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• M I L E S •

Unterbewusst vergleiche ich meine jetzige Schule, mein jetziges Leben, meine gesamte jetzige Situation oft mit dem Vergangenen. Ich weiß nicht wieso genau.
Ich vermisse die alte Zeit nicht. Ich vermisse es höchstens zu wissen, wie alles so abläuft.
Dass ein Schüler einen anderen nämlich einfach mal so auf dem Schulflur krankenhausreif prügelt, wäre bei uns nicht vorgekommen. Hier scheint das ziemlich normal zu sein, immerhin haben die meisten einfach nur zugesehen oder es sogar gefilmt, als würde sich dort, wo der Junge von Jackson verprügelt worden war, gerade eine seltene Affenart paaren.
Daher hatte ich auch keine Ahnung, wie ich irgendwie helfen kann.
Jacksons Kumpels hatten nämlich nur dämlich nebendran gestanden und amüsiert oder beeindruckt zugesehen, wie Jackson den anderen blau und blutig geschlagen hatte.
Einerseits kann ich seine Wut verstehen. Dieser Hintern-Klatscher ist wirklich unsittlich gewesen, aber das war auch kein Grund, so auszurasten. Höchstens eine Ohrfeige hätte da auch gereicht.
Auf mich hat es nicht so gewirkt, als sei Jackson wegen des Schlages an sich wütend gewesen, sondern eher weil der Verursacher angesetzt hat, irgendetwas zu sagen und Jackson hat ihn davon abhalten wollen, es auszusprechen.
Aber ich kann mich ja auch irren.

Nichtsdestotrotz sitze ich gerade vor dem Zimmer des Direktors, zu dem ich Jackson nach dem Befehl der Lehrer gezerrt habe.
Man hört eine Person schreien, aber richtige Worte verstehe ich nicht.
Alle der Zuschauer wurden wieder in den Unterricht geschickt, nur Jordan, wie Jacksons Opfer wohl heißt, und ein paar seiner Freunde sind noch im Flur, um auf den Krankenwagen zu warten.
Jackson hat Jordan echt ziemlich zugerichtet.
Ich bin richtig geschockt gewesen. Es ist alles so schnell gegangen und plötzlich war da nur noch Blut.
Ich bin froh, dass es gereicht hat, Jacksons Arm aufzuhalten und er nicht mich auch noch vermöbelt hat. Denn ich habe keine Erfahrung darin, wie man sich prügelt, oder verteidigt, oder sowas. Das ist bisher auch nie nötig gewesen.

Nach etwa einer viertel Stunde wird die Tür zum Direktorzimmer wieder geöffnet.
Ich springe quasi vom Stuhl auf und sehe mir Jackson an, der mit starrem Blick aus dem Raum trottet und sich dann dort niederlässt, wo ich gerade gesessen bin.
Der Direktor sieht ihn mit einem missbilligenden Kopfschütteln an und dann mich. „Sie sollten sich überlegen, mit welchen Leuten sie sich abgeben, Miles. Ihr Umgang kann viel über ihre Zukunft entscheiden." Er sieht mich vielsagend an und dann Jackson.
Ich bringe nur ein Nicken zustande, ehe er die Tür auch schon wieder schließt.
Ich sehe zu Jackson.
Er wirkt gerade ein bisschen wie ein heruntergefahrener Terminator auf mich. Er scheint geistig nicht anwesend zu sein.

