- Kapitel 4 -

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Amara
12:43 Uhr

Cancun sieht immer noch so unscheinbar aus wie früher. Die weißen Hochhäuser und die breite Zona Hotelera, wo niemand außer Hotelgäste und Mitarbeiter der Hotels hin dürfen. Cancun tut alles, um die internationalen Gäste von der Kriminalität in dieser Stadt fernzuhalten und ihnen ein falsches, trügerisches Bild zu zeigen.

Ein Bild, was die Touristen glauben lässt, Mexiko sei das gelobte Land, obwohl die Realität, nicht zuletzt wegen Miguel Jimenez und mir, ganz anders aussieht.
4 meiner Dealer habe ich in diesem Jahr schon verloren, weil sie bei Straßenkämpfen mit anderen Dealern draufgegangen sind.
Andere nennen es Drogenkrieg und Ausbeute, ich nenne es Berufsrisiko.

Die jungen Männer haben keine Schulausbildung und dementsprechend keine Zukunft. Wenn sie überleben wollen, dann müssen sie sich einem Kartell anschließen. Ich mache den Jungs immer deutlich, dass sie dort niemals lebend rauskommen werden. Doch die meisten sind so hilflos und verzweifelt, weile ihre Freundin mit 16 bereits hochschwanger zu Hause sitzt und das Geld vorne und hinten nicht reicht.

Das ein armer Vater ohne Geld immer noch besser ist, als ein toter Vater, vergessen viele. Aber es ist nicht meine Aufgabe sie zu belehren. Das muss das Schulsystem gerade biegen. Meine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass das Schulsystem so schlecht bleibt, wie es im Moment ist, um dann anschließend die hilflosen Männer abzufangen.

So läuft das Geschäft eben.

13.12 Uhr

Das Gemurmel unter den Beamten am Flughafen Cancun entgeht mir nicht, aber diese korrupten Schweine trauen sich ja nicht einmal mich anzusprechen.
Wie sollen solche Leute das Land gegen die Kartelle verteidigen?

Schmunzelnd setze ich mir die große Sonnenbrille auf und laufe mit meiner Tasche den breiten Gang an den Drogenspürhunden vorbei. Im Augenwinkel beobachte ich, wie die Polizisten einen amerikanischen Touristen zu Boden werden und ihm Handschellen anlegen, während er wie am Spieß schreit.

Kichernd wende ich den Blick ab.
Wenn Sie wüssten, dass ich unter meiner Bluse ein Taschenmesser und eine geladene Waffe trage, würden die anderen nicht so dumm daneben stehen und sich das Schauspiel begucken.

Die heiße, feuchte Luft umhüllt meinen Körper, als ich vor die Türen des Flughafens trete. Der Geruch von Kerosin gemischt mit Abgasen und Salzwasser steigt mir in die Nase, weshalb ich noch einmal tief einatme.

Wie habe ich den Geruch von Großstadt vermisst?
Mir wird bewusst, dass mein Leben am Stadtrand von Acapulco eigentlich nicht der Ort ist, an dem ich bevorzugt leben möchte, aber es geht nun mal nicht anders.
Ich kann meine Villa ja schlecht in die Stadtmitte von Acapulco stellen, dann wäre ich viel zu angreifbar. Dann wüsste jeder sofort, wo er mich finden kann.

Das Klingeln meines Handys reist mich aus meinen Gedanken, während ich mich in ein schwarzes Taxi setze.
"Dad, was gibt es?", frage ich und sage dem Taxifahrer nebenbei, dass ich zum Hafen möchte.

"Princesa, ich habe lange nichts mehr von dir und deinem Bruder gehört."

"Tut mir Leid, aber nächste Woche sind Wahlen in Kolumbien, du weißt doch.", erkläre ich ihm auf Englisch, damit mich der Taxifahrer nicht verstehen kann.

"Ist eine kurze Nachricht zu viel verlangt? Immerhin arbeitest du in einem sehr gefährlichen Beruf.", zischt er leicht wütend.

Ich seufze.
"Du hast recht. Ich werde mich öfter bei dir melden. Nach den Wahlen kann ich nach Miami kommen, wie wäre das?", mache ich ihm einen Vorschlag, um ihn zu besänftigen.

"Wenn du bis dahin noch lebst, gerne.", brummt er.

"Jetzt rede mich nicht schon tot.", verdrehe ich die Augen, obwohl er es nicht sehen kann. Ich höre ihn noch kurz lachen, dann beenden wir das Gespräch, weil er noch ein wichtiges Meeting hat.
Er würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn er wüssten um welche Themen es in meinen Meetings geht.

"Ingles muy bien.", spricht mich der Fahrer an und zeigt mir einen Daumen nach oben. Das sein Satz eigentlich kein richtiger Satz ist, lasse ich einfach mal so stehen.

Stattdessen lächle ich gezwungen.
Natürlich ist mein Englisch gut, ich habe ja auch 20 Jahre in Amerika gelebt, Idiot.

Ich schreibe Pino eine kurze Nachricht, dass ich sicher gelandet bin und jetzt in einem Taxi auf dem Weg zum Hafen sitze. Die Fahrt dauert meistens nur 15 Minuten und die Überfahrt zur Isla Mujeres ist in 30 Minuten erledigt.
Dann habe ich genug Zeit ins Hotel einzuchecken und meine Sachen auszupacken.

Das letzte Mal war ich mit 16 dort.
Die Isla Mujeres ist ein wunderschöner Ort und ist der einzige Fleck, an dem es keine Kriminalität gibt.
Die kleine Innenstadt ist unfassbar belebt und die kleinen bunten Häuser machen einem immer gute Laune.
Früher habe ich mit Jasper immer ein Wettrennen gemacht. Ziel war es, als erster auf der anderen Seite der 200m breiten Insel zu sein.

Ich muss lächeln, als ich an die unbeschwerte Zeit zurückdenke, aber ich bin trotzdem zufrieden, wie es gerade läuft.
Mir gehört der Süden Mexikos und am Osten bin ich auch gerade dran. Wenn die Wahlen in Kolumbien gut verlaufen, habe ich Bogota auch noch unter Kontrolle und kann das Koks von da aus nach Venezuela liefern und nach Panama verschiffen.

"150 Pesos pro favor.", bittet mich der Fahrer ihn zu bezahlen und streckt mir seine Hand aus. Ich lege ihm 200 Pesos in die Hand und greife nach meiner Tasche, bevor ich aussteige. Der Hafen sieht immer noch so schäbig aus wie damals, aber was erwartet man von einem Land, das von den Drogen regiert wird?

"Señora Ramirez.", spricht mich ein älterer Herr an und zieht seinen Hut. Als er meinen Namen ausspricht, drehe sich die anderen Hafenarbeiter und einige Touristen um. Während die Touristen nicht wirklich verstehen, warum man mich kennen sollte, werden die Arbeiter still. Sie wischen ihre dreckigen Hände an den dreckigen Arbeitshosen ab und ziehen ebenfalls ihren Hut.

"Bringen Sie mich zur Isla Mujeres.", fordere ich ihn auf, sein Boot fertig zu machen.

"Aber natürlich, Señora.", bestätigt er mir und schickt die anderen wieder an die Arbeit. Ich betrete sein altes Boot und bereue zugleich, dass ich doch niemanden mitgenommen habe. Jetzt wo sie wissen, wer ich bin, wird der ein oder andere auf falsche Gedanken kommen.

Mit der Hand an meiner Waffe setze ich mich auf die Sitzreihe, die im Schatten liegt, und warte, dass wir ablegen.

La Reina de MexicoWhere stories live. Discover now