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• M I L E S •

„Nick, ich kann nicht, ich kann das nicht." Ängstlich schaue ich ihn an, kralle mich in seine starken Oberarme, durch die er mich wahnsinnig verletzten, aber auch vor allem beschützen kann.

„Schon gut, Miles. Du musst nicht zur Schule, egal, was deine Eltern sagen werden. Du bist volljährig und theoretisch hast du auch keine Schulpflicht mehr. Allerdings solltest du dir überlegen, was du dadurch für ein Zeichen setzt, wenn du einfach abbrichst... Du läufst doch nicht vor deinen Problemen davon..."
„Doch ab heute schon", beschließe ich traurig.
Mein Exfreund seufzt, nimmt mich in den Arm.
Mit den Händen sowohl als auch meiner Wange an seiner Brust lehne ich mich gegen ihn, genieße den Halt, den er mir gibt.
„Lass uns mit deinen Eltern reden. Die wissen immer was zu tun ist", meint er nach einer Weile leise.
Erstaunlich. Früher hat er mich einfach hängenlassen und ist allem, was mit dem Thema Transidentität zu tun hatte aus dem Weg gegangen, aber heute macht er meine Probleme zu seinen Problemen, obwohl er sicherlich auch seine eigenen hat.
„Okay", gebe ich schwach zurück.
Nick versucht es mit einem aufmunternden Lächeln, nimmt mich an der Hand, sodass wir zusammen runtergehen können.

Aus dem Esszimmer hört man schon die Stimmen meiner Familienmitglieder. Alle sind da. Und alle verstummen, als ich zusammen mit Nick die Küche betrete.
Meine Mutter lässt sogar die Küchenrolle fallen.
„Niklas", haucht sie, ihr Blick springt zu mir und dann zu meiner Hand, die Nicks hält.
„Was soll das?" Die strenge Stimme meines Dads lässt mich etwas zurückweichen.
Eigentlich bin ich nicht so ängstlich, zurückhaltend... Aber nachdem, was passiert ist, ist mein Selbstvertrauen quasi nicht mehr vorhanden.
„Wir haben uns versöhnt", will ich meine Eltern beruhigen.
Bryce mahlt mit dem Kiefer, erdolcht Nick mit seinen Blicken, aber sagt nichts. Wahrscheinlich fängt er ihn nachher ab und schlägt ihn zusammen, wenn ich nicht aufpasse...

„Hei, ich weiß, ihr seid echt enttäuscht von mir, aber ich bin echt nur hier, um für Miles da zu sein..."
Sobald er meinen Namen ausspricht, scheint es, als würden meine Eltern sich beruhigen.
Nick hat sich immer geweigert, mich so zu nennen. Er hat mich immer bei meinem Geburtsnamen genannt, egal, wie sehr ich ihn angefleht habe, es zu lassen und er hat mir jedes Mal gesagt, dass ich für immer seine Freundin bleiben werde, egal, was ich mache.
Seitdem wir uns wider getroffen haben, hat er mich dann nur noch Sternchen genannt, sowie früher auch. Aber jetzt, jetzt bin ich für ihn Miles.
„Na gut, setzt euch und erzählt, was hier los ist." Mum deutet zum Tisch.
Nick und ich nehmen Platz, beginnen erstmal mit dem Frühstück, weil er weiß, dass es meine Aufgabe ist, meinen Eltern zu erzählen, was ich in der Schule passiert ist und ich es einfach nicht kann.

„Wo ist Jackson?", hakt Mum nach einer Weile etwas besorgt nach.
„Er..." ich schlucke. „Er ist weg. Und ich glaube auch nicht, dass er jemals wiederkommt."
Traurig sehe ich auf meinen Teller. Ich habe mir zwei Brötchen belegt und drei Eier geschält, obwohl ich das niemals alles Essen kann. Vor allem nicht in meinem jetzigen Zustand.
„Du hast ein Ei zu viel", stellt Nick leise fest, grinst dabei leicht und nimmt mir eines ab, um es zu essen.
Der empörte Ton meiner Mum bringt mich leicht zum Schmunzeln.
Nick streicht unterstützend über meinen Rücken, sagt aber nichts dazu. Das muss er auch gar nicht. Seine Anwesenheit kann mir gerade so sehr helfen wie nichts Anderes.
„Also? Bekomme ich bald noch eine Erklärung oder muss ich sie mit dem Küchenlöffel aus euch rausprügeln?" Mum schaut Nick und mich streng an.

Ich rutschte unterbewusst näher zu ihm auf, muss diesen Halt spüren, den er mir gibt. Den, den Jacks mir niemals geben wird. Nicht freiwillig.
Leise, beschämt, berichte ich meiner Familie von den Vorkommnissen gestern in der Schule.
Ich sehe meiner Mum an, wie sehr sie das mitnimmt, sie ist geschockt, scheint für mich zu leiden, aber ist auch sehr wütend. Mein Dad kündigt an, die Bildschirme in der Schule abstellen zu lassen und dafür zu sorgen, dass auch auf der Schulwebsite erstmal keiner mehr Zugriff darauf hat.
Das einzige, was Bryce tut, ist mich emotionslos anzusehen. „Wer war es?", fragt er kalt.
Ich schlucke, zucke mit den Schultern. Natürlich habe ich eine Vermutung. Aber, wenn ich jetzt sage, dass es Jordan war, bringt Bryce ihn vermutlich um und das kann ich nicht riskieren, da ich ja nicht mal weiß, ob er es echt war.

Meine Mum muntert mich etwas auf, indem sie mir versichert, dass meine Familie und meine wahren Freunde trotz allem immer hinter mir stehen werden. Dass es egal ist, welches Geschlecht ich habe, solange mein Herz dasselbe bleibt.
Also das, was Nick gestern auch gesagt hat.
Ich weiß ja, dass sie recht haben. Ich vermisse Jack einfach nur so unglaublich und ich mache mir sorgen. Ich will es ihm erklären, ihm sagen, dass ich ihn liebe. Aber nichts davon wird passieren.
Meine Eltern stimmen darin zu, dass ich nicht in die Schule gehen soll und legen mir nahe, zu Alice zu gehen und mit ihr nochmal darüber zu reden.
Zuerst will ich verneinen, da es ja auch nichts ändert, ob ich das jetzt nochmal jemandem erzähle, aber dann fällt mir ein, dass Alice vielleicht wissen kann, wo Jacks ist und wie es ihm geht, weshalb ich dann doch zustimme, um einen spontanen Termin zu bitten.
Nick will mich begleiten, aber ich möchte nicht. Jacks mitzunehmen war etwas komplett Anderes, so fühlt es sich zumindest an.
Wenn ich nicht mit ihm sein kann, will ich alleine sein.

Cupid42hearts

Real me [BoyxBoy] + Cupid42hearts Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt