- Kapitel 5 -

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Amara

"Machen Sie Urlaub?", fragt mich der ältere Herr, nachdem wir den Hafen verlassen haben. Am Horizont kann ich bereits die kleine Insel sehen, hinter der die Sonne im Zenit steht.

"Sowas in der Art.", verrate ich ihm nicht viel.
Es soll sich schließlich nicht wie ein Lauffeuer rumsprechen, dass die kleine Schwester von Miguel Jimenez am Wochenende hier heiratet.
Ein bisschen gewundert hat es mich schon, dass die beiden erst jetzt heiraten.
Immerhin waren sie vor 3 Jahren schon verlobt.

Ob wohl etwas dazwischen gekommen ist?

Geht mich ja auch eigentlich nichts an, obwohl es mich schon interessieren würde. Mich hat es ohnehin schon gewundert, dass Miguel nicht darauf bestanden hat, dass beide heiraten bevor der kleine Junge auf der Welt ist.

Ist ein uneheliches Kind bei der Mafia nicht immer eine Todsünde gewesen?

"Wir sind da Senora.", unterbricht der grauhaarige meine Gedanken.
Tatsächlich haben wir schon an einem der vielen Holzstege angedockt. Genervt von den vielen Menschenmassen ziehe ich zwei Geldscheine aus meinem Portemonnaie, die ich ihm in die Hand drücke, und verschwinde von dem kaputten Kutter.

Ich muss mich dringend darum kümmern, dass ich überall meine Leute positioniere und das überall ein Flugzeug oder Boot für mich bereit steht.

14:12 Uhr

Während ich mit meinen hohen Schuhen über den alten Holzsteg laufe, liegen einige Blicke auf mir. Die Einheimischen erkennen sofort, wer gerade an ihnen vorbei läuft, während die frechen Gören aus Amerika nur arrogant die Augenbrauen heben.

Wenn ich könnte, dann würde ich die weiße Bluse und die dunkelgrüne Stoffhose direkt gegen einen Bikini und ein luftiges Kleid tauschen, aber das geht eben nun mal nicht. Schließlich bin ich nicht irgendwer und erst recht nicht zum Urlaub machen hergekommen.

Ich suche die Adresse des Hotels heraus, die Sofia mir geschickt hat. Das Hotel Secreto ist mir bekannt, aber ich bin noch nie dort gewesen.
Es ist vermutlich das luxuriöseste Hotel, was es auf der Insel gibt.

Die heiße Mittagssonne knallt mir in den Nacken, sodass ich meinen Zopf löse, damit meine langen Locken meine Haut schützen. Ausgerechnet heute ist der heißeste Tag der Woche. Während ich durch die Straßen laufe, steigt mir der Geruch von frischen Empanadas und frischen Kokosnüssen in die Nase.
Ein Duft, den ich als Kind überalles geliebt habe.

Ich werfe einen Blick auf einen Stand am Straßenrand, der die köstlichen kleinen Teigtaschen verkauft. Die Schlange davor ist unendlich lang. Als ich meinen Blick abwende, erkenne ich am Ende der Straße das Hotel, das Sofia anscheinend für alle gebucht hat. Die weiße Fassade strahlt hell im Sonnenlicht und die großen Palmen in Kombination mit der dunklen Holztür und den beigefarbenden Sitzecken vor dem Eingang lassen das alte Hotel edel erscheinen.

Edel, aber nicht zu edel.
Immer noch mexikanisch.

Zwischen den Hauswänden kann ich das dunkelblaue Meer erkennen, dass heute etwas stürmischer ist, als sonst. Der schwere Sturm vor ein paar Tagen ist zwar weitergezogen in Richtung Bahamas, allerdings hat er auch hier einen großen Schaden angerichtet.

"Señora, darf ich Ihnen mit Ihrer Tasche helfen?", spricht mich ein junger Mann an.
Er steht vor dem Hotel und trägt angemessene Kleidung, die zum Hotel passt.
Freundlich lächelt er mich an.

Stumm reiche ich ihm meine Tasche und nehme die Sonnenbrille an, während ich ihm in die Hotellobby folge. Die Klimaanlage kühlt meinen warmen Kopf und ich merke erst jetzt wie erschöpft ich bin. Die lange Fahrt und die gleichzeitige Hitze, die überall fast unerträglich ist, rauben einem oft die Kraft aus den Knochen.
Während die Touristen tagsüber am Strand liegen, Ballspiele spielen und literweise Alkohol in sich gießen, sitzen die Einheimischen unter Schirmen oder unter Bäumen. Sie wissen, wie gefährlich die Sonne werden kann.

"Auf welchen Namen hatten Sie reserviert?", fragt mich der junge Mann und kramt ein Buch hinter dem Tresen hervor. Ich seufze leise, weil es hier immer noch keine Computer gibt. Wenn die Regierung nur mehr Geld ausgeben würde, damit man den Tourismus noch stärker unterstützen kann, würde Mexiko die Drogengeschäfte als Haupteinnahmequelle schnell hinter sich lassen.

"Entweder Sofia Jimenez oder Amara Ramirez.", zucke ich mit den Schultern und lehne mich an die Theke, um ein Blick auf mein Handy zu werfen.

"Sie sind Amara Ramirez?", fragt er ungläubig und räuspert sich direkt danach.

"Problem damit?", erwidere ich genervt, weil er mir einfach meinen Schlüssel für das Zimmer geben soll.
Ich muss endlich duschen und mich noch ein paar Stunden ausruhen, bevor Sofia und ich etwas essen gehen.

"Nein. Entschuldigen Sie.", winkt der Mann ab und lächelt irritiert.
"Ich dachte nur nicht, dass Sie so jung sind."

Unbeeindruckt schaue ich ihn an und wende dann meinen Blick ab, um mir die Hotellobby zu begucken.
Es ist nicht das, was ich gewohnt bin, aber es ist trotzdem das Beste, was es hier auf der Insel gibt. Ich muss schmunzeln, weil mir einfällt, dass es Miguel hier auch nicht gefallen wird. Vermutlich wird er sich zuerst über die Größe des Hotel beschweren und dann über die viel zu kleinen Zimmer.

"Hier ist ihr Schlüssel. Ihre Zimmernummer ist die 213. 2. Stock-"

"13tes Zimmer, ich weiß.", unterbreche ich ihn und nehme den goldenen Zimmerschlüssel aus seiner Hand.
Er nickt verlegen und schaut mir nach, wie ich mit meiner Tasche zu den Treppen laufe.

La Reina de MexicoWhere stories live. Discover now