- Kapitel 23 -

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Amara
Freitag, 21:39 Uhr

Ich strecke mich und gähne einmal kurz, bevor ich mich aufs Bett lege. Morgen finden die Wahlen statt und Miguel kommt am frühen Abend vorbei. Eigentlich wäre ich nervös, nicht wegen Miguel aber wegen den Wahlen, doch durch diese anstrengende Woche und den noch anstrengenderen Tagen in Kolumbien, bin ich viel zu müde.

Was mache ich eigentlich, wenn wir morgen nicht gewinnen sollten, sondern Miguel noch ein Ass aus dem Ärmel zaubert?

Es muss morgen alles nach Plan laufen, sonst kann ich mir Geschäfte mit Miguel abschminken. Nicht, dass ich auf ihn angewiesen bin, aber nur die Hälfte dieses Landes reicht mir bei Weitem nicht aus. Der Osten ist strategisch wichtig und den kontrolliert Miguel nahezu alleine. Nicht zu vergessen einige Grenzübergänge zur USA, die noch in seiner Hand liegen.

Ich knipse die kleine Lampe aus und beobachte die kleinen Staubpartikel in der Luft, die durch die Mondstrahlen sichtbar werden. Dann schließe ich die Augen und ziehe die Decke bis unter mein Kinn.
Das Warten morgen wird mich verrückt machen, das weiß ich. Aber mich ablenken kann ich nicht. Dafür habe ich keine Zeit und meine Verantwortung ist zu groß.
Ich muss jederzeit erreichbar sein und auf Mails und Unterlagen zugreifen können, da kann ich nicht einfach draußen rumrennen oder zum Strand.

Sonntag vielleicht, wenn alles gut gelaufen ist. Ich habe schon lange keinen richtigen Urlaub mehr gemacht, auch wenn es nur ein Tag ist. Vielleicht nehme ich mir am Sonntag tatsächlich frei. Frei im Sinne von "nicht erreichbar sein" oder "keine digitalen Endgeräte".

Nur ich, die Sonne, das Meer und der Sand unter meinen Füßen.

Nur ich, die Sonne, der Regenwald und das Zwitschern der 300 verschiedenen Vogelarten.

Alleine, ohne Bodyguards. Ohne meinen Bruder und auch ohne Pino.

Der Job ist anstrengend und er erfordert in jeder Sekunde meine volle Aufmerksamkeit. Heute gehe ich schlafen und weiß nicht, was der Tag morgen für mich bereit hält. Ich weiß nicht, was die nächste Woche für mich bereit hält. Ich kenne meine Aufgaben für nächste Woche nicht, weil sie so vielfältig sind und weil ich nicht in jeder Situation gleich handeln kann.

13:56 Uhr

"Amara?"
Eine Hand legt sich auf meine Schulter.

Erschrocken richte ich mich auf und schaue direkt in das Gesicht meines Bruders.
"Jasper."

"Amara, es ist gleich fast zwei Uhr. Geht es dir nicht gut?", runzelt er die Stirn, während ich mir eine Hand vors Gesicht halte, weil mich die helle Sonne blendet.

"Wie spät es ist es?", stoße ich überrascht hervor und versuche meinen Bruder richtig zu erkennen.

"Gleich zwei Uhr.", wiederholt er seine Worte, von denen ich glaube mich verhört zu haben.

"Scheiße.", murmel ich und stehe aus dem Bett auf.
Wieso habe ich solange geschlafen? Normalerweise wache ich immer von selbst in den frühen Morgenstunden auf, ohne das ich einen Wecker brauche.

"Gustavo hat schon drei Mal angerufen und Bogota auch.", ruft Jasper mir nach, während ich ins Badezimmer laufe. Meine Haare stehen in alle Richtungen, meine Augen sind klein und geschwollen. Generell fühle ich mich schlapp und ausgelaugt und wurde am liebsten zurück in mein Bett gehen, wenn der heutige Tag nicht so wichtig wäre.

