- Kapitel 45 -

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Miguel

"Hast du schon eine Idee, was du essen möchtest?", frage ich sie, während ich mir mein Hemd aufknöpfe und zum Schrank gehe, um mir danach eine Jogginghose und einen Pullover herauszuholen.

"Vielleicht etwas mit Nudeln?", schlägt die zögerlich vor und schaut mir zu, wie ich mir das Hemd von den Schultern streife.

"Klar. Meine Mutter hatte früher immer Nudeln mit Mascarpone und Tomaten gemacht, das können wir kochen.", schlage ich ein Rezept vor und öffne meine Hose, woraufhin sie wegschaut.
Sie ist süß, wenn sie so unschuldig tut, obwohl sie sich vor 20 Minuten noch auf meinem Schreibtisch hat vögeln lassen.

"Hat deine Mutter oft gekocht? Oder hattet ihr auch Haushälterinnen?"
Neugierig schaut sie mir zu und wartet auf eine Antwort.

"Wir hatten Haushälterinnen, ja. Aber trotzdem hat meine Mutter oft gekocht. Sie hatte nichts anderes. Mein Vater hat ihr nie erlaubt einen Beruf auszuüben, ich glaube ihr war oft langweilig und sie hat sich überflüssig gefühlt.", vermute ich und ziehe mir die Jogginghose über.

"War es deinem Vater zu gefährlich?"

"Ja, er ist kaum zu Hause gewesen und konnte sie selber nicht schützen. Ich denke, er hätte es lieber gehabt, wenn sie für ihn gearbeitet hätte.", erkläre ich ihr und merke, dass ich meinen Vater verteidige.
Ich verteidige ihn, weil ich es bei Amara nicht anders machen würde. Ich würde Amara auch nicht irgendwo arbeiten lassen, wo ich keine Kontrolle über sie und über alle anderen habe. Und auch wenn es egoistisch und falsch klingt, weil Frauen ein eigenes Leben haben, habe ich keine andere Wahl.
Mein Vater hat diese Entscheidung nicht freiwillig getroffen- Er wurde durch seinen Beruf dazu gezwungen. Er musste seine Familie schützen und seine Frau und dafür muss man Opfer bringen.
Es ist immer einfach mit dem Finger auf Leute zu zeigen, aber es ist nie einfach in unserer Haut zu stecken. Wenn ich es anders machen könnte, wenn mein Vater es hätte anders machen können, dann hätten wir es getan.

"Hat sie eine Ausbildung gehabt?"

Ich nicke.
"Sie ist Flugbegleiterin gewesen. Mein Vater und meine Mutter haben sich in Belize am Flughafen kennengelernt und als sie zusammen waren, war relativ schnell klar, dass sie das Leben, was sie zu dem Zeitpunkt hatte, so nicht mehr führen kann."

Ich ziehe meinen Pullover über und setze mich vor ihr auf den Sessel.

"Hat sie das akzeptiert?", will Amara wissen.

Ich lache leise.
"Nein. Natürlich nicht. Es hat lange gedauert, bis sie überhaupt einmal damit klar gekommen ist. Ich glaube, es hat sie letztendlich kaputt gemacht. Sie konnte irgendwann einfach nicht mehr."

Ich denke oft daran zurück, wie sie heimlich geweint hat. Weil sie alleine war, alleine in einem riesigen Haus, während mein Vater im ganzen Land unterwegs war. Sie hat die Ungewissheit nicht mehr ertragen können, weil sie nicht wusste, ob nicht in der nächsten Stadt wieder eine andere Frau wartet. Einmal hat er ihr gestanden, dass er sie betrogen hatte. Das hat sie kaputt gemacht, zerstört hat es sie.

Doch sie konnte nicht gehen. Ich war da, Sofia war da. Sie konnte die Kinder nicht alleine lassen, nicht wenn mein Vater nie daheim war. Ihr blieb nichts anderes übrig.

"Das ist schade. Hat dein Vater das verstanden?"
Amara hat beide Beine angezogen und ihre Arme um die Knie gelegt. Abwartend schaut sie mich an.

"Nein. Es gab ja auch keine andere Möglichkeit für sie. Sie musste bei ihm bleiben, zumindest solange, bis Sofia und ich erwachsen waren. In seinem Umkreis gab es das nicht, das man eine Frau einfach gehen lässt. Viele haben Angst, dass sie dann nicht mehr respektiert werden, obwohl das noch nie ein Problem für meinen Vater dargestellt hat. Sein Problem war viel eher die Sicherheit und der Schutz meiner Mutter, wenn sie nicht mehr auf unseren Anwesen war.", erkläre ich ihr und drücke mich vom Sessel hoch.

Stumm biete ich ihr meine Hand an, die sie nimmt und sich von mir hochziehen lässt.

"Und du?", erwidert sie, während ich ihr hübsches Gesicht betrachte.

"Und ich? Was soll mit mir sein?", verstehe ich nicht ganz, worauf sie hinaus will.

"Hast du es verstanden? Mit deiner Mutter?"

"Am Anfang nicht. Ich war klein und hatte keine Ahnung von dem ganzen hier. Ich habe mich immer gefragt, warum sie unglücklich. In meinen Augen hatten wir alles. Geld, Essen, einen Pool und ein Haus. Frische und saubere Kleidung, einen großen Garten, Autos. Erst als ich dich kennengelernt habe, ist mir klar geworden, dass das nichts ist im Vergleich zu Liebe und Aufmerksamkeit und Verlässlichkeit. Das hier ist alles nichts wert, wenn man keine Schulter hat, an der man sich anlehnen kann."

Ich hauche ihr einen Kuss auf die Wange, weil ich das Bedürfnis habe ihr zu zeigen, dass sie sich auf mich verlassen kann. Ich will die Schultern sein, an der sie sich anlehnen kann, wann immer sie will.
Nicht nur in schwierigen Zeiten.

"Du überrascht mich.", flüstert sie lächelnd.
Ihre Augen glänzen, als ihr mit dem Daumen über die Lippen streiche.

"Solange ich dich nicht wieder verletze, überrasche ich dich gerne.", grinse ich. Lachend verdreht sie die Augen und haut mir leicht gegen die Brust.

"Schleimer.", grinst sie belustigt und läuft zur Zimmertür.
"Komm, ich hab Hunger."

Zufrieden und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen folge ich ihr nach unten in die Küche.

La Reina de Mexicoحيث تعيش القصص. اكتشف الآن