Ich gehe vor ihm in die Hocke und versuche Blickkontakt herzustellen. Es funktioniert nicht. Er schaut einfach durch mich hindurch. Seine Körperhaltung ist angespannt, seine Mimik verschlossen und sein Blick kalt. Er scheint keinerlei Reue zu empfinden. Oder er versteckt es einfach viel zu gut.
„Jackson...", seufze ich. „Was sollte das? Klar Jordans Aktion war scheiße, aber das ist kein Grund, um so auszurasten..."
Ich höre auf zu sprechen, als ich erkenne, dass er mir ohnehin nicht zuhört.
Was bilde ich mir auch ein, ihn irgendwie bekehren zu können? Er war ein Schläger, bevor ich hier war und er wird auch weiterhin einer sein. Ich sollte aufhören, mir einzubilden, irgendwem irgendwie helfen zu können. Vor allem weil Jackson nicht so wirkt, als will er, dass man ihm hilft.
Aber eigentlich ist mir das egal. Ich habe auch nie um Hilfe geben und trotzdem hätte ich sie gebraucht.
Vielleicht ist Jackson gar nicht so anders als ich. Vielleicht braucht er einfach jemanden, der ihm mal zuhört und für ihn da ist.
„Hei", ich lege meine Hand auf sein Knie und versuche es mit einem aufmunternden Blick. Es scheint zu helfen. Sein Ausdruck wird klarer, als er mich aus seinen grünen Augen ansieht.
Für einen Moment halten wir stumm einfach Blickkontakt, keiner tut etwas, keiner sagt etwas und das scheint auch gar nicht nötig zu sein.
Aber dann beginnt er den Kopf zu schütteln und sieht mich erschöpft an. „Was willst du, Miles? Du solltest in den Unterricht gehen."
Ich schlucke und schüttele ebenfalls den Kopf. „Wir sind doch jetzt Freunde. Und Freunde sind füreinander da. Deine Aktion war zwar mies, aber ich sehe, dass es dir scheiße geht und deshalb lasse ich dich nicht hängen..."
„Du solltest wirklich gehen", unterbricht er mich.
„Jackson, ich..."
„Verschwinde!"
Aus seiner Erschöpfung wird innerhalb von einer Sekunde eine solche Wut, dass ich erschrocken zurückweiche. Er steht ebenfalls wieder auf und sieht auf mich herab. „Hau ab", setzt er nun wieder ruhiger, aber dennoch angespannt nach.
Ich schlucke, aber schüttele den Kopf.
Ich weiß, dass mein Blick Herausforderung in sich trägt. Ich hatte schon immer das Problem, dass ich Leute gerne provoziere. Das war noch nie ein Vorteil. Auch jetzt nicht. Denn Jackson scheint nicht zu Spielchen aufgelegt zu sein.
Er packt mich an den Schultern und presst mich nicht gerade sanft an die Wand.
Ich verkneife mir ein Zischen und sehe nach wie vor in seine Augen.
Er erkennt in meinem Blick, dass sich mein Wille nicht so leicht brechen lässt. Aber er ist nicht wie die anderen. Er gibt nicht nach. Und er lässt sich viel zu einfach provozieren.
„Ich sage dir das jetzt ein letztes Mal. Entweder du gehst zurück in en Unterricht und zwar auf der Stelle oder du endest neben Jordan im Krankenwagen." Er sagt das nur leise, aber direkt in mein Ohr, sodass ich ihn perfekt verstehe.
Es stellt sich eine Gänsehaut auf meinem Körper auf, aber nicht, weil er sein Ziel erreicht und mir Angst macht, sondern, weil sein Atem an meinen Hals schlägt und ich dort schon immer viel zu empfindlich war.
„Du musst lernen, wie hier die Regeln sind, Miles." Er spricht weiter, macht nicht die Anstalten, unsere Körpernähe zu unterbrechen.
Mir ist so verdammt heiß, dass ich mir am liebsten die Kleider vom Leib reißen würde...
„Es gibt  Leute, die etwas zu sagen haben und Leute, die das dann zu tun haben. Während ich der Ersten Kategorie angehöre, bist du eindeutig in der Zweiten, bis du mir beweist, dass du das Gegenteil wert bist. Und jetzt verpiss dich oder du kannst dich von deiner hübschen Nase verabschieden."
Er drückt mich nochmal extra gewaltvoll gegen die Wand, lässt mich dann los und geht zwei Schritte zurück.

Unser Blickkontakt baut wieder auf, ich atme tief durch, ohne zu registrieren, dass ich vorher den Atem angehalten habe.
In dem Moment wird mir etwas bewusst. Und zwar, dass Jackson es nicht gewohnt ist, nicht das zu bekommen, was er möchte. Dass er aggressiv wird, wenn sich jemand seinem Willen widersetzt. Dass das lebensgefährlich sein kann. Aber obwohl ich keinen Grund mehr habe, ein Sekunde länger hier zu sein, um ihm irgendwie beizstehen, muss ich noch eines loswerden, bevor ich tue, was er von mir will.
Ich mache einen kleinen Schritt auf ihn zu, der ihm beweisen soll, dass ich nicht bereit bin, mich von seiner Fassade einschüchtern zu lassen.
„Du hast recht", sage ich und sehe ihm dabei ernst in die Augen. „Du bist die Art von Person, die anderen Befehle gibt. Für gewöhnlich folgt man denen vielleicht, aber du vergisst dabei, dass ich nicht so bin wie ihr Großstadtkinder. Da, wo ich herkomme, bedeutet Freundschaft Familie. Da, wo ich herkomme, ist man für seine Freunde da, egal, was ist. Aber da, wo ich her komme, bedroht und erpresst man seine Freunde auch nicht. Und obwohl ich anscheinend Teil deiner Gruppe bin, heißt das noch lange nicht, dass wir jemals Freunde sein werden. Denn jemand wie ich, der deiner Meinung nach das zu tun hat, was jemand wie du ihm sagt, hat auch seinen Stolz. Und ich bin nicht bereit, mich wie ein Sklave behandeln zu lassen. Also überleg dir, wie du mit mir umgehst und ob du es dir mit mir verscherzen willst. Leute wie ich können nämlich sehr nachtragend sein."

Mit fester Miene drehe ich mich um und gehe, genau wie er es wollte. Aber nach nur ein paar Schritten muss ich bereit grinsen, da mir sein beeindruckter Blick nicht entgangen ist.
Tja, Jackson, mit deiner Bad Boy Masche bist du bei mir an der falschen Adresse.

©Cupid42hearts

Real me [BoyxBoy] + Cupid42hearts Donde viven las historias. Descúbrelo ahora