"Wie sieht es denn aus?", stelle ich ihm eine wichtige Frage, nachdem ich mir das Gesicht gewaschen habe. Ich greife nach der Augencreme, welche ich mir unter meine dicken Augen schmiere, und nach meiner Gesichtscreme. Während die Creme einzieht, putze ich mir meine Zähne und höre meinem Bruder zu.

"Es ist noch nichts dramatisches passiert. Im Osten gab es ein paar Straßenkämpfe, aber nichts dramatisches."

"Die hat Miguel angezettelt, damit weniger Leute zu den Wahlurnen gehen.", unterstelle ich ihm nuschelnd.

"Meinst du?"

Ich spüle meinen Mund aus.
"Ja, mit Sicherheit. Eine andere Möglichkeit mich zu stoppen hat er nicht."

"Wie dem auch sei. Ich sage Paola, dass sie dir Frühstück vorbereiten soll.", beendet er das Thema.

"Crossaint, O-Saft und Kaffee reicht.", rufe ich ihm hinterher und beginne mich ein wenig zu schminken, nachdem ich etwas Sonnencreme aufgetragen habe. Concealer, Bronzer und Rouge müssen reichen, Lippenstift kann ich heute Abend noch auftragen.

Es dauert lange, bis ich meine Haare entwirrt habe. Müde stehe ich vor dem Spiegel und glätte meine Haare, während meine Gedanken immer wieder zu dem Ausgang der Wahlen abwandern.
Miguel darf nicht gewinnen, er darf nicht stärker sein als wir.

Ich schalte das Glätteisen aus und gehe in das Ankleidezimmer, das direkt neben dem Badezimmer liegt. Aus einem der Schränke, ziehe ich einen schwarzen Anzug  und ein schwarzen Spitzenbody heraus. Still ziehe ich mich an und suche passende High Heels heraus, als mein Handy klingelt.

Stirnrunzelnd schaue ich den Namen an.

"Ramirez."

"Amara, du tust tatsächlich so, als hättest du meine Nummer nicht eingespeichert?", ertönt Miguels Stimme belustigt.

"Das liegt daran, dass ich sie tatsächlich nicht eingespeichert habe.", lüge ich und schlüpfe in die hohen schwarzen High Heels aus Lack.

"Wie dem auch sei. Ich hab schon drei mal angerufen."
Es ist ein Vorwurf, auch wenn er es nicht offensichtlich ausspricht.

"Und jetzt? Ich habe eben auch noch andere Dinge zu erledigen."

"Im Osten sind einige Straßenkämpfe ausgebrochen, die Leuten scheinen dort nicht mehr wählen zu gehen.", übergeht er meine Worte.

"Für welche du verantwortlich bist.", knurre ich zurück und betrachte mein Erscheinungsbild im Spiegel.

"Wenn du das sagst.", erwidert Miguel frech, während ich das Schmunzeln auf seinen Lippen förmlich hören kann.

"Du benutzt Zivilisten, du benutzt ihr Leben um deinen Arsch zu retten.", fauche ich wütend und verlasse das Ankleidezimmer. Schnell richte ich mit einer Hand meine Bettdecke und öffne das große Fenster, damit wenigstens etwas Luft in mein Zimmer strömt.

"Amara, du schickst Kinder vor, um bei mir rumzuschnüffeln."

"Und du tötest sie.", kontere ich fix und verlasse mein Zimmer.
Die hohen Schuhe hallen laut durch den großen Flur.

"Du bist schlagfertig, das habe ich an Sophia's Hochzeit bereits gemerkt.", scheint er mich zu loben, denn in seiner Stimme schwingt diesmal kein Sarkasmus mit.

"Danke für die Blumen.", bedanke ich mich heuchlerisch und laufe die Treppe herunter.

"Was ich eigentlich wollte.", beginnt er endlich.

La Reina de MexicoWhere stories live. Discover now