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• M I L E S •

Schniefend kauere ich in meinem Bett herum, wälze mich von einer Seite zur anderen und hoffe, dass es irgendwie besser wird. Was es nicht tut.
„Ich hasse Jackson", murmele ich und schnäuze dann ein weiteres der vielen Taschentücher voll, das dann seinen Weg auf den Boden findet.
„Wir können ihm meinetwegen wirklich gern für vieles die Schuld geben, aber, dass er dich angesteckt hat, war deine eigene Dummheit. Du hättest nicht mit ihm schlafen sollen, ihn geschweigedenn küssen, wenn er so krank ist..."
„Als ginge es mir nicht schon schlecht genug!", unterbreche ich Logan in seinem Vortrag und drehe ihm den Rücken zu.
Ich höre ihn seufzen, spüre, dass er seine Hand auf meine Schulter legt. „Sei doch froh. Du hast ne echte Männergrippe"
„Ich hasse dich", murmele ich beleidigt und schiebe ihn von mir weg.
Logan lacht deshalb. „Du hasst aber heute ganz schön viele Leute, die du eigentlich liebst. Aber hei, wenn ich dir so sehr auf die Nerven gehe, dann verschwinde ich halt wieder. Ich wollte dir eigentlich eh nur die Schulsachen vorbeibringen und dann abhauen, bevor du mich ansteckst..."
„Ja klar, geh nur. Lass mich allein. Ein toller Freund bist du."
„Ach komm schon, ich liebe dich, das weißt du doch."
Logan gibt mir einen Klaps auf den Hintern, dann höre ich seine Schritte und wie meine Zimmertür geschlossen wird. Jetzt hat der Arsch mich echt alleine gelassen.

Wieder schnäuze ich in einem Mal zwei Taschentücher voll, ehe ich mich ein wenig aufrichte und die Medizin nehme, die er mir hingestellt hat. Ich war schon vor zwei Tagen beim Arzt, der hat mir Antibiotika verschrieben, aber ich habe nur das Gefühl, es wird mit jedem Tag schlimmer, nicht besser. Ich habe Fieber, mein Hals tut weh, ich Huste schleim, meine Nase ist fast komplett zu, mein Kopf tut weh und zu allem Überfluss muss ich, solange ich nicht wieder komplett gesund bin, aufhören, Testosteron zu mir zu nehmen. Nur weil voraussichtlich zwei Dosen ausfallen werden, ist das zwar nicht tragisch, aber ich spüre es jedes Mal, wenn ich eigentlich wieder etwas bräuchte. Ich werde dann so unruhig und bilde mir ein, alles an mir würde weiblicher werden. Wobei das jetzt ja eigentlich ohnehin egal ist, da eh alle wissen, was ich bin. Eine kleine Transe.

Nicht nur meine Grippe macht mir zu schaffen, auch meine Gedanken und die Tatsache, dass ich Jack vermisse. Er ist wieder - oder noch - mit Jordan zusammen, das verstehe ich. Trotzdem wünsche ich mir jedes Mal, wenn ich Schritte auf dem Flur höre, dass es er ist, der zumindest nach mir sehen will...
Ich bin so lächerlich.
Ich habe heute Therapiestunde. Eigentlich wollte ich nicht gehen und lieber zuhause herumlungern, aber meine Mum zwingt mich und bei ihren Drohungen bekomme ich echt Angst, also muss ich ja wohl oder übel.

Ich beginne schon eine Stunde vor Termin, mich fertig zu machen und gehe dann los, weil bei mir heute alles nur in Zeitlupe passiert.
Olivias erster Satz, als sie mich sieht, hilft auch nicht wirklich, mich besser zu fühlen.
„Oh du liebe Gänseblume, du siehst aber fertig aus."
„Danke", schiefe ich. „Ich würde mich freuen, behaupten zu können, dass ich die ganze letzte Nacht durchgemacht habe und jetzt einfach nur verkatert bin, aber eigentlich bin ich todkrank."
„Männergrippe?" Sie schmunzelt.
Ich verdrehe die Augen. „Du bist schon die vierte Person, die das zu mir sagt. Zuerst meine Mum, dann mein Bruder, dann mein bester Freund und jetzt du... Seht ihr denn nicht, wie schlecht es mir geht?" Halb tot klammere ich mich an den Tresen, übertreibe jetzt absichtlich, um Olivia ein wenig zum Lachen zu bringen. Sie sieht so unglücklich und besorgt aus die letzte Zeit, ein bisschen Lachen kann da nur helfen.

In meinen Albereien bekomme ich gar nicht mit, dass Alice sich annähert, bis ich im Augenwinkel erkenne, dass sie mit verschränkten Armen in Türrahmen steht und mich amüsiert mustert. „Du bist also unter die Clowns gegangen?"
„Nein, er ist halb tot, das sieht man doch", kichert Olivia, scheucht mich dann hinter Alice her.
Je weiter ich ihr zu ihrem Büro folge, desto weiter vergeht mein Lächeln. Es wird ernst.
Ich nehme auf der Couch Platz, Alice wie so oft gegenüber von mir.
Vor ein paar Wochen, saß Jack noch hier mit mir. Er hat meine Hand gehalten und wir haben uns geöffnet...

