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• M I L E S •

Was macht Jackson eigentlich gerade auf happy Family mit meinen Eltern?
Was fällt ihm überhaupt ein, hier aufzukreuzen?
Wie kann er es wagen, mich anzulächeln?
Am liebsten würde ich ihm meine Gabel einfach ins Auge rammen.
Das wäre mal ein Anblick, für den es wert ist, etwas zu schmunzeln.
Da ich aber vermute, dass das unter schwere Körperverletzung fällt und somit strafbar ist, lasse ich es lieber. Ich hab doch schon genug Probleme auch ohne Jackson zu einem Piraten zu machen.

Ich bekomme nicht wirklich etwas vom Abendessen mit, starre nur in meinen Teller und stochere darin herum.
Jacksons Stimme zu hören reicht mir, damit ich einfach in ein Loch hüpfen will.
Irgendwann höre ich die nervige Stimme meines großen Bruders aus dem Flur. „Euer Lieblingssohn ist zu Hause!", verkündet er.
Ich habe nicht mal den Willen oder die Kraft, meine Augen zu verdrehen.
Gut gelaunt schlendert mein Bruder, von dem ich nach wie vor bezweifele, dass er wirklich einen ähnlichen genetischen Code hat wie ich, ins Esszimmer und setzt sich an den noch freien Platz, den wir haben schon gedeckt haben, weil wir ja wussten, das er später kommt.
„Wer ist der Vogel?", fragt Bryce kritisch.
Langsam hebe ich meinen Blick, um mir anzusehen, wie er Jackson aus zusammengekniffenen Augen mustert.
Ja! Endlich mal jemand in meiner Familie, der diesen Oberaffen genauso wenig leiden kann wie ich! Das ist mein Bruder!
„Jackson", meint mein Lieblingsmensch und streckt ihm die Hand hin.
Bryce ergreift sie, drückt extra fest zu, sodass sich Jacksons Augen erschrocken weiten.
Das verschafft mir fast so viel Genugtuung, dass ich schmunzeln muss. Fast.
„Und was habt ihr miteinander zu tun?" Bryce schaut nach wie vor unbegeistert zwischen Jackson und mir hin und her, während er sich seinen Teller mit Essen befüllt.
„Jackson ist einer von Miles Freunden", antwortet Mum begeistert. „Er ist fast so hübsch wie Logan, stimmt's?"
Jackson gibt einen empören Laut von sich. „Also bitte, ich bin tausendmal schöner als dieser Gollum."
Dadurch bringt er meine Mutter zum Lachen. „Kennst du Logan denn gut?"
Jackson nickt. „Jap. Ist mein bester Freund seit quasi immer. Eigentlich ist er mehr wie ein Bruder für mich. Deshalb nehmen sie es mir bitte nicht übel, wenn ich über ihn herziehe, wir machen das immer so."
Mum ist total angetan von Jackson und legt beim Kichern ihre Hand auf seinen starken Oberarm.
Etwas in mir will sie anfauchen, aber dann fällt mir ein, dass ich gar keinen Grund habe, Besitzansprüche zu stellen, also lasse ich es sein.
„Ach was, du bist so ein netter Junge. Und wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass du mich Steffi nennen sollst?"
„Ich merks mir, Steffi, versprochen", gibt Jackson ungewohnt charmant von sich.

Dad wirkt langsam etwas eifersüchtig, als er Jackson weiter seine interrogativen Fragen stellt, die überprüfen sollen, ob er für mich geeignet ist.
Ich frage mich echt, wofür meine Eltern mich halten. Sie denken ja schon, ich habe was mit Logan am Laufen, jetzt setzen sie auch noch Jackson auf die Liste meiner Lover, die ich eigentlich gar nicht habe und eigentlich sollten sie wissen, dass ein Teil von mir nach wie vor an Nick hängt...
Bestimmt halten sie mich für eine Schlampe. Natürlich tun sie das. Wenn ich mit so viel Typen ankomme, was sollen sie denn auch von mir halten? Wieso sollten die denken, Logan und Jackson wollen einfach nur mit mir befreundet sein? Wer sollte das schon wollen?
„Oh, Schätzchen!", schreit Mum plötzlich aus. „Vergiss deine Tabletten nicht wieder."
Mein Blick schießt zu ihr.
Nein. Sie hat nicht gerade vor Jackson angesprochen, dass ich regelmäßig Tabletten nehmen muss.
„Ich nehm sie später", brumme ich, weiche Jacksons Blick aus.
Obwohl... Wenn er meine Akte kennt, dann weiß er ja ohnehin schon, was für einer ich bin...
Ehe ich mich verstehe, knallt Bryce mir meine Medikamente vor die Nase und schenkt mir ein Glas Wasser ein, ehe er mich auffordernd ansieht. „In Zukunft nimmst du die, wenn Mum, Dad oder ich dabei sind. Ich will nicht, dass du sie wieder vergisst und dann sowas wie gestern passiert."
Ich schnaube nur, verschränke meine Arme.
Bryce presst die Lippen zusammen. Er hasst es, wenn ich ihm widerspreche.
„Hör zu, Miles" Er betont meinen Namen so scharf und auch irgendwie herausfordernd, dass es mir kalt den Rücken hinabläuft. „Du schadest durch dein Verhalten nicht nur dir, sondern auch uns. Deiner Familie. Wir wollen, dass es dir gut geht und dafür musst du deine Tabletten nehmen..."
„Wieso könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?!" Ich springe auf und renne schneller die Treppen hoch, als ich mitbekomme, dass Jackson bei all dem noch anwesend ist.
Aber es ist mir egal. Er hasst mich doch sowieso. Er wird mir mein Leben zur Hölle machen. Mehr als es das jetzt schon ist. Er wird dafür sorgen, dass man über mich lacht. Er wird über mich lachen.

