Ablenkung

419 23 2
                                    


Henry blieb noch eine ganze Weile stehen. Er verstand es schon ein wenig, warum Ava so schnell das Weite suchte, aber er hatte ihr ja nichts angetan. 

Soll sie doch, dachte er sich und senkte den Kopf. Henry setzte sich an die Stelle, an der Ava noch vor ein paar Minuten saß. Auf keinen Fall wollte er jetzt wieder nach Hause gehen und zu Patrick erst recht nicht. Ob der Rest seiner Bande schon von Ava weiß? Bitte nicht!

„Was mach ich mir eigentlich so einen Kopf? Das war vielleicht ein bisschen flirten, mehr nicht! Jeder Junge schaut einem Mädchen mal hinterher, dass ist normal! So lange mich außerdem niemand mit ihr sieht, ist das eh egal!" 

Diese Sätze durchliefen Henrys Gedanken immer und immer wieder. 

„Außerdem würde sich nie ein Mädchen für mich interessieren... und ich mich schon gar nicht für ein Mädchen." 

Henry hielt gar nicht mal so große Stücke auf sich. Durch die viele Arbeit, zu der sein Vater ihn jedes Mal aufs Neue verdonnerte, hatte er natürlich einen guten Körperbau, aber das wars auch schon wieder. Zumindest dachte er so über sich. Und als ob dies nicht reicht, war da immer noch der Name Bowers. Henry hasste seinen Vater, war ihm aber auch ein kleines Stück dankbar. Er erzog ihn schließlich so, dass er sich nichts gefallen ließ. Jeder hatte Angst vor Henry, klar, das war vielleicht nicht wirklich von so großen Vorteil, doch so traute sich niemand auch nur einmal das Wort gegen ihn zu erheben. All diese Gedanken wurden ihm langsam zu viel. 

„Tja, dass Thema hat sich eh erledigt", flüsterte er leise vor sich hin, rappelte sich auf und machte sich auf in Richtung Barrens. 

So sehr er es auch versuchte, die Gedanken an Ava ließen ihn immer noch nicht ganz los. Den ganzen Weg lang versuchte er sie abzuschütteln. Auf dem Weg lief er an dem Falcon vorbei. Er lief weiter und weiter. Als er schließlich an den Barrens angekommen war, erinnerte er sich noch einmal an den Vorfall im Falcon. Wie er aus der Bar stampfte und sein Vater ihn sah, wie sein Vater ihn zusammenschlug, wie er dadurch Ava kennen lernte, wenn auch nicht auf die romantischste Art und Weise. Schnell schüttelte er den Gedanken wieder ab. 

„VERDAMMT! NEIN! ICH BIN NICHT VERLIEBT!! Liebe ist was für Idioten!" 

Während er brüllte, nahm er sich einen Stein und warf ihn in den Wald. 

„Autsch!" 

Henry bemerkte den Schrei erst nicht. Victor erschien hinter ein paar Ästen, welche den Waldweg versperrten und hatte den Stein in der Hand. 

„Pass auf, wo du deinen Kram hinwirfst, du Blödmann!" 

Er warf den Stein zurück zu Henry. Dieser bemerkte Victor erst jetzt. 

„Hä?" 

„Der Stein! Wirf ihn das nächste Mal Patrick oder Belch an den Kopf, das kann nicht viel Schaden verursachen! Was machst du hier?" 

„Ich hab nach euch gesucht", antwortete Henry. 

Es stimmte schon zum Teil. Er brauchte jetzt etwas Ablenkung von dem Ganzen. 

„Na dann. Patrick und Belch müssten auch gleich hier sein." 

„Na großartig", entgegnete Henry mit leichter Ironie. 

„Patrick hat mir übrigens davon erzählt." „Hat er?! Dieser kleine Bastard!" 

„Wieso? Ist doch nix Neues, dass du Stress mit deinem Alten hast." 

„Mein Vater? Ach so ja, mein Vater..."

„Oder doch nicht?" 

„Doch, doch. Aber du kennst dieses miese Schwein ja." 

Tatsächlich. Patrick hatte es tatsächlich geschafft, seine Klappe zu halten. 

„Komm schon Belch, beweg dich", hörte man aus kleiner Entfernung. 

Das Gebüsch fing an zu rascheln und im nächsten Augenblick kamen Patrick und Belch hinter den Ästen und Blättern hervor. 

„Henry! Auch mal wieder hier", freute sich Belch und klopfte ihm gegen die Schulter. 

„Ach sein ruhig! Was habt ihr Arschgeigen alles angestellt, als ich nicht da war?" 

„Nicht viel. Wir haben Belchs Karre saubergemacht und gewartet, dass du endlich mal auftauchst. Was hast du in der Zeit angestellt?" 

Henry schluckte. 

„Mein Vater hat mich eingesperrt..." 

Eigentlich suchte Henry Ablenkung, doch daraus wurde erst mal nichts. 

„Hä, wieso?" 

„Das hat euch doch nicht zu interessieren!" 

„Seit wann lässt DU dich denn bitte von deinem Vater einsperren?" 

Belchs Frage bracht Henry wieder zur Weißglut. 

„Was fragst du eigentlich so blöd?" 

„Mein ja nur", rechtfertigte sich Belch. 

„Und warum bist du nicht durch den Hinterausga-" 

„Es reicht!" 

Mit diesem Satz beendete Henry nun auch Victors Frage. 

„Ist jetzt alles wieder in Ordnung mit 'deinem Vater'?" 

Fragte Patrick mit Betonung auf 'Vater' und einem Augenzwinkern. Henry schaute ihn verwirrt an. 

„Was grinst'n du so blöd?" Fragte Belch und schaute ihn schief an. 

„Na man darf doch wohl nochmal Fragen stellen oder nicht?" 

„Ja, aber man muss dabei nicht so komisch gucken."

„Musst du immer an mir rummeckern?" 

„Tu ich doch gar nicht, aber als ob alles wieder mit seinem Vater in Ordnung ist, du kennst doch Butch!" 

„JUNGS!" 

Mit diesem Wort brauchte Henry die beiden schlagartig zur Stille. 

„Lauf nicht so schnell Bill!" 

Die Jungen drehten sich um, als sie eine Stimme hörten. 

Na das hatte gerade noch gefehlt, dachte sich Henry. 

The Story of Henry Bowers Dove le storie prendono vita. Scoprilo ora