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• M I L E S •

„Wenn Bryce es deinem Dad erzählt, bringt er mich dann um?"
Jackson schaut mich unsicher an und ich muss deshalb schmunzeln.

Seit mein Bruder Jacks und mich gestern beim Rummachen unterbrochen hat, macht er sich hörbar Gedanken darüber, was er wohl davon hält und vor allem, wie meine Eltern darauf reagieren werden, falls Bryce es ihnen erzählt.
Ich habe gestern mit Bryce geredet und er hat mir versichert, dass er kein Wort sagen wird, zum einen, weil es nicht seine Angelegenheit ist und zum anderen, weil Jack und ich auch nie ein Wort über seine Nacht mit Jordan verloren haben.
Ich glaube nicht, dass meine Eltern gut reagieren würden, wenn rauskäme, dass nicht nur ich mit einem Jungen zusammen bin, sondern auch Bryces Chancen auf eine Beziehung mit einem Junge bei 50 % liegen, denn dann wäre Benny die letzte Hoffnung auf leibliche Enkelkinder und naja... Dazu muss ich glaub ich nicht viel sagen. Solange Computer keine Kinder austragen können, wird das wohl nichts.

„Äffchen, meine Eltern denken schon seit Monaten, dass ich mit dir und Logan zusammen bin... Sie unterstützen das auch noch, also beruhig dich" Ich lächele ihn an und strecke mich für einen Kuss zu ihm rüber.
„Na gut", brummt er besänftigt, schnappt sich meinen Kopf, als ich ihn zurückziehen will und küsst mich nochmal ausgiebig, bevor wir beide aus dem Auto steigen.
Ich bin so froh, dass bald Wochenende ist und ich mich dann mit Jackson ins Bett flenzen und einfach nur kuscheln kann. Allerdings ist die Stimmung heute irgendwie seltsam dafür, dass es Donnerstag ist.

Ein ungutes Gefühl überkommt mich, ich greife nach Jacksons Hand und ziehe ihn sofort ins Schulhaus, weil ich allen anderen aus dem Weg gehen möchte. Aber egal, was ich getan hätte, diese Situation hätte nicht verhindert werden können.
Draußen tummeln sich fast nur die älteren Schüler an ihren Handys, starren rein, tuscheln dann.
Hier drinnen stehen die jüngeren vor den Bildschirmen und sehen sich das Video an, das in Dauerschleife abzuspielen scheint.
Zuerst bin ich auch noch sehr neugierig, aber ich erkenne Teile des Videos und ich erkenne mich selbst. Von damals.

Alle anderen sehen nur eine Eiskunstläuferin mit ihrem Partner, die ihren Tanz aufführen und sich danach verbeugen. Als die Kamera an das Mädchen heranzoomt, stoppt das Bild, der Bildschirm teilt sich und ein heutiges Bild von mir taucht auf.
Ich schlucke hart, als ich feststellen muss, dass die Ähnlichkeit alles beweist. Aber nein, das ist nicht genug, denn danach folgt ein Foto meiner Krankenakte, wo detailliert beschrieben wird, wie ich unter meiner Geschlechtsidentitätsstörung leide, was ich für Operationen hatte, um mir die Brust abnehmen zu lassen, dass ich untenrum noch weibliche Genitalien habe und wie viel Testosteron ich nehme.
Alles ist da. Der Beweis für meine Lügen und meine Täuschung.

Am schlimmsten sind eigentlich die Blicke der Leute, die vor mir zurückweichen, als hätte ich plötzlich eine ansteckende Krankheit und mich so musternd ansehen, als suchen sie nach Möglichkeiten, es zu erkennen. Oder Jackson, der meine zitternde Hand loslässt und mich fassungslos ansieht.

„Sag mir, dass das nicht wahr ist." Er spricht leise, aber bestimmend, er hat noch Hoffnung.
„Jacks", hauche ich, greife nach seiner Hand, aber er entzieht sie mir.
„Sag, dass es nicht stimmt!"
Ich presse meinen Kiefer zusammen und senke geschlagen den Blick.
Alle Leute, die um uns herum stehen, sind plötzlich bedeutungslos für mich. Jackson ist einer der wenigen, dessen Meinung mich interessiert.
Ich sehe auf seine Füße, zumindest solange, bis er einfach geht. Kurz schaue ich ihm hinterher und dann verfolge ich ihn.

„Jacks, lass es mich erklären!" Er stürmt aus dem Schulhaus, ich hinter ihm.
Sofort liegen gefühlt alle Blicke unserer Mitschüler auf uns und als ich gerade kurz davor bin, ihn zu erreichen und an der Schulter zu mir zu ziehen, steht plötzlich niemand geringeres als Jordan vor mir.
„Du hast ihm schon genug angetan, Miststück."
Ich schnaube angespannt. „Verpiss dich, Jordan."
Mit ihm zu diskutieren ist zwecklos. Wenigstens habe ich Jack nicht vergewaltigt.
„Jackson!", ich rufe ihm hinterher, weil ich an Jordan nicht vorbei komme, aber er geht einfach vom Schulhof und seines Weges.
Er hasst mich. Mit Sicherheit hasst er mich jetzt.
Ich will einfach nur noch weg, aber Jordan packt mich und hält mich fest.

„Lass mich los!" Ich winde mich herum, aber er ist stärker als ich und alle anderen sehen nur zu.
„Dann wollen wir mal sehen, wie viel Mann du bist, mh?", grinst er mir zu und macht sich an meiner Hose zu schaffen.
Er wird doch nicht...?
„Hör auf! Lass mich!"
Er hat schon meinen Hosenknopf geöffnet und zieht den Reißverschluss runter, als mich jemand aus seinem Griff reißt und ihm ins Gesicht schlägt.
„Fass ihn noch einmal an, Jordan und es wird das letzte sein, was du getan hast." Logan presst das nur hervor, was beweist, wie wütend er ist.
Er mustert mich besorgt, während ich meine Hose wieder schließe, legt dann schützend den Arm um mich und zieht mich vom Pausenhof runter zum Parkplatz. Sobald wir in seinem Auto sitzen, breche ich zusammen.

Es ist nicht nur der Schock über die Tatsache, dass alle mein Geheimnis nun kennen, nein es ist auch die Art, wie Jackson darauf reagiert hat und, was Jordan gerade getan hat. Ich bin mir sicher, auch das Video ist von ihm. Einen anderen, der mir sowas antun sollte, gibt es nicht und als die Akte bei Jack war, hatte Jordan genügend Zeit, sie zu fotografieren. Wahrscheinlich hat er immer nur auf die passende Gelegenheit gewartet, um es zu veröffentlichen. Und die hat er genutzt.

„Schh, schon gut. Ich lass nicht zu, dass dir was passiert." Logan legt die Arme um mich, tröstet mich so gut es geht und ich klammere mich an seinem Shirt fest.
„Wieso hasst du mich nicht auch?", schluchze ich.
Er streicht mir beruhigend über den Kopf. „Weil es keinen Grund dazu gibt, Miles. Außerdem weiß ich es schon, seit ich das erste Mal bei euch übernachtet habe. Ich habe deine Testosteronspritzen im Nachtkästchen gesehen."

Ich schluchze stärker. Er weiß es schon seit Monaten und hat nie ein Wort gesagt, weil es ihm einfach egal ist. Weil er mich als Mensch sieht und nicht als Junge oder Mädchen. Nicht so wie alle anderen.
Ich höre jetzt schon, wie sie mir Transe hinterherrufen oder mir klarmachen, dass ich niemals ein richtiger Mann sein werde, egal, was ich tue.
Als wüsste ich das nicht selbst. Als würde ich nicht so schon genug darunter leiden. Nein, jetzt habe ich auch noch den Jungen verloren, in den ich mich verliebt habe. Mit dem ich mir wirklich ernsthaft etwas hätte vorstellen können. Und ich glaube ernsthaft, dass dieser Schmerz mich auf kurz oder lang umbringen wird, denn so fühlt es sich zumindest an.

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