- Klappe 108 -

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Amara
20:17 Uhr

"Wie lange bleibt ihr?", will mein Vater wissen und gibt Miguel Nachschlag.

"Nur das Wochenende.", antworte ich ihm.
Bis jetzt verlief das Abendessen ohne weitere Vorkommnisse, sodass ich mich in Ruhe dem Nudelauflauf widmen konnte.

"Und dann geht es wieder an die Arbeit? Miguel, du musst darauf achten, dass sie genug Pause macht.", wendet sich mein Vater an meinen Freund.

"Was meinst du, woran ich sie täglich erinnere?", gluckst Miguel und fällt mir in den Rücken.

"Ich habe nunmal viel zu tun. Ein Geschäft baut sich nicht von alleine auf.", verdrehe ich die Augen.

"Sieh zu, dass du Kolumbien und Brasilien in den-"

"Brasilien gehört mir.", unterbricht Miguel meinen Vater beiläufig.

Schmunzelnd sieht mein Vater ihn an, während Miguel sich unbeeindruckt eine volle Gabel zwischen die Lippen schiebt.
"Dann wirst du meiner Tochter doch bestimmt ihren Wunsch erfüllen und ihr Brasilien überlassen."

Miguel lacht leise und signalisiert meinem Vater, dass er seine Aussage nicht ernst nimmt. Er hat sich definitiv dazu entschieden, meinem Vater nichts falsches vorzuspielen. Er ist wieder der Miguel, den ich kenne.
"Vielleicht wird Brasilien ja ihr Hochzeitsgeschenk."

Mein Vater räuspert sich überrascht, doch fängt sich recht schnell wieder.
"Denk dran, dass das Geschenk eines einfachen Freundes nie größer sein darf, als das des Ehemanns.", provoziert mein Vater ihn.

Er hat sehr wohl verstanden, wie Miguel das meinte. Er will Miguel nur verunsichern und ihm zeigen, dass er ihn noch nicht als einen geeigneten Mann für mich sieht. Er erlaubt sich einen Spaß.

"Gut, dass der einfache Freund auch gleichzeitig der Ehemann deiner Tochter sein wird.", erwidert Miguel flink.

"Einfache Freunde haben nicht das Zeug zu einem Ehemann. Sonst wäre sie ja keine einfachen Freunde.", reagiert mein Vater.

Ich könnte dazwischen gehen.
Tue ich aber nicht.

Denn ich kenne meinen Vater und weiß, dass er das nicht ernst meinst. Er testet ihn nur und den Spaß will ich uns nicht versauen.
Da muss Miguel jetzt nunmal durch. Er kann noch froh sein, dass mein Bruder nicht hier ist. Das wäre noch viel lustiger.

"Wer hat denn das Zeug zu einem Ehemann?"

"Im Grunde jeder. Es hat nur nicht jeder das Zeug zu einem Ehemann meiner Tochter.", zuckt mein Vater mit den Schultern und nimmt einen Schluck von seinem Rotwein.

"Okay. Wie gut, dass bei Miguel und mir noch keine Hochzeit geplant ist, weshalb ihr euch nicht darüber streiten braucht. Meinen Ehemann suche im Übrigen ich mir aus, Dad. Nicht du.", ermahne ich ihn und lege meine rechte Hand auf Miguels Oberschenkel, um ihn zu beruhigen.

"Schon gut.", hebt mein Vater beide Hände und beginnt den Tisch abzuräumen.

"Ich würde dir ja helfen, aber ich muss mal kurz rauchen.", murmelt Miguel, räumt aber trotzdem die Teller zusammen, bevor er in den Garten geht.

"Dad, du musst ihn nicht so ärgern.", bitte ich meinen Vater nun endlich damit aufzuhören.

"Er lässt sich so leicht provozieren.", lacht er leise und schaut durch über seine Schulter zu Miguel, der sich gerade seine Zigarette anzündet.
"Aber ich mag es, wie direkt er ist. Er verstellt sich nicht und zeigt mir, dass er mit meinen Fragen nicht klar kommt. Er ist ein guter Junge."

"Natürlich ist er das.", verdrehe ich die Augen und laufe durchs Wohnzimmer, um mich nach draußen zu Miguel zu begeben.

"Er meint das nicht so.", erkläre ich Miguel und schließe meine Arme um seinen Oberkörper.

Miguel stößt schnaubend die Luft durch seine Nasenflügel aus.
"Er hasst mich."

"Er testet dich. Das ist alles.", versuche ich ihn zu beruhigen.

"Dann sag ihm, dass er es lassen soll.", brummt er und pustet den Rauch in die Dunkelheit.
"Wenn das so weiter geht, suche ich mir ein Hotelzimmer."

"Miguel.", bitte ich ihm und drücke mich von ihm weg, um ihm ins Gesicht zu schauen.
"Stell dich nicht so an."

"Amara, ich hab Angst, dass er mir heute Nacht die Eier abschneidet. So wie er mir anschaut. Wenn Blicke töten könnten, dann-"

"Ist gut. Ich regel das. Morgen.", verspreche ich ihm.
"Ich gehe mich waschen.", teile ich ihm mit und lasse ihn alleine seine Zigarette zu Ende rauchen.

"Dad, ich mache mich Bettfertig.", teile ich ihm mit und verschwinde mit der Tasche nach oben ins Badezimmer.

Miguel

"Amara hat sich verändert, nicht?", spricht mich Richard von der Seite an und lehnt sich an den Betonpfeiler einige Meter neben mir.

"Sie ist erwachsen geworden.", zucke ich mit den Schultern und klopfe die Asche meiner Zigarette ab.

"So erwachsen, dass sie dir deinen Ausrutscher im Nachtclub verziehen hat?"

Belustigt werfe ich den Kopf in den Nacken und ziehe noch einmal an meiner Zigarette.
"War ja klar, dass dieses Thema auch noch kommt."

"Was soll das heißen? Ein echter Mann steht zu seinen Fehlern. Du auch?"

"Ja. Ich stehe zu meinen Fehlern, wenn ich welche begehe.", antworte ich ihm und drücke die Zigarette in meiner Handfläche aus.

"Sie hatte mir schon erzählt, dass es wohl ein Missverständnis war.", hört er endlich auf gegen mich zu sticheln.
Kurz schaue ich zu ihm herüber, dann schließe ich die Terrassentür.

"Pass auf. Auch wenn du es wahrscheinlich gerade nicht hören willst...", beginne ich nervös.

Richard zieht die Augenbrauen hoch.
"Mach mich nicht nervös, mein Junge."

Plötzlich schwirren mir 200 Wörter, Fragen und Bilder durch den Kopf. Soll ich es ihm sagen und wirklich riskieren, dass er mir eine Faust verpasst?

Ist es mir das wert?

Ist mir ein Goldzahn das wert?

La Reina de MexicoTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon