- Kapitel 46 -

7.1K 263 8
                                    

Amara

Miguel steht am Herd und rührt die Sauce zusammen, während ich unsicher hinter ihm stehe und zu schaue.

"Hast du die Tomaten schon geschnitten?", fragt er und schaut kurz über seine Schulter zu mir.

"Ja, da in der Schüssel. Aber die Nüsse habe ich noch nicht geschnitten.", erkläre ihm und reiche ihm die Tomaten, die er dann in die Sauce kippt.

"Du kannst schonmal die Nudeln aufsetzen und dann die Sauce würzen. Hier steht alles, ich gehe kurz auf die Toilette.", teilt er mir mit und verschwindet, nachdem er meine Schulter geküsst hat.
Überfordert bleibe ich zurück.

Ich weiß überhaupt nicht, wie die Sauce schmecken soll. Wie soll ich sie dann würzen? Miguel zum Beispiel mag es gerne scharf, ich hingegen nicht so. Also etwas Schärfe kann ich ab, aber so viel wie Miguel?

Wohl kaum. Ich schaue mir die verschiedenen Gewürze genauer an und bekomme fast gar nicht mit, dass Miguel schon wieder zurück ist, würde er nicht seine Arme neben mir abstützen und mir über die Schulter schauen.

"Weißt du nicht, was hier von das Salz ist?", ärgert er mich kurz und nimmt mir das Paprikapulver aus der Hand.

"Ich weiß gar nicht, wie du das gewürzt haben willst. Ich kenne das Gericht ja nicht mal.", verteidige ich meine Unwissenheit und sehe zu, wie er Salz, Pfeffer und etwas Knoblauchpulver in die helle, cremige Sauce gibt.

Es riecht auch ohne Gewürze bereits fantastisch.

"Hat deine Mutter dir das Kochen beigebracht?", frage ich ihn, während er nach den Nudeln schaut.

"Mehr oder weniger. Ich habe ihr immer zugeschaut und mir dabei einiges abgeguckt.", zuckt er mit den Schultern und dreht sich zu mir um, während die Sauce und die Nudeln vor sich hin kochen.

Er sieht gut aus in dieser Jogginghosen und dem Pulli. Es steht ihm, auch wenn ein Anzug besser zu ihm passt. Wenn ich ihn jetzt nicht kennen würde, würde ich davon ausgehen, dass er einfach nur eine Gang im Norden des Landes anführt und damit ganz gut über die Runden kommt.

Aber mit dem Anzug hat man Angst vor ihm. Man weiß, dass er Einfluss hat, sofort. Man wird sich zweimal überlegen, ob man wirklich meckert oder genau das tut, was er verlangt. Manchmal denke ich daran zurück, wie es früher gewesen wäre, wenn ich auf ihn gehört hätte.

Heute verstehe ich einige Dinge, die er damals getan hat. Dieser Beruf ist kein Kinderspiel und man wird oft gezwungen Dinge zu tun, die man selber gar nicht gut heißt. Heute verstehe ich das, heute kann ich es zumindest nachvollziehen, weil ich in der gleichen Situation stecke.

Heute verstehe ich, warum er mir die Augen zugebunden hat oder warum er sich so aufgeregt hat, als ich ihn mit dem Mann in seinem Büro getroffen habe, den er eigentlich umbringen wollte. Ich verstehe, warum er Garcia und seine Familie umbringen musste.

Er muss schließlich nicht nur sich versorgen, sondern auch seine Familie und seine Angestellten. Dann muss er das Koks und die Waffen finanzieren und es müssen immer noch ein paar Millionen über bleiben um Beamte zu bestechen.

Und die Rente darf man nicht vergessen.

Da kann er sich wegen einer lächerlichen Person nicht alles ruinieren lassen.

"Wie kommt es, dass du nicht kochen kannst?", reißt er mich aus meinen Gedanken. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass er bereits vier Teller aus dem Küchenschrank geholt hat und die Nudeln darauf verteilt.

"Meine Mutter hat immer gekocht, wenn ich noch in der Schule war. Wenn mein Vater am Wochenende da war, sind wir meistens Essen gegangen. Und Abends gab es immer Brot.", erkläre ich ihm und nehme ihm zwei Teller ab, die er mir hin hält.

Ich laufe ins Esszimmer und stelle die zwei Teller ab, dann gehe ich zurück und nehme ihm die restlichen zwei Teller ab.

"Dann muss ich dir das wohl noch beibringen.", scherzt er und holt eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank. Schmunzelnd schaue ich ihm zu, wie er vier Weingläser nimmt und zu mir ins Esszimmer kommt.

"Soll ich Xavier und Sofia Bescheid geben?"

"Eigentlich würde ich lieber alleine mit dir Essen.", gesteht er mir und nimmt den Wein und zwei Gläser in die Hand.

"Komm.", nickt er zur Tür, sodass ich schnell das Besteck und unsere zwei Teller nehme. Irritiert folge ich ihm die Treppe hoch, bis wir auf dem Balkon seines Schlafzimmers stehen. Er stellt die zwei Gläser und den Wein ab, danach nimmt er mir die Teller aus der Hand und bittet mich Platz zunehmen.

Hungrig beobachte ich, wie er die Weinflasche öffnet und uns den dunklen Wein einschenkt. Bevor er sich neben mich setzt, schreibt er Xavier eine kurze Nachricht, dass das Essen unten steht.
Miguel legt seinen Arm um mich, während wir den Sonnenuntergang anschauen.

"Was machen wir morgen?", frage ich leise.

"Wir müssen ins Zentrum zu meinen Clubs. Ich muss was regeln und du sollst einen Einblick kriegen. Und Nachmittags stellst du mir deinen Plan vor, claro?"

"Meinen Plan? Du wirst dir wünschen, ihn nie gehört zu haben.", grinse ich, obwohl ich noch keinen Plan habe. Aber ich kann ihn ja schon mal ein bisschen nervös machen.

"Du solltest jetzt lieber Essen, anstatt so große Töne zu spucken.", feixt er und reicht mir meinen Teller mit den herrlichen duftenden Nudeln.
Lächelnd probiere ich das Essen, was Miguel gezaubert hat und kann gar nicht beschreiben wie lecker es ist.

"Sowas leckeres habe ich noch nie gegessen.", schwärme ich und entlocke ihm ein belustigtes Lachen.

Als sein Handy klingelt, schauen wir beide gleichzeitig auf den Display. Der Name Ricarda leuchtet auf. Unwohl wende ich direkt meinen Blick ab und schaue auf meinen vollen Teller, weil es mich nichts angeht.

Es geht mich nichts an.

Anstatt den Anruf anzunehmen, isst Miguel seelenruhig weiter.

"Willst du nicht dran gehen?", runzel ich die Stirn und schiebe mir eine Gabel in den Mund.

"Das kann warten, wir essen doch gerade.", runzelt er ebenfalls die Stirn, weil er meine Frage anscheinend nicht versteht.
Ohne zu antworten rühre ich meine Nudeln um, obwohl das gar nicht nötig ist.

"Los, frag schon.", stichelt er.

La Reina de MexicoWhere stories live. Discover now