- Kapitel 6 -

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Amara

Mit der spitze meines schwarzen High Heels schiebe ich die schwere Holztür auf, die wie zu erwarten geklemmt hat. Mein Zimmer sieht überraschen neu aus und ich muss zu geben, dass es mir gefällt.
Auch, wenn es klein ist.

Während die Tür hinter mir ins Schloss fällt, werfe ich meine Tasche auf das Queensize-Bett und gehe zur Balkontür. Von hier aus kann ich direkt aufs Meer gucken und vermutlich sogar bis nach Kuba und Jamaika, wenn die Schleierwolken am Himmel nicht wären.

Ich ziehe die Vorhänge wieder zu und lege mich aufs Bett. Es ist nicht so weich, wie meins daheim in Acapulco oder Mazatlan, aber immerhin ist es ein Bett.
Der Reichtum, der mich in den letzten Jahren ereilt hat, hat mich arrogant gemacht. Früher wäre das hier mehr als genug gewesen, heute hingegen bin ich enttäuscht und unzufrieden, wenn ich keine Badewanne und Champagner in meinem Bad stehen habe.

Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und wähle Jaspers Nummer. Immerhin soll er nicht beleidigt sein, weil ich ihm nicht Bescheid gegeben habe. Außerdem soll er mich keinen Trupp hinterherschicken, weil er sich Sorgen macht.

"Angekommen?", fragt mein kleiner Bruder wie aus dem Nichts.

"Ja, Bruderherz. Ich bin angekommen und liege gerade auf meinem harten Bett.", seufze ich.

Seitdem er damals verschwunden war, sind die Fronten zwischen uns verhärtet, auch wenn wir uns wieder näher gekommen sind. Seine Erleichterung und Freude, die er verspürt hatte, als ich meine Beziehung mit Miguel beendet hatte, konnte er nicht einmal verbergen.

Die ganze Zeit und in jeder freien Sekunde hat er mir erzählt, wie froh er darüber ist.
Erst wollte ich ihn bei meinem Vater in Miami absetzen, doch was hätte er davon gehabt? Er hat ja nichtmal eine abgeschlossene Berufsausbildung, geschweige denn einen Schulabschluss. Amerika wäre der Tod für ihn gewesen, mit Sicherheit.

Also habe ich mitgenommen zu Eduardo. Ich wusste, dass Eduardo mich erschießen würde, wenn ich dort aufkreuze, deshalb musste Jasper mit.
Eduardo kannte Jasper.
Das war meine Rettung.

"Und jetzt?", fragt er spöttisch.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr.
"Sofia scheint noch nicht hier zu sein, aber wir gehen heute Abend essen. Sie wird sich bei mir melden.", erkläre ich ihm.

"Und dann wird Miguel dich in einer unachtsamen Sekunde von hinten erschießen.", zischt er.

Ich muss Lachen.
"Aber Jasper. Miguel ist doch kein Feigling und erschießt Leute von hinten.", ziehe ich ihn auf.
Ich provoziere ich ihn absichtlich, damit er vielleicht irgendwann die Lust daran verliert mir Anweisungen zu geben.

Er brummt.
"Du weißt, wie ich das meine Amara."

"Wie dem auch sei. Kannst du zwei Flüge nach Los Angeles buchen? Und für Dad aus Miami bitte auch einen. In 4 Tagen ist Mum's Todestag, da müssen wir nach Amerika.", bitte ich ihn und schaue aus dem Fenster.

"Sollen wir nicht lieber mit dem Auto fahren?"

"Hast du eine Ahnung, wie weit es ist von Acapulco nach Los Angeles zu fahren? Wir müssen auch wieder zurück.", seufze ich.

"Gut, okay. Aber Pino kommt mit.", beschließt Jasper und scheint sich etwas zu notieren.

"Warum? Hast du Schiss, dass wir an der Grenze festgenommen werden?", lache ich laut und richte mich auf, weil mir die Puste ausgeht.
Die beiden haben immer noch nicht verstanden, dass mir das verfickte halbe Land gehört. Niemand wird mich festnehmen, wenn ich die 50% des Bruttoinlandsprodukt des Landes darstelle.

Wirklich niemand.

Und in Amerika können Sie mir nichts anhängen.

"Amara, du solltest das alles etwas ernster nehmen.", belehrt mich mein Bruder.

"Ich wette mit dir, dass ich einfach so über die Grenze gehen kann, ohne das mich jemand verhaftet. Nicht einmal die Amis werden auf mich schießen.", flüstere ich selbstbewusst.

"Nun gut, wir fliegen.", gibt Jasper seufzend nach.

"Wunderbar.", grinse ich zufrieden.
Dann verabschiede ich mich und lege das Handy neben mich. Eigentlich wollte ich eine Runde schlafen, aber das Telefonat mit Jasper hat mich irgendwie nervös gemacht, sodass ich vermutlich gar nicht mehr schlafen kann.

Mit schmerzenden Knochen drücke ich mich vom Bett ab und lasse meinen Kopf kreisen, um die elendige Verspannung aus der Nackenmuskulatur zu kriegen.

Keine Chance.

Genervt laufe ich ins Bad und stelle mich unter die kalte Dusche. Das Wasser erfrischt mich etwas und entspannt meine Muskeln. Mit den Fingerkuppen fahre ich über die Narbe an meinen Hals.
Die Wunde ist damals gut verheilt, trotzdem erkennt man die Narbe deutlich. Sie hebt sich stark von meiner sonst dunklen Haut ab, sodass sie fast jedem auffällt.
Jeder meiner One Night Stands hat mich bis jetzt drauf angesprochen, wirklich jeder.

Und es ist so ätzend, weil ich mit diesen Männern einfach nur Sex haben will, ohne dass sie mich an meinen Ex erinnern.
Wie oft musste ich es abbrechen, weil Miguel mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist?

Unzählige Male.

Seufzend schäume ich mein helles Haar ein und wasche meinen Körper. Der Duft von Eukalyptus und weißem Jasmin steigt mir in die Nase, sodass ich mich kurzzeitig wie in einem luxuriösen Spa fühle.
Ich schaue dem Wasser hinterher, wie es im Abfluss verschwindet. Als auch der letzte Tropfen in den Abwasserkanälen von Mexiko verschwunden ist, greife ich nach dem weißen Handtuch und wickle es um meinen Körper.
Die Sonne steht schon tief am Horizont, obwohl es erst halb vier ist.

Nur mit den Handtuch bekleidet und meiner Kippenschachtel gehe ich auf den Balkon und starre aufs offene Meer.
Eine warme Brise weht mir durch mein nasses Haar und lässt mich kurz erschaudern.

Während ich den Rauch genüsslich auspuste, schließe ich erschöpft die Augen.

Was genau tue ich eigentlich hier?

La Reina de MexicoWhere stories live. Discover now