Ich vermisse ihn so sehr, dass es wehtut. Ich will so gerne bei ihm sein. Wieso kann nicht einmal etwas in meinem Leben gut laufen? Das ist alles so unfair. Als sei ich nicht schon genug bestraft.
„Ich denke, ich weiß, was dir durch den Kopf geht", meint Alice, als sie mich mustert.
„Ich hoffe doch, sonst wäre das hier nämlich reine Geldverschwendung."
Sie lässt sich von meinem Sarkasmus nicht berühren, sondern lächelt einfach weiter. „Falls du dir Sorgen um Jackson machst, er wohnt wieder zuhause. Es geht ihm nicht sehr gut, aber er schlägt sich wacker..."

Mein Herz hat einen Moment ausgesetzt, als sie sagte, dass er wieder zuhause wohnt. Sofort schießt mir das Bild in den Kopf von dem Tag, als Jack so übel zugerichtet bei Logan auf der Matte stand. Sein Dad hat ihm das damals angetan und Jack hat mir anvertraut, dass er schon sein halbes Leben Gewalt von diesem Mann erfährt.
Wie kann Alice lächeln, obwohl sie all das weiß und ihren Sohn jetzt täglich dieser Gefahr aussetzt?
„Ich weiß, was du denkst, aber sie ignorieren sich einfach, dann funktioniert es."
Ich schnaube. „Klar, solange bis er Jack gegenüber wieder handgreiflich wird. Ich verstehe nicht, wie man sowas zulassen kann." Den Kopf schüttelnd wende ich den Blick ab.

Ich mache ihr Vorwürfe, das wissen wir beide, auch wenn Jack mir damals versichert hat, dass seine Mum nichts dafür kann.
Diese Frau ist so intelligent, so stark... Wie kann sie mit so einem Monster zusammen sein?
„Wir sind eigentlich nicht hier, um meine Probleme zu behandeln, Miles." Alice lächelt zwar noch immer leicht, aber man sieht ihr einen gewissen Schmerz an.
„Wieso denn? Meine Probleme scheinen sich ja mit ihren zu überschneiden. Sie wissen ganz genau, dass ich Jack liebe. Glauben Sie denn, es beruhigt mich, dass er mit seinem Peiniger unter einem Dach lebt? Ich weiß nicht was schlimmer ist, wenn er noch bei Jordan wäre oder bei ihrem Mann..."
„Vergleiche meinen Mann nicht mit diesem gestörten Jungen, Miles. Wenn Jack es bei uns wirklich so schlecht hätte, wie du es darstellst, und du wie es deiner Meinung entspricht, die bessere Option bist, warum ist Jack dann immer noch bei uns und nicht bei dir?"
„Weil er ein dummer Oberaffe ist." Schnaubend verschränke ich meine Arme.

Alice schüttelt den Kopf. „Nein, er hat Angst. Er weiß nicht mehr, wem er vertrauen kann und soll. Zuhause weiß er wenigstens, dass er auf der Hut sein sollte, wer seine Feinde und wer seine Freunde sind. Bei dir hat er das nie gewusst..."
„Ich war nie sein Feind!", stoße ich aus und richte mich auf.
„So fühlt es sich aber für ihn an..." Sie seufzt. „Versteh doch, Miles... Es ist sehr viel auf einmal für Jackson. Er will dich genauso wenig verlieren wie du ihn... Deshalb glaube mir bitte, wenn ich dir sage, dass er bei alle dem nicht nur an sich denkt."
„Wie meinen sie das?" Ich lege den Kopf schief und sehe sie misstrauisch an.
Sie sagt nichts.
„Alice!"
„Du weißt doch, wozu Jordan im Stande ist. Er nutzt Jacksons Unsicherheit derzeit perfekt aus, er schüchtert ihn ein, aber gibt ihm zeitgleich das, von dem er Jack einredet, dass er es braucht. Er baut auf eine Art Stockholm-Syndrom und es funktioniert."

Geschockt stoße ich die Luft aus, aber das hält sie nicht davon ab, sich weiter zu erklären.
„Er versteht oft, was da passiert, denk also nicht, Jordan hätte komplett die Kontrolle über ihn. Aber er weiß, dass er nichts ändern kann ohne etwas zu riskieren, also wiegt er sich lieber in Sicherheit und lässt es einfach mit sich machen..."
„Aber wann wird das aufhören?" Verzweigt sehe ich sie an, bittend, so als könnte sie einfach mit dem Finger schnippen und alles sei perfekt.
„Sobald er keine Angst mehr hat", erklärt Alice mir. „Sobald er weiß, dass er frei ist, unabhängig von Jordan und, dass er Jordans Erbarmen nicht braucht, um glücklich zu sein."
„Ich will ihm helfen", schniefe ich. Diese Rührung sorgt dafür, dass meine verstopfte Nase nur noch mehr läuft. Na klasse.
„Tut mir leid, Miles, aber er muss das alleine schaffen."
Ich schüttele den Kopf. „Er kann das nicht. Sie wissen doch gar nicht, was Jordan ihm angetan hat. Jack braucht mich. Aber ich weiß einfach nicht, was ich tun kann ohne ihn noch weiter von mir wegzuschieben. Bisher dachte ich, er liebt mich vielleicht einfach doch nicht genug, aber nachdem was sie jetzt gesagt haben... Er will doch gar nicht bei Jordan sein..."
„Nein, in der Tat nicht. Aber trotzdem muss er es alleine schaffen. Entweder das, oder es wird ihn vollends kaputt machen."
Wir unterhalten uns noch sehr lange das Thema, aber alles führt uns zu dem Schluss, dass es nur einen gibt, der Jackson jetzt helfen kann:
Er selbst.

Cupid42hearts

Real me [BoyxBoy] + Cupid42hearts Where stories live. Discover now