- Kapitel 107 -

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Amara

"Mein Engel, da bist du ja endlich.", schließt mich mein Vater in eine feste Umarmung.
"Ich habe dich vermisst. Wo hast du deinen Bruder gelassen?"

"Der kommt morgen.", erkläre ich ihm und löse mich aus seinem festen Griff.

"Miguel, Mensch. Wie lange haben wir uns schon nicht mehr gesehen? Das ist ja ewig her.",  widmet er sich meinem Freund und zieht auch ihn in eine feste Umarmung.

"Amara hat mir gar nicht erzählt, dass ihr noch in Kontakt seid. Ich war ganz überrascht, als sie sagte, dass du mitkommst.", lacht er und lässt Miguel wieder los.

"Wir haben alles etwas privat gehalten.", erklärt Miguel ihm.

"Verstehe, bestimmt wegen deinem Beruf, richtig?"

Ruckartig schaut Miguel zu mir und versucht sich nichts anmerken zu lassen, doch die Aussage von meinem Vater verunsichert ihn.
"Ja, genau."

"Mir ist nur wichtig, dass meine Tochter in guten Händen ist. Aus dem Rest halte ich mich heraus.", mein Vater versucht locker zu sprechen, aber jeder hier weiß, dass es eine Drohung ist. Wenn Miguel mir etwas antut, garantiert mein Vater für nichts.

"Mein oberstes Ziel ist es, dass es deiner Tochter gut geht."
Miguel spricht emotionslos, kalt. Ausdruckslos. Als wäre mein Vater ein Rivale.

Dann beginnt mein Vater zu lächeln.
"Wunderbar. Jetzt wo wir das geklärt hätten, können wir endlich zu Abend essen. Es gibt Nudelauflauf, dein Lieblingsessen, Amara."

Erleichtert atme ich aus.
Kurzzeitig dachte ich, dass mein Vater Miguel absichtlich provoziert, um ihn zu testen. Und Miguel ist bekanntlich jemand, der sich schnell und gerne provozieren lässt. Während mein Vater schon vorgeht ins Haus, schaue ich zu Miguel.

Unbeeindruckt schaut er mich an.
"Ich dachte kurz, er will mir die Eier abschneiden."

Belustigt schaue ich ihn an.

Er tut so, als würde er sich imaginäre Schweißperlen von der Stirn wischen.
"Puh.", schauspielert er und nimmt unsere Taschen in die Hände.

"Auf in den Löwenkäfig.", witzelt er und läuft an mir vorbei.

Lachend gehe ich ihm hinterher und lege meine Hand auf seine Schulter.
"Bleib einfach cool.", gebe ich ihm einen Tipp.

"Das sagst du so einfach. Dich schaut er ja auch nicht an, als hättest du gerade seinen Lieblingssportwagen gegen die Wand gefahren."

"Er testet dich nur.", versuche ich ihn zu beruhigen.
"Außerdem bist du sonst nie so aufgeregt, was ist denn los mit dir?"

"Was mit mir los ist?", fragt er leise und lässt die Taschen in der Eingangshalle fallen.

"Kommt ihr?", ruft mein Vater aus dem Esszimmer.

Miguel atmet tief durch.
"Jaha.", flötet er viel zu hoch und lässt mich im Flur stehen.

Kopfschüttelnd und mit einem Lächeln auf den Lippen folge ich ihm.
"Wo ist denn Ellie?", will ich von meinem Vater wissen und nehme Miguel den Wein ab, den mein Vater ihm zuvor in die Hand gedrückt hat.

"Geschäftsreise. Sie kommt morgen.", erklärt er mir und holt den Auflauf aus dem Ofen.
"Setz dich ruhig."

Miguel zieht mir den Stuhl zurück und will sich ebenfalls setzen, als mein Vater ihn unterbricht.
"Miguel, du nicht."

Miguel's Blick ruht auf mir, während er wieder aufsteht. Er hat seine Kiefer fest aufeinander gepresst, vermutlich damit ihm nichts falsches herausrutscht.
"Richard, was kann ich denn für dich tun?"

Ich halte mir eine Hand vor den Mund, damit man mein belustigtes Grinsen nicht erkennt. Das hat mein Vater schon immer getan. Er nennt es den Stresstest. Er weiß, dass die Männer aufgeregt sind und das nutzt er aus.

"Da oben in dem Schrank ist noch Brot."

Miguel erwidert nichts mehr, setzt sich jedoch in Bewegung, um das Brot zu suchen.

"Ich hoffe, dass meine Tochter sich in Mexiko bei dir nicht selber versorgen muss?", stichelt mein Vater, weshalb Miguel die Tür des Küchenschranks extra laut schließt.

"Nein, ich habe eine Haushälterin, die ihr jeden Wunsch von den Lippen abließt.", erwidert mein Freund und stellt das Brot auf dem Tisch ab.

"Und du? Ließt du ihr auch jeden Wunsch von den Lippen ab?", lässt mein Vater nicht locker.

"Dad.", unterbreche ich ihn, doch er beachtet mich gar nicht. Seelenruhig stellt er den dampfenden Auflauf auf den Tisch und wartet geduldig mit einem provokanten Lächeln auf den Lippen auf seine Antwort.

"Natürlich tue ich das. Nur ist deine Tochter eine unabhängige Frau. Das gibt sie mir oft zu spüren."
Miguel hat sich dazu entschieden meinem Vater keine Lügen aufzutischen.

"Gut, denn dazu habe ich sie auch erzogen."

"Du? Oder deine Frau? Denn du warst ja kaum da, oder?", stichelt diesmal Miguel.

Mit großen Augen stehe ich auf.
"Miguel! Ich glaube, wir sollten jetzt essen."

Mein Vater kneift kurz die Augen zusammen, doch Miguel lässt sich nicht beirren. Er starrt meinen Vater genauso lange an, wie er mich immer anstarrt, wenn er darauf wartet, dass ich einknicke.

"Du bist nicht auf den Mund gefallen. Das gefällt mir.", nickt mein Vater tatsächlich anerkennend und greift dann nach Miguels Teller, um ihm Auflauf zu geben.

"Setz dich!", zische ich wütend zu Miguel.
Ich hatte ihm vorher ausdrücklich gesagt, dass er sich nicht provozieren lassen soll.

La Reina de MexicoWhere stories live. Discover now