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• M I L E S •

Jack denkt wohl noch immer, dass er mich einfach nur zur Therapie bringt, auf mich wartet und wir danach zusammen was unternehmen. Aber da täuscht er sich.

Wir treten aus dem Aufzug. Ich sehe Jacks an, dass es ihm ein bisschen unangenehm ist, hier zu sein. Als er sich umsieht, riecht sein schlechtes Gewissen fast schon.
Tja, Jack, dass die Praxis einen neuen Anstrich bekommen hat, verdankt sie nur dir.
„Miles! Hei!" Olivia winkt schon euphorisch vom Tresen aus zu Jack und mir.
Seine Augen weiten sich etwas.
Was ist denn jetzt schon wieder los?
Trotz meiner leichten Verwirrung gehe ich lässig zum Tresen, lehne mich dagegen, als ich Olivia erkläre, heute einen Termin zu haben.
Sie nickt wild. „Ich weiß, ich hab mich schon den ganzen Tag darauf gefreut." Sie strahlt regelrecht dabei.
Jack ist so ruhig, das besorgt mich ein bisschen.
Ich sehe auffordernd zu ihm und deute ihm an, herzukommen.
„Was ist los mit dir?"
Vielleicht hat er nun doch Angst davor, auf seine Mum zu treffen oder sein schlechtes Gewissen ist stärker als gedacht. Aber daran scheint es nicht zu liegen.
„Sie ist doch... deine Freundin..." Unsicher, aber auch seltsam traurig schaut Jack mich an.
Ich verstehe ja nicht mal, wen er meint, bis mir einfällt, dass Olivia ja noch neben uns ist.

Dann beginne ich zu lachen. Fragt mich nicht wieso, aber irgendwie ist diese Vorstellung für mich nur allzu belustigend.
Jack dachte echt all die Wochen über, seit er mich mit Olivia im Park gesehen hat, dass ich mit ihr zusammen bin? Sein Hirn braucht glaube ich wirklich mal einen Reboot. Dann hätte ich sie ja mit Nick betrogen und mit Jack ebenso. Was traut er mir bitteschön zu?!
„Nein, Jackson, ich bin nicht mit Olivia zusammen.", beruhige ich ihn und lege dabei meine Hand auf seine Schulter, sodass wir uns automatisch näher sind und er in meinem Blick sehen muss, dass er der einzige ist, den ich will.
„Ja genau", stimmt Olivia zu, wirkt dabei aber weniger enthusiastisch als eben noch.
„Nehmt bitte noch kurz Platz, Alice holt euch dann." Olivia lächelt zwar noch nett, aber jetzt kommt es mir weniger freundschaftlich als eher professionell vor. Und mich gebeten, mich auf das Sofa, das am anderen Ende des Raumes steht, zu setzen hat sie auch noch nie.

Ich schicke Jack daher schon mal dahin und bleibe an der Anmeldung stehen, um Olivia besorgt zu fragen, ob es ihr nicht gut ginge.
„Alles bestens, Miles", lächelt sie und sieht dann demonstrativ auf ihren Bildschirm, wohl, um mir klarzumachen, dass ich aufhören soll zu nerven, damit sie arbeiten kann.
Ich gehe zu Jackson, setze mich neben ihn. Wir blättern in den Zeitungen herum, die unsere Zielgruppe weit verfehlen, bis ich das typische Klackern von Alice Schuhen hörte, ehe sie auch schon den Raum betritt. Sie lächelt noch, als sie mich sieht, aber das vergeht ihr, sobald ihr Blick auf ihren Sohn neben mir fällt.
Ich stehe auf und ziehe Jacks hinter mir her.

„Hallo, Miles" Wir begrüßen uns wie immer mit einem Handschlag, ehe sie Jackson anschaut und ihn auch mit einem „Hallo, Jackson" begrüßt.
„Hi Mum", meint er bloß und schiebt sich leicht hinter mich, als wolle er sich verstecken.
„Ich hab mir gedacht, Jackson kann heute mitmachen. Wäre das okay?"
Alice wirkt zwar überrascht, meint aber, das ginge natürlich. Sie geht voran und ich zerre Jackson mit.
„Was soll das? Davon war nie die Rede!", zischt er mir aufgebracht zu.
„Entspann dich, wir reden nur mit ihr. Und Ich bin ja immer bei dir, mh?" Ich lächele ihn beruhigend an und nehme seine Hand in meine, um sie einerseits zu halten und andererseits darüber zu streichen.
Er seufzt schwer und murmelt: „Kann ja nur schiefgehen."

Im Zimmer sieht er sich kurz um, dackelt mir aber immer hinterher und setzt sich so neben mich auf das Sofa.
Dass wir unsere Hände noch immer verschränkt halten, bemerke ich dabei erst, als Alice' Blick darauf fällt. Hingegen aller Erwartungen beginnt sie zu lächeln und wirklich erfreut auszusehen.
„Gibt es denn etwas Bestimmtes, worüber ihr reden möchtet?"
Sie sieht fragend zwischen Jack und mir hin und her.
Ich zucke mit den Schultern und sehe Jack an. Ich habe ihn hierher gezerrt, damit er mit seiner Mum redet, nicht ich.
Es ist eine Weile still, Jack sieht unsicher nach unten, aber irgendwann beginnt er leicht zu nicken und sieht auf. „Eigentlich schon..."
„Dann bitte." Seine Mum scheint sich zu freuen und sieht ihn neugierig an.
„Wir wissen ja was Dad von meinen Gefühlen hält... Aber was sagst du dazu?"
„Dazu, dass du dich zu Männern hingezogen fühlst?" Sie schaut kurz zu mir.

