangstür.
Wie in meiner Erinnerung war es eine schwere Metalltür, welche ein schrilles Geräusch von sich gab, sobald man sie öffnete.
Im inneren brannte ein Neon farbiges Licht und der grelle Gelbton schmerzte mir in den Augen. Nun verstand ich auch die Aufgabe meiner Männer, sie hatten den Bunker zum laufen gebracht, damit die Stromversorgung wieder einigermaßen funktionierte.
Nach einigen Schritten blieb sie stehen und drehte sich zu mir um. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus, denn ich erkannte den Flurabschnitt in dem wir standen. Rechts von uns war die Tür, hinter der das Zimmer in dem sie uns festhielten. Anastasia folgte meinem Blick und Mitgefühl tauchte in ihren wunderschönen blauen Augen auf. Genau dieses Gefühl wollte ich niemals in ihren Augen sehen, zumindest nicht für mich.
"Willst du hineingehen?"
Bevor sie überhaupt den letzten Buchstaben aussprach schüttelte ich bereits den Kopf.
"Aber wenn du..." Mit einem warnenden Blick unterbrach ich sie und sie nickte geschlagen. Wir gingen weiter und die Realität mischte sich mit einer Erinnerung und meinem Albtraum zu einem unüberschaubaren Chaos. An der Kreuzung, ab der wir damals die Wachen reden hörten, blieben wir stehen. Das grelle Licht war ideal um die Ereignisse nochmal vor meinen Augen abspielen zu sehen. Wie in Trance ging ich weiter und sah und hörte nichts mehr, spürte nur noch wie mein Puls durch meine Adern peitschte.
Immer wieder musste ich den Drang unterdrücken mich nach Pablo umzudrehen, da ein kleiner Teil meines Gehirns immer noch realisierte, dass das nicht die Vergangenheit war.
Ich führte uns weiter durch die Gänge und blieb dann wie erstarrt vor der Treppe stehen. Die gleichen Gedanken wie damals wehten durch meinen Kopf, aber ich war zu durcheinander um auch nur eine davon zu greifen.
"Wo lang?" das Blut in meinen Adern gefror, als Anastasia die selben Worte wie Pablo aussprach. Mein Blick blieb weiterhin stoisch auf die Treppe gerichtet und ich konnte mich nicht entscheiden. Ich wollte mich nicht erneut entscheiden.

Nach einigen Minuten, welche sich wie Jahre anfühlen spürte ich die Hand meiner Frau, welche nach meiner Griff. Ich sah tief in ihre blauen Augen, welche mich in der Realität hielten.
"Geh nach unten." Wies sie mich fordernd an, aber ich blieb immer noch wie erstarrt stehen. Ich konnte nicht, was wenn mein Traum wahr ist, was wenn alles wahr ist und ich zurecht leide?
Ich konnte nicht zulassen, dass der letzte Funken Hoffnung darauf, dass ich keine andere Wahl hatte verblasst und mich die Dunkelheit endgültig holt.
"GEH DA RUNTER!" Sie schrie nicht, aber diesen Druck in ihrer Stimme hatte ich noch nie zuvor gehört. Sie presste förmlich jedes Wort heraus und wie auf Kommando reagierte mein Körper und nahm die erste Stufe nach unten.
Wie ein maschineller Prozess ging ich einen Meter nach dem anderen in den Kellerbereich, vor dem ich mich am meisten fürchtete.

Anders als in meinem Traum war der Bereich den wir betraten ebenfalls grell beleuchtet und alles was wir sahen war ein kleiner Raum.
Ich suchte mit dem Blick die Betonwände ab, aber ich konnte keine Tür ausmachen. Verwirrt ging ich in den Raum rein und fing an die Oberfläche abzutasten.
"Schatz was tust du da?" Anastasia Stimme holte mich aus meiner Versessenheit einen Ausgang zu finden.
"Wo ist die Tür?" fragte ich sie, auch wenn ich wusste, dass keiner von uns zuvor in diesem Raum gewesen war.
"Hier muss eine Tür sein durch die ihr kommt und uns rettet. Wo ist die?" Mit erhobener Stimmlage richtete ich meine Frage an sie, an mich und auch an Gott. Ich verstand es einfach nicht, dies konnte keine Sackgasse sein, es war doch unser Ausweg gewesen, meine Chance Pablo hier lebend raus zubekommen.
Entkräftet ließ ich mich auf meine Knie fallen und starrte weiterhin die Wände an, als würde sich unter meinem sturen Blick das massive Gestein verformen und eine Tür bilden.

Nach einigen Minuten spürte ich die Hand meiner Frau an meiner Schulter und ich sah zu ihr auf. Meine Sicht war verschwommen und ich musste blinzeln um ihr wunderschönes Gesicht zu sehen. Anastasia kniete sich ebenfalls hin und nahm mein Gesicht in ihre Hände. Mit den Daumen wischte sie mir über die Wangen und erst jetzt bemerkte ich, dass ich geweint hatte.
"Es gibt keine Tür mein Schatz, keinen Ausweg." Sie sah mir tief in die Augen, aber ich konnte ihr immer noch nicht glauben, auch wenn ich es vor Sekunden erst selbst überprüft hatte.
"Hättest du dich damals dazu entschieden runter zu gehen, anstatt hoch, dann wärt ihr hier drinnen gefangen gewesen. Pablos Verletzung hätten es im nicht erlaubt, die Stufen noch einmal hoch zugehen und wer weiß, wie lange wir euch hier drinnen gesucht hätten."
Mit diesen Worten versuchte sie mich davon zu überzeugen, dass ich richtig entschieden habe und wäre ich nicht so gut ausgebildet wie ich es war hätte ich ihr wahrscheinlich geglaubt.
Ich schüttelte den Kopf und stand wieder auf.
"Wir hätten hier die Zeit absitzen können, bis ihr das Gelände gesichert habt und dann Pablo so schnell wie möglich zu einem Arzt gebracht." Die Erkenntnis darüber, dass hier kein Ausgang ist änderte nichts daran, dass meine Entscheidung falsch war, dass ich seinen Tod zu verantworten hatte.
"Hättet ihr nicht." Anastasia kam wieder auf mich zu, aber ich wich ihren Armen aus, welche mich in eine Umarmung ziehen wollten.
"Ihr hättet hier nicht warten können!" erhob sie nun die Stimme und sah mich eindringlich an.
"Die Yakuza nutzen diesen Raum als Waffenlager, sie hätten früher oder später Munition geholt und euch gefunden. Und bevor du anfängst mir zu erzählen, dass du sie abgewehrt hättest, das hättest du nicht." Nun schrie sie förmlich und ich konnte die Verzweiflung in ihrer Stimme hören.
"Pablo wäre verblutet bis wir zu euch gekommen wären, wenn die Japaner euch nicht schon vorher erschossen hätten." Trauer und Wut durchtränkte ihren Satz und ließen mich zum ersten Mal aufhorchen. Wie ein echo spielten sich ihre Worte immer und immer in meinem Kopf wieder.
Kann das wahr sein? Hat sie recht?
Müde von der Gefühlsachterbahn, welche in der letzten Stunde an meiner Kraft gezerrt hatte, drehte ich mich zu meiner Frau um und zog sie in eine feste Umarmung.

Ich versteckte mein Gesicht in ihrer Halsbeuge und atmete ihren beruhigenden Duft ein.
Hab ich mich geirrt?

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