Als ich in meine Zimmer ankomme, werfe ich mich bäuchlings darauf und vergrabe das Gesicht in meinem Kissen.
Ich bin froh, dass die anderen mich jetzt in Ruhe lassen. Aber nachdem ich die Tür so geknallt habe, ist es irgendwie klar, dass sich keiner mehr in meine Nähe traut. Im Gegensatz zu mir hängen die meisten Leute ja an ihrem Leben.
Nach etwa einer halben Stunde wird die Tür allerdings wieder geöffnet und jemand kommt zaghaft rein.
„Miles."
Mein Name wird zittrig ausgesprochen, leise Schritte nähern sich dem Bett.
Überprüfend hebe ich den Blick, um Ben zuzusehen, wie er sich zu auf meine Bettkante setzt und dabei ein Glas Wasser auf meinen Nachtisch legt, sowie meine Antidepressiva.
„Mum ist traurig", sagt er, wobei ich ihm ansehe, dass er mir eigentlich sagen will, dass er traurig ist.
Wortlos sehe ich ihn an.
Ich weiß, ich sollte reagieren und ihm klarmachen, dass es seinem großen Bruder gut geht. Aber ich will ihn nicht belügen. Nicht ihn auch noch.
Eine Weile schaut Ben mich an. Man sieht, wie sehr er nachdenkt, um mich dazuzubekommen, meine Tabletten zu nehmen.
Es ist mir egal.
Ich bin doch eh verrückt, also was soll diese kleine Pille schon bringen?
Als könnte sie helfen, die Welt besser machen, mich besser machen. Nein, das kann sie nicht. Nichts und niemand kann das.
„Miles", flüstert Ben erneut und rutscht zu mir aufs Bett.
Er legt sich hin, sodass er in Löffelchenstellung vor mir liegt und seinen Rücken an mich drückt.
Er bewegt sich solange unsicher hin und her und gibt traurige Laute von sich, bis ich meinen Arm um ihn lege.
„Du hast mich doch lieb oder?", fragt er ganz leise.
Normalerweise ist er nie so. Für seine 9 ist er meiner Meinung nach schon ziemlich reif. Das liegt unter anderem daran, dass er wegen mir viel durchmachen musste und somit eine weitere Person ist, für deren Leid ich verantwortlich bin. Aber jetzt im Moment wirkt er wie das kleine, unsichere Kind, das wir alle in unserem Inneren sind und auch immer bleiben werden, solange die Welt so böse bleibt, wie sie es ist.
„Natürlich", flüstere ich, bin nicht im Stande, es ihm eindringlicher zu vermitteln.
Er schnieft. „Dann bitte nimm wieder deine Tabletten. Ich hab dich nämlich auch lieb und ich halte es nicht aus, dich so zu sehen. Ich will meinen Miles wieder haben. Bitte hör auf traurig zu sein."
Es bricht mir fast das Herz, dass seine Tränchen auf meinen Bizeps tropfen und er leise schnieft.
Dafür bin ich verantwortlich. Und wenn es Benny besser geht, nur wenn ich so eine kleine Pille schlucke, dann werde ich da meinetwegen tun.

Ich löse mich vorsichtig von ihm, strecke mich zum Nachtkästchen.
Dabei erhasche ich einen Blick zum Türrahmen. Jackson steht dort, lehnt darin, hat die Hände in den Hosentaschen und schaut mir dabei zu, wie ich die Tablette in den Mund nehme und mit dem Wasser runterschlucke.
Dabei schaue ich stur in seine Augen.
Keine Ahnung, wieso, aber irgendwie fühlt es sich so an, als würde uns das auf eine abstrakte Art und Weise verbinden.
Ich lege mich wieder hin, ziehe Ben zu mir und tröste ihn.
Ich verspreche ihm, ein besserer Bruder zu werden, mehr auf mich acht zu geben und dafür zu sorgen, dass er nie wieder weinen muss.
Bei alle dem sieht Jackson mir zu und denkt sich seinen Teil.
Unter anderen Umständen würde ich ihn rausjagen, aber irgendwie beruhigt es mich auch, dass er hier ist. Ich muss ihn dazu nicht anschauen oder mit ihm reden. Seine Anwesenheit reicht.
Ich weiß nicht, woran das liegt. Er ist doch der erste, der mir in den Rücken fallen würde. Er hasst mich und ich hasse ihn. Aber trotzdem lernt er mich immer besser kennen und somit auch das, was allen anderen verborgen bleibt.

©Cupid42hearts

Real me [BoyxBoy] + Cupid42hearts Where stories live. Discover now