Ich hole dich hier raus

472 26 3
                                    


Ava war also ihr Name. 

„Du musst dich sofort verstecken! Wenn mein Vater rausfindet, dass-" 

Sie wurde von dem Knacken des Türschlosses unterbrochen. Henry versteckte sich gerade noch unter einem Tisch, ehe Avas Vater das Haus betrat. Wütend stampfte er ins Haus und knallte die Tür zu. 

„Hallo Daddy." 

„Sei still! Wo warst du?" 

„Was meinst du?" 

„Stell dich nicht nicht so blöd! Wo warst du vorhin?? Gib mir Antwort!!" 

Er schrie und war außer sich vor Wut. 

„Ähm nirgends. Also hier im Haus." 

„Das kann nicht sein! Ich wollte dich vorhin abholen und habe dich überall im Haus gesucht!!" 

Er zog ihr an den Haaren. 

„DU SAGST MIT JETZT SOFORT DIE WAHRHEIT!!" 

„Du tust mir weh!" 

Ihr Vater verpasste ihr eine Schelle. Sie schrie leicht auf und hielt sich die Wange vor Schmerz. 

„Und was ist das?!" Avas Vater nahm ihre Hand. Das Blut von Henrys Wunden klebte immer noch daran. 

„Ich habe mich nur geschnitten." 

„Lüg mich nicht an!" 

„Ich lüge dich nicht an." 

Henry wurde das alles langsam zu viel. Kurz bevor er bereit war, unter dem Tisch hervor zu kommen und Ava aus dieser Lage zu befreien, griff er in seine Hosentasche und stellte fest, dass sein Messer weg war. Er hatte es zuletzt in der Hand gehalten, kurz bevor Ava ihn am Wagen fand. Henry hatte leider keine Wahl, als sich den Streit zwischen Ava und ihrem Vater anzuhören. Ohne Messer konnte er sich nicht ihrem Vater stellen. Er war zu schwach für einen Kampf. Die Gedanken, dass Ava von ihrem Vater soeben geschlagen wurde und er sich wie ein Feigling unter dem Tisch versteckte, quälten ihn stark. 

„Sag schon, wo warst du? Oder bei wem warst du? Hast du dich mit einem Jungen rumgetrieben?" 

„Nein, natürlich nicht." 

„Wenn ich erfahren sollte, dass es so war, kannst du was erleben!!" 

„Ich kenne hier doch noch gar keinen." 

„Besser ist es auch! Du bist genau, wie deine Mutter! Du hast keinen Respekt vor deinem Vater! Du bist genauso ein Miststück, wie sie!" 

Ava wich den durchdringenden Blicken ihres Vaters aus. Sie konnte ihn nicht länger ansehen. Es war ihr egal, wie sehr er sie beleidigte, aber nicht ihre Mutter! Wenn ihr Vater so über ihre Mutter sprach, könnte sie ihn erwürgen. Sie hätte jedoch kaum eine Chance gegen ihren Vater. Er betrieb regelmäßig Kampfsport und war gefühlt doppelt so stark wie Butch Bowers. 

„Du bleibst hier! Ist das klar?! Und wage es ja nicht allein nach draußen zu gehen!" 

„Ich werde nicht weggehen, Vater!" 

„Ich will es hoffen. Sonst kannst du was erleben!" 

Der Vater ging zur Tür, riss sie auf und schloss sie mit einem noch lauteren Knall, als beim ersten Mal, sodass die Bilder an der Wand wackelten. Henry kroch unter dem Tisch hervor. 

„Geht es dir gut?" 

Er war total besorgt um Ava und nahm sie in den Arm. 

„Ja. Es geht schon. Alles in Ordnung." 

„Ich bin so ein Idiot!" 

Er drückte sie fester an sich. 

„Was? Warum?" 

„Ich hätte dich beschützen sollen, aber mein Messer war weg, besser gesagt es ist noch weg. Ach was rede ich da. Das ist keine Entschuldigung. Ich hätte mich ihm trotzdem stellen können!" 

Er sah etwas beschämt zu Boden. 

„Nein! um Gottes willen! Ich hätte es nicht zugelassen, dass dich auch noch mein Vater so zurichtet!" 

„Und ich hätte es nicht zulassen sollen, dass er dich schlägt!" 

Er strich ihr die Strähnen aus dem Gesicht. Ihre Wange war immer noch leicht rot. Henry legte vorsichtig seine Hand auf ihre Wange und strich leicht über sie. Ava klammerte sich eng an Henry. 

„Vielleicht ist das hier auch kein guter Ort für dich. Du solltest vermutlich gehen. Wenn mein Vater wieder zurück kommt... Ich will dir nicht noch mehr Ärger machen." 

Ihr standen erneut die Tränen in den Augen. 

„Ich will dich nicht hier zurücklassen! Nicht bei diesem Vater!" 

„Ich komme schon klar." 

„Ava, wenn das so weitergeht, wird er dich auch fast totschlagen! Ich kann dich nicht hierlassen" 

„Wichtig ist, dass es dir erst einmal gut geht." 

Henry wollte sie nicht zurücklassen, aber andererseits, was sollte er tun? Er konnte sie unmöglich mit zu sich nach Hause nehmen. Nicht zu seinem Vater. Das wäre ja genauso schlimm, vielleicht sogar noch schlimmer. 

„Ich hol dich hier irgendwie raus. Ich verspreche es!" 

Ava nahm ihn ein letztes Mal in den Arm und flüsterte in sein Ohr: „Ich bin froh, dich kennengelernt zu haben." 

Henry strich ihr über den Hinterkopf. Ihr Haar war weich wie Samt. 

„Ich bin auch froh, dass ich dich kennenlernen durfte." 

Fast wie in Zeitlupe ging Henry zur Tür, drehte sich auf dem kurzen Weg noch zwei Mal um. Er öffnete die Tür und blickte noch ein letztes Mal zu Ava. 

„Wir sehen uns!" 

„Ich hoffe doch!" 

Die beiden lächelten. Henry ging nach draußen und Schloss die Tür hinter sich.


The Story of Henry Bowers Where stories live. Discover now