Ich weiß genau, was dieser Blick zu bedeuten hat und schüttele den Kopf. Ich erkenne Verständnis in ihrem Blick, was mir irgendwie Sicherheit gibt.
Jack nickt nur.
Seine Mum seufzt. „Ich denke, dass sich damit vieles erklärt. Warum du in deiner Jugendzeit so schwer geworden bist. Du hast vermutlich lange gebraucht, um dir das einzugestehen und hast anderen und dir selbst bis dahin beweisen wollen, dass du das bist, was leider von viel zu vielen unter einem richtigen Mann verstanden wird..."
Jack schluckt, er sieht aus, als läge seine Mum ziemlich richtig.
„Unser Kontakt ist nicht so schwierig, weil du schwul bist, Jackson, sondern weil du dir über Jahre hinweg viel Mühe gegeben hast, uns das Leben zur Hölle zu machen. Du bist mein Sohn. Ich liebe dich, das habe ich immer. Aber irgendwann ist es mir einfach schwer gefallen zu akzeptieren, dass ich einen Jungen erzogen habe, der sich benimmt wie der Teufel in Person. Und zudem hatte ich Schuldgefühle dir gegenüber..."
Jack presst die Lippen zusammen.
„... weil ich mir immer eingeredet habe, es sei nicht so schlimm oder weggesehen habe, wenn du mich gebraucht hättest. Ich weiß, dass ich rein gar nichts von dem, was du durchmachen musstest wiedergutmachen kann, aber ich will, dass du weißt, dass es mir aufrichtig leidtut."

Jackson nickt bloß und schaut wieder runter in seinen Schoß.
Klar hat keiner es ausgesprochen, da Alice ja nicht weiß, dass Jackson mir erzählt hat, wie sein Vater ihn misshandelt hat, aber ich weiß auch so, dass es gerade darum geht.
„Du hast aber nicht sehr erfreut über Jordan ausgesehen...", murmelt Jackson nach einer kurzen Zeit der Stille.
Alice nickt eilig. „Weil ich wusste, dass er nicht der richtige für dich ist. Aber wie wär's, wenn du mich jetzt anschaust?"
Das klingt irgendwie mehr nach einer Aufforderung, einer, der Jackson nachgeht, zaghaft, aber er tut es.
„Was siehst du, Jackson? Wie fühlst du dich gerade unter meinem Blick?"
Alice hat dieses Psychologin-Sein echt drauf. Es schlägt sogar bei Jack an.

Jackson mustert seine Mum eingehend, ihre entspannte aber vornehme Körperhaltung, ihr ehrliches Lächeln und den liebevollen Ausdruck in ihren Augen, der von der Freude spricht, ihren Sohn wiederzusehen und ehrlich mit ihm reden zu können.
„Ich weiß nicht", murmelt Jackson und schaut wieder weg.

Ich seufze, rutsche noch näher zu ihm und nehme unsere Hände in meinen Schoß, um über den Fingerknoten zu streichen.
„Ich fühle mich immer sehr wohl, wenn ich hier bin. Sicher, weil ich deiner Mum vertraue und weiß, dass sie niemals über mich urteilen wird. Spürst du sowas ähnliches auch?"
Fragend schaue ich Jack an, er wendet mir den Blick zu und nickt zögerlich. „Aber ich habe Angst..."
„Wovor?" Wir beginnen zu flüstern, nicht, weil es Alice nicht mitbekommen soll, sondern einfach, um diesen intimen Moment nicht zu zerstören.
„Vor dem Aufwachen."

Zuerst schaue ich verwirrt, dann seufzt Jack leise und lehnt seine Stirn an meine, ehe erklärt. „Ich hab Angst, dass das alles hier nur ein Traum ist und ich aufwachen und feststellen muss, dass du mich noch hasst und meine Mum mich noch hasst und ich selbst mich noch hasse."
„Das wird nicht passieren", versichere ich ihm und schüttele den Kopf, nur so leicht, dass meine Stirn trotzdem an seiner bleibt. „Das hier ist kein Traum."
„Das würdest du auch sagen, wenn es ein Traum wäre", seufzt Jack enttäuscht.

Ich taste nach seiner noch freien Hand, die er bis dahin in einer Faust hält. Sobald ich darüber streiche, löst sie sich und ich kann sie flach auf meine Brust legen, in der mein Herz rast, nur weil ich Jackson nahe bin.
„Spürst du das?", flüstere ich.
Er nickt leicht.
„Das schlägt nur für dich, hier in der Realität. Du musst nur mutig sein und daran glauben."
Für kurze Zeit passiert gar nichts, Jack sagt nichts, ich sage nichts, Alice sagt nichts.
Es ist, als gäbe es sie gar nicht mehr.
Jackson murmelt nach diesen Momenten der Stille ein leises „Danke", löst seine Stirn von meiner, aber bewegt den Kopf nicht weg. Nein, in Gegenteil, er bewegt ihn auf mich zu, solange bis seine Lippen auf meinen liegen.

Es ist zwar kein besonders leidenschaftlicher Kuss und auch kein besonders langer, aber einer, der ausreicht. Der ausreicht, um zu beweisen, dass wir auch unsere Liebe irgendwann Realität werden lassen können.

Cupid42hearts

Real me [BoyxBoy] + Cupid42hearts Where stories live